Kreisjugendamt in Siegburg Deutlich mehr Personal benötigt

Rhein-Sieg-Kreis · Bei den Beratungen des Haushalts 2013/14 hat Landrat Frithjof Kühn am Freitag deutlich gemacht, dass es akuten Bedarf an zusätzlichem Personal im Kreisjugendamt gibt. 19 zusätzliche Stellen sollen geschaffen werden. Wie sieht der Alltag im Jugendamt aus? Der GA blickt hinter die Kulissen.

 Alleingelassen: Wenn Eltern mit der Erziehung überfordert sind, tritt das Jugendamt auf den Plan.

Alleingelassen: Wenn Eltern mit der Erziehung überfordert sind, tritt das Jugendamt auf den Plan.

Foto: dpa

Da musste manch ein Kreispolitiker erst einmal schlucken. 19 zusätzliche Stellen für das Kreisjugendamt - dafür hat Landrat Frithjof Kühn bei den Beratungen des Haushalts 2013/14 geworben, die am Freitag mit der Verabschiedung des Etats zu Ende gingen. Die Politik hinterfragte zwar hier und da Kosten und Organisation des Amtes, billigte aber den Stellenzuwachs.

Der Bedarf sei akut, hatte Kühn immer wieder deutlich gemacht. Er ergibt sich aus Gesetzesänderungen wie beim Vormundschaftsrecht, vor allem aber aus der gestiegenen Zahl an Fällen, die den Mitarbeitern nicht selten an die Nieren gehen. Wie sieht der Alltag im Jugendamt aus? Der GA blickt hinter die Kulissen.

Das Kind ist nicht ordentlich angezogen, das Kind isst nicht regelmäßig, das Kind wird geschlagen - möglicherweise, es gibt gewisse Anzeichen. Ist das Kind ernsthaft in Gefahr? Jemand informiert das Kreisjugendamt. Ein Lehrer, ein Nachbar, ein Bekannter: Wer sich an die Behörde wendet, ist zunächst nebensächlich. "Wir gehen jeder Meldung nach", sagt Sabine Mey von der Außenstelle des Kreisjugendamtes in Eitorf. "Vielleicht klärt sich die Sache schon nach einem Hausbesuch."

Das wäre der Idealfall. Tatsächlich sind die Fallzahlen des Kreisjugendamtes, das für die acht Gemeinden Eitorf, Windeck, Much, Neunkirchen-Seelscheid, Ruppichteroth, Alfter, Swisttal und Wachtberg zuständig ist, zwischen 2009 und 2011 gestiegen, 2012 waren die Zahlen leicht rückläufig.

Amtsleiterin Ulla Schrödl führt das auf gesellschaftliche Veränderungen zurück: brüchige Familienstrukturen, Isolation, Verschuldung, Überforderung, zunehmende psychische Erkrankungen bei Eltern und Kindern - damit ist das Jugendamt häufig konfrontiert. "Wir haben es in den Familien nicht nur mit einem, sondern mit einer Vielzahl von Problemen zu tun", so Schrödl.

Nach aufsehenerregenden Fällen - die getötete Anna in Bad Honnef 2010, der Kettensägenmord in Hennef 2011 - seien die Bürger für Kindswohlgefährdung sensibilisiert, das spiegele sich in der Zahl der Meldungen wider. Aber auch die sich wandelnde Sozialstruktur - etwa an der oberen Sieg - beeinflusst die Entwicklung. Günstiger Wohnraum zieht auch sozial belastete Familien aus den Ballungszentren an.

"Die Menschen kommen nicht nur aus der Umgebung, sondern auch aus ganz anderen Regionen", berichtet Mey. Das liege auch an der zunehmenden Zahl an Internetbekanntschaften. Teilweise seien die Familien, die in den Kreis ziehen, anderen Jugendämtern bestens bekannt. Manche würden sogar nur umziehen, um sich der zuständigen Behörde zu entziehen: "Es gibt ein regelrechtes Jugendamts-Hopping", sagt Mey.

So bekommt es das gut 100 Mitarbeiter zählende Kreisjugendamt mit Fällen zu tun, die sich nicht mehr durch Prävention in den Griff kriegen lassen - Fälle, bei denen Kinder teilweise schon aus der Familie herausgenommen werden mussten. "Das passiert leider häufiger", sagt Schrödl. Grundsätzlich versuchten die Jugendämter, möglichst früh Fehlentwicklungen zu erkennen und mit niedrigschwelligen Angeboten zu helfen. Hier der Erziehungsbeistand, da der Familientherapeut, dort die Tagesgruppe - das ambulante Angebot ist breit gefächert. Weil das Jugendamt das nicht alleine leisten kann, arbeitet es mit rund 70 externen Anbietern zusammen.

Erst wenn all das nicht mehr fruchtet, werden Kinder und Jugendliche aus ihrem familiären Umfeld genommen und anderweitig untergebracht, beispielsweise in Heimen in der Region oder in Pflegefamilien; außerdem gibt es Mutter-Kind-Häuser. Im Fachjargon spricht man von "familienersetzenden Hilfen". Jugendamtsleiterin Schrödl: "Das ist für uns immer nur die Ultima Ratio."

Solche Entscheidungen sind aber immer öfter fällig. "Ob ein Kind in Obhut genommen werden muss oder nicht - das beraten wir immer im Team", berichtet Andrea Schaaf-Reinsch, ebenfalls vom Jugendhilfezentrum in Eitorf. Auch wenn Mitarbeiter nie allein entscheiden, begleiten sie ihre Fälle nach Feierabend weiter. Oft auch über ganze Wochenenden. "Das beschäftigt einen, gerade wenn kleine Kinder betroffen sind", erzählt Vera Hein, seit 2011 Mitarbeiterin des Jugendamtes. "Man fragt sich: Geht das noch gut, oder müssen wir jetzt handeln?"

Muss das Amt ein Kind in Obhut nehmen, belastet das auch die Mitarbeiter. Manchmal benötigen sie die Unterstützung der Polizei, wenn sie die Kinder aus ihrer Familie holen. "Es ist immer schwierig, diesen Schritt den Eltern zu vermitteln", sagt Hein. Es kommt aber auch vor, dass sich Jugendliche selbst dem Jugendamt anvertrauen - oder dass Eltern ihre Kinder "abgeben" wollen. Gerade da sei die Arbeit mit den Eltern wichtig, sagen die Mitarbeiterinnen.

Kreisjugendamt - das ist kein Verwaltungsjob wie jeder andere. "Bei allem Ärger stelle ich doch immer wieder fest, dass man Positives bewirken kann", sagt Vera Hein, die ursprünglich den Beruf der Bankkauffrau gelernt hat und über die Arbeit mit Suchtkranken zur Jugendhilfe kam. "Es ist manchmal maßlos anstrengend", sagt Kollegin Schaaf-Reinsch. "Aber es ist eine sinnvolle Arbeit, man freut sich über jeden Fortschritt, den eine Familie macht."

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