GA-Zeitzeugengespräch in Siegburg Der einzige Cocktail hieß "Sense"

SIEGBURG · Neben Lokalen wie "Maxim", "Pferdestall" oder später auch "Zamamphas" zogen ab 1968 beziehungsweise 1975 zwei neue Kneipen Jugendliche und junge Erwachsene an. Das "Moustache" im Keller des Hotel Felders und die "Ente" in der Mühlenstraße. Ihr Erfolgsrezept bestand darin, ein Gegengewicht zu den Diskotheken zu setzen. Die Kommunikation stand im Vordergrund.

 Das „Moustache" bei der Eröffnung 1968 mit Marlene und Hanjo Winther.

Das „Moustache" bei der Eröffnung 1968 mit Marlene und Hanjo Winther.

Foto: privat

Als "der Mei" (Norbert Meiländer) und "der Grön" (Gernot Sträßer) 1975 die Gaststätte "Zur Ente" aus einer Bierlaune heraus übernahmen, konnten sie nicht ahnen, dass diese schnell zur Kultkneipe avancieren würde. "Um 18 Uhr kamen die Schüler, ab 20 Uhr ihre Eltern", erinnert sich Gernot Sträßer. Einfache Holztische, ein Brikettofen mitten im Raum, Steinboden und funktionale Einrichtung machten den "Charme" der Traditionsgaststätte aus. Zu einer Zeit, in der die erste Erlebnisgastronomie mit raffinierten Getränken lockte, schätzten die Gäste die schlichte Ente. Der einzige "Cocktail" hier hieß "Sense", war Apfelkorn und wurde gleich meterweise bestellt. Das Bier floss immer nur aus Fässchen, die einzeln herangeschafft werden mussten. In Spitzenzeiten liefen Meiländer und Sträßer fast im 10-Minutentakt in den Gewölbekeller, um Nachschub zu holen.Viele Stammgäste, vor allem Vereine, orderten gleich beim Hereinkommen ein Pittermännchen.

Die beiden Wirte, die sich die Wochentage aufgeteilt hatten, weil es keinen Ruhetag gab, schlugen das Fässchen selbstverständlich höchstpersönlich am Tisch an. Zum Inventar gehörte Oskar, ein Original, von dem jeder nur den Vornamen kannte und der über dem Schankraum wohnte. Mit steigendem Pegel wurde seine Sprache immer undeutlicher, die Gäste verstanden kein Wort mehr, hatten aber ihren Spaß an der "Unterhaltung" mit ihm. Oskar konnte sich wunderbar aufregen. Besonders über seinen "Lieblingsgegner", Jean Fischer (1975 bereits 76 Jahre alt), von allen "Schäng" genannt und ebenfalls ein Unikum.

1978 richteten Mei und Grön ihm mit 79 Jahren eine Ausstellung seiner naiven Bilder aus, die Schäng erstmals öffentlich zeigte. Einschließlich Vernissage und Laudatio. Berühmt waren die Mottopartys: Spanischer Abend, gallischer oder amerikanischer Abend, bei dem entsprechende Spezialitäten auf der Karte standen. Sonst bot das "Bierrestaurant mit kalter Küche", wie es in der behördlichen Schankerlaubnis hieß, lediglich Rollmöpse und Käsebrötchen. Ausnahmezustand herrschte regelmäßig an den Karnevalstagen. Wer wegen Überfüllung des Lokals nicht vor der Tür warten wollte, benutzte kurzerhand die Toilettenfenster als Eingang.

Überfüllung war erreicht, wenn die Gäste wie in einer Heringstonne im Raum, auf den Bänken entlang der Wände und auf den noch einmal darüber angebrachten Vorrichtungen zum Abstellen von Gläsern standen. So passierte es an einem Rosenmontag, dass die aus Stein gemauerte Theke unter dem Druck einfach umfiel. Gestört hat es keinen. 1985 schied Grön aus dem gemeinsamen Unternehmen aus, sein Kompagnon machte noch bis 1992 weiter. Dann war auch für ihn Schluss. Die Ente wich einem neuen Wohn- und Geschäftshaus.

Wer ins "Moustache" wollte, musste erst einmal am Wirt vorbei. Dazu zog man an einem Seil, um durch eine Glocke im Inneren des Lokals auf sich aufmerksam zu machen. Kurz darauf ging eine Klappe auf, durch das kleine Fenster war ein Augenpaar und ein mächtiger Schnäutzer zu sehen, dem das Lokal seinen Namen (Französisch: Moustache) verdankte. Hanjo Winther, der die Kneipe 1968 zusammen mit seiner Frau Marlene eröffnete, entschied per Gesichtskontrolle, wen er hineinließ und wen nicht. Grund dafür war eigentlich, stadtbekannte Schläger fernzuhalten, die in anderen Lokalen schon manchen Streit angezettelt hatten.

Die ursprüngliche Sicherheitsvorkehrung führte dazu, dass sich vor allem ein Kreis aus Schülern und Studenten, Geschäftsleuten und Akademikern bildete. Das Öffnen für eine ausgesuchte Klientel war ebenso neu in Siegburg wie der reine Abendbetrieb. Das Moustache wurde auch zum Künstlertreff. Hier verkehrten beispielsweise Mic Enneper, Jürgen Klauke, der Siegburger Hansik Gebert, der auch das Logo für die Kneipe entworfen hatte, oder Uli Bliese. Zum Teil stellten die auch ihre Werke aus, sonst hingen meist dekorative "Ölschinken" an den Wänden, umgestülpte Blumentöpfe als Lampen, Kerzen, gepolsterte Bänke und mit Kupferblech beschlagene Tische sorgten für urige Atmosphäre.

Oft ging es bis weit in die Nacht hinein, nach der Sperrstunde um ein Uhr feierte man noch in "geschlossener Gesellschaft" weiter. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala stand dabei der "Moustache", ein Gemisch aus Grapefruitsaft und Korn. Hanjo Winther, der vor 20 Jahren starb, hatte als Besonderheit auch Düsseldorfer Altbier auf der Karte. Nach dem Ausscheiden der Winthers wurde das Lokal unter dem Namen "Rizz" von einem Pächter weitergeführt, 1992 eröffnete Norbert Meiländer es wieder unter altem Namen, nachdem seine Kneipe "Zur Ente" abgerissen wurde. Vor einigen Jahren schloss das "Moustache" für immer.

Zeitzeugengespräch

Um die Siegburger Jugendszene der 60er und 70er Jahre geht es am Mittwoch, 21. Mai, beim Zeitzeugengespräch des General-Anzeigers im Stadtmuseum am Markt. Mit dabei: Gernot Sträßer, Kurt-Werner Viedebantt, Harald Becker und Gerd Reusch. Im Anschluss an die Talkrunde erinnert die Band "Neat Bix" mit Beat-Klassikern musikalisch an die 60er. Das Zeitzeugengespräch beginnt um 19 Uhr (Einlass 18.30 Uhr), der Eintritt ist frei. Aus organisatorischen Gründen wird um Anmeldung gebeten: siegburg@ga.de oder unter der Nummer 02241/ 1201200. Die Zeitzeugengespräche unter dem Motto "So hab' ich's gesehen" sind ein Beitrag des GA zur 950-Jahr-Feier Siegburgs.

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