Schach für Kinder und Jugendliche in Siegburg „Es gibt mehr Kombinationen als Atome im Weltall“

Siegburg · Im Siegburger Marienheim wird jeden Freitag fleißig trainiert: Hier trifft sich der Schachclub 1919 Siegburg, um schweißtreibenden Denksport am schwarz-weißen Brett zu betreiben. Auch Kinder und Jugendliche sind mit Leidenschaft dabei.

 Gutgelaunte Partie: Gesche Lindenberg (17), Vorsitzender Herbert Benesch und Milan Möltgen (15).

Gutgelaunte Partie: Gesche Lindenberg (17), Vorsitzender Herbert Benesch und Milan Möltgen (15).

Foto: Rosanna Großmann

Kerstin hat einen Schachturm gebaut. Mehrere schwarze und weiße Figuren hat sie dafür gestapelt, in der Mitte scheinen die Springer wie durch einen Zaubertrick zu schweben. Kerstin ist stolz auf ihren Turm, doch in den vergangenen zwei Wochen hat sie auch schon ein paar richtige Schachzüge gelernt. Die Sechsjährige ist seit November eines der jüngsten Mitglieder des Schachvereins 1919 Siegburg und macht derzeit noch einen Schnupperkurs. „Aber gegen Opi habe ich sowieso schon immer gewonnen“, erzählt sie.

An diesem Freitag kommen nach und nach weitere Kinder und Jugendliche in den Saal des Marienheims an der Bambergstraße. Die Kleinen haben noch ihre Mamas zur Unterstützung mitgebracht. Herbert Benesch hat bereits im Kindergarten in der Nachbarschaft Schach-Nachwuchs gefunden. Dort bietet der Vorsitzende des Vereins einmal in der Woche Kurse an. Auch ein paar Teenager und junge Erwachsene sind beim Training dabei: Um 18 Uhr ist Jugendtraining angesagt, eine Stunde später sind die Erwachsenen dran.

Der König ist der Gefängniswärter

„Wir sind ein relativ kleiner Verein mit zirka 60 Mitgliedern“, erzählt Benesch an einem der zum Spiel vorbereiteten Tische. „Ein Drittel davon sind Kinder und Jugendliche.“ Die vier Mannschaften trainieren in der Kreisklasse, der Verbandsklasse und der Oberliga. Zum Freitagstraining tragen sich die Ankömmlinge zunächst wieder in eine Liste zur Kontaktnachverfolgung ein, die Impfnachweise hat Benesch schon kontrolliert. Dann geht es direkt ans Brett. Benesch selbst lehrt die Anfänger gern, doch allein kann er nicht allen gleichzeitig etwas beibringen. Also helfen die Jugendlichen selbst aus und üben mit dem Nachwuchs.

„Jeder ist unterschiedlich stark im Schach“, erklärt Benesch, „also brauchen wir hier fast Individualbetreuung.“ Um das Spiel schmackhaft zu machen und nicht gleich mit voller Figurenbesetzung und allen Zugkombinationen zu überfordern, übt der 64-Jährige mit den Kindern zuerst kleine Spiele mit nur drei Figuren. Er zeigt zum Beispiel, wie man mit einem Turm und dem König den anderen König „ins Gefängnis steckt“. „Diese logische Zugfolge haben die Kinder nach zehn Minuten im Kopf“, weiß Benesch. Langsam kämen dann mehr Figuren hinzu: „So kann ich Spaß am Schach vermitteln.“

Die Schönheit des Spiels

Benesch ist gebürtiger Schwabe und kam selbst im Alter von etwa zwölf Jahren zum Schachspiel. Später zog er nach Siegburg. In seiner Zeit als Berufssoldat und während der Familiengründung legte er jedoch eine 25-jährige Schachpause ein und entdeckte seine Leidenschaft erst später neu. „Innerhalb von einem halben Jahr ist das Wissen wieder da“, hat der Siegburger die Erfahrung gemacht. „Dann kann man wieder genau dort anknüpfen, wo man aufgehört hat.“ Und das bei einer Sportart, die man – neben Schwimmen – sogar bis ins hohe Alter betreiben könne: „Der älteste Mitspieler des Vereins ist 87.“

Milan Möltgen und Gesche Lindenberg, fast 16 und gerade 17, sind bereits seit zirka drei Jahren beim Jugendtraining dabei. Beide treten nicht so gern bei Turnieren an, für sie ist Schach eher Hobby und Vergnügen ohne zu starkes Leistungsdenken. Milan spielt seit der sechsten Klasse im Siegburger Verein. „Es ist unglaublich schön, wenn man eine gute Figurenkombination hat, um den Gegner auszutricksen“, sagt der Schüler des Gymnasiums Alleestraße. „Genau das wollte ich auch sagen“, lacht Gesche.

Neue Spielorte und Spielzeiten

„Es gibt ja unendlich viele Kombinationen, mehr als Atome im Weltall“, schwärmt die 17-Jährige. Sie geht an die selbe Schule wie Milan, er holte sie damals zum Schachclub. Gesches Großvater sei relativ hoch in der Liga in Österreich, erzählt sie. Daher war ihr das Spiel auch schon vertraut. „Jetzt hatten wir durch Corona eine Pause und haben fast ein Jahr nicht im Verein spielen können.“ Erst seit einigen Monaten fänden die Treffen wieder regelmäßig im Ausweichquartier Marienheim statt.

Eigentlich trainierten die Vereinsmitglieder im Seniorenheim, auch der eine oder andere Bewohner trat dort gegen die Spieler an. Die Mannschaftskämpfe fanden in den Konferenzräumen des Helios Klinikums statt. Beides sind nun Orte, die man in Zeiten der Pandemie ohne triftigen Grund nicht mehr aufsuchen darf. Das Vereinslokal ist nun das Marienheim, und auch der Vereinsabend wanderte von Donnerstag auf Freitag: „Viele Eltern sind freitags eher bereit, ihre Kinder zum Schach zu bringen, weil am nächsten Tag keine Schule ist“, so Vorsitzender Benesch.

Stimulation beider Gehirnhälften

„Die Kinder sind immer mehr durchgetaktet“, berichtet der 64-Jährige. „Und wenn die Noten schlechter werden, fällt meist als erstes Schach weg.“ Von zehn Kindern führe nur eines den Denksport im Jugendalter fort, von zehn Jugendlichen seien es jedoch meist zwei, die auch als Erwachsene weiterspielen. Die Erfolgsserie „Das Damengambit“, die vor einem Jahr alle mit der Geschichte eines jungen weiblichen Schachgenies in Atem hielt, habe entgegen aller Vermutungen nicht zu einem größeren Zulauf zu seinem Verein gesorgt, sagt Benesch: „Das fiel ja mitten in die Lockdownzeit.“ Er selbst habe die Miniserie ohnehin nicht gesehen.

Wenn es irgendwie möglich ist, wird der erste Vorsitzende das Training im Schachverein auch in den kommenden Monaten weiter ermöglichen. „Schach hat den Riesenvorteil, dass es beide Gehirnhälften gleichzeitig stimuliert“, so Benesch. „Es hilft, die Brücke zwischen beiden stärker zu machen.“ Das Gehirnjogging sei wichtig, ein altersübergreifender und nicht zwischen Geschlechtern unterscheidender Sport. Die meisten beim Training Anwesenden tragen Masken. Und die Mannschaften müssen sich ja auch auf die Turniere vorbereiten – die neue Schachsaison hat gerade begonnen.

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