Jugendarbeit in Corona-Zeiten Die Zentren der Katholischen Jugendagentur Bonn senden ins Kinderzimmer

Rhein-Sieg-Kreis · Wegen der Corona-Krise haben die Jugendzentren der Katholischen Jugendagentur Bonn ihr Angebot im gesamten Umkreis ins Internet verlegt. Jedes Jugendzentrum hat einen eigenen Kanal. Vor allem die Spiele, die angeboten werden, kommen gut an.

 Jörg Harde (l.) filmt im „Juze“ einen Fitnesstrainer, der Übungen für die Jugendlichen vormacht.

Jörg Harde (l.) filmt im „Juze“ einen Fitnesstrainer, der Übungen für die Jugendlichen vormacht.

Foto: Meike Böschemeyer/MEIKE BOESCHEMEYER

Freunde treffen, Spaß haben, bei Problemen Hilfe finden – das können junge Menschen im Juze. Genauer gesagt: sie konnten. Denn aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus müssen die Gäste des Jugendzentrums im Siegburger Stadtteil Deichhaus seit Mitte März draußen bleiben. Das heißt aber nicht, dass sie ganz auf ihr Jugendzentrum verzichten müssen.

Vielmehr haben das Juze sowie etwa ein Dutzend weiterer Zentren im Kreis und in Bonn, die alle zur Katholischen Jugendagentur Bonn gehören, ein umfangreiches Angebot im Internet eingerichtet. Sie haben sich auf einem sogenannten Discord-Server zusammengeschlossen.

Fußball- und Strategiespiele

Mehr als 180 Nutzer haben sich dort schon registriert, knapp 40 davon sind Mitarbeiter der Jugendzentren. Jedes Jugendzentrum dort hat einen eigenen Kanal, doch können die Teilnehmer auch zwischen den Kanälen wechseln. Discord ist ein Programm, mit dem sich Nachrichten austauschen lassen und mit dem auch Sprach- und Videokonferenzen möglich sind. Genutzt wurde es ursprünglich vor allem zur Kommunikation bei Computer-Spielen. Entsprechend bekannt war das Programm bei den Jugendlichen bereits.

Auch der 35-jährige Juze-Chef Jörg Harde und seine Kollegen bieten dort gemeinsames Computer-Spielen an. So messen die Jugendlichen ihre digitalen Fußball-Künste in einer eigens gegründeten „Fifa“-Liga.

Überraschend gut kommt laut Harde das Rundenstrategiespiel „Through the Darkest of Times“ an, bei dem der Spieler ins Berlin des Jahres 1933 versetzt wird, wo es den Widerstand gegen die Nationalsozialisten zu organisieren gilt.

Und das, obwohl der Spieler dabei viel lesen muss. „Selbst Jugendliche, bei denen man sonst denkt, es wird für sie schwierig, fünf Sätze zu lesen, sind da voll drin“, erzählt Harde.

Bildungsangebote kommen nicht so gut an

Weniger beliebt seien dagegen die Bildungsangebote. Bei einem Niederländisch-Sprachkurs eines Kollegen beispielsweise habe kürzlich niemand mitgemacht. Auch seine eigenen Programmierkurse, so berichtet Harde, seien nur auf wenig Resonanz gestoßen.

In jüngster Zeit sei es allerdings ohnehin ruhig gewesen. Als Grund vermutet Harde den islamischen Fastenmonat Ramadan. Denn viele Juze-Gäste seien muslimischen Glaubens.

Hilfe, wenn zu Hause der Drucker fehlt

Die Zurückhaltung bei den Bildungsangeboten hängt vielleicht auch damit zusammen, dass zu Hause viele genug damit beschäftigt sind, im Schulunterricht mitzukommen. Hier bietet Harde technische Unterstützung. Weil zu Hause oftmals ein Drucker fehlt, stellt er das Gerät des Jugendzentrums zur Verfügung.

Auch für das Ausdrucken von Bewerbungen, bei denen Harde seinen Schützlingen ebenfalls unter die Arme greift, gilt das Angebot. Die ausgedruckten Dokumente legt er dann vor die Tür des Jugendzentrums, wo sie zu einem vereinbarten Zeitpunkt abgeholt werden können.

„Ich weiß nicht, wie viel ich da schon durchgejagt habe“, sagt der Sozialarbeiter mit Blick auf die Papier-Mengen, die aus dem Drucker kommen.

Das Jugendzentrum als Wohnzimmer-Ersatz

Das Juze ist für viele seiner meist männlichen Gäste, die im Durchschnitt 17 Jahre alt sind, eine Art Wohnzimmer, erzählt Harde. Was wohl auch damit zusammenhängt, dass sie nach seiner Einschätzung zum Teil aus „prekären Wohnverhältnissen“ stammen.

So komme es vor, dass Jugendliche sich noch immer vor der Tür des Jugendzentrums treffen, auch wenn diese verschlossen ist. Nach Beschwerden von Nachbarn hat Harde dort nun Hinweiszettel ausgehängt, die die Abstandsregeln während der Corona-Pandemie verdeutlichen. Nach dem Motto: „Zwei sind okay, drei nicht.“

Indes ist die Kommunikation über das Internet aus Datenschutzgründen mitunter eine „Einbahnstraße“, wie Harde sagt. Denn während die Mitarbeiter der Jugendzentren in Echtzeit Videos übertragen, wenn sie einen Kurs geben, sind die Teilnehmer nur mit Mikrofon zugeschaltet.

Die Kamera bleibt bei ihnen aus. Trotzdem, so Harde, bekomme er alles mit, was in den Wohnungen passiert. „Glücklicherweise haben wir bisher nichts bemerkt, was in den Bereich der Kindeswohlgefährdung geht. Aber es ist unglaublich viel Druck zu Hause“, erzählt er.

Was die Angst vor dem Coronavirus angeht, kann Harde immerhin über Falschinformationen aufklären. So habe ein Junge aus einem anderen Jugendzentrum davon gesprochen, dass es in seinem Ort schon 50 Corona-Fälle gebe. Nach einem Blick von Harde auf die Internetseite des Rhein-Sieg-Kreises stellte sich heraus, dass es lediglich zwei Fälle waren.

Und sogar ungeahnte Vorteile bringen die digitalen Jugendzentren mit sich. „Eine weibliche Besucherin würde nicht zusammen mit den Jungs bei einem Fitnessangebot mitmachen. Diese Hemmschwelle ist komplett genommen worden“, sagt Harde. Denn im eigenen Kinderzimmer kann jeder die Videos anklicken und ohne Scham mitmachen. Dies wolle man daher auch nach der Pandemie anbieten.

Ferner habe sich die Vernetzung unter den Mitarbeitern der Jugendzentren durch die gemeinsame Zeit auf den Discord-Servern „exorbitant vervielfacht“. Am liebsten wäre es Harde, die Jugendlichen könnten sofort wieder ins Juze zurückkehren.

Wenn es soweit ist, seien aber klare Regeln und Zugangsbeschränkungen nötig. Über Desinfektionsmittel und Co. verfüge das Juze ohnehin seit Jahren. Zu lange solle mit der Öffnung nicht gewartet werden. Denn für viele sei das Jugendzentrum ein wichtiger Anker.

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