Siegburger Komponist Humperdinck "Es spricht immer der Mensch"
SIEGBURG · Meist nennt Daniela Goebel ihn sachlich EH, manchmal auch liebevoll "Humpi". So haben ihn allerdings bereits auch seine Zeitgenossen Hugo Wolf und Anton Bruckner genannt, räumt sie fachkundig ein. Goebel hat sich zehn Jahre wissenschaftlich mit Engelbert Humperdinck auseinandergesetzt und dabei eine dreibändige Doktorarbeit über seine "Musikreferate" erstellt.
Seine fachlichen Seiten schätzt sie aber nicht alleine, auch seine persönlichen Seiten kennt die Frankfurter Musikwissenschaftlerin nach intensivem Studium seiner Tagebucheinträge in- und auswendig. Mit der frisch promovierten Musikwissenschaftlerin sprach Susanne Haase-Mühlbauer über Humperdinck, Siegburg und verborgene Schätze.
Wieso ausgerechnet Humperdinck?
Daniela Goebel: Neben Musikwissenschaft interessiere ich mich auch sehr für Sprache. Und Humperdincks Musikkritiken, mit denen er neben seinem Lehrauftrag seinen Lebensunterhalt vor dem eigentlichen Durchbruch als Opernkomponist bestritt, waren gänzlich unerforscht. Dann sprach mich der Frankfurter Professor Peter Cahn in der Uni-Bibliothek auf die "Musikreferate" an, und ich wusste sofort, dass das mein Thema ist. Auch die Bekanntschaft mit der Komponisten-Enkelin Eva Maria Humperdinck war sehr anregend.
Was ist Humperdinck denn für Sie mehr: Komponist oder Kritiker?
Goebel: Ganz klar Komponist. Aber er musste vor seinem Erfolg mit "Hänsel und Gretel" auch seine Frau und Familie ernähren. Und da waren 100 Reichsmark bei der Frankfurter Zeitung ein sicheres Einkommen.
Was machte seine Kritiken so besonders?
Goebel: Er war natürlich fachkundig, aber auch sehr persönlich. Seine Texte zeigen im Gleichklang mit den Tagebuch- oder Kalendereinträgen viel Emotionales. Er konnte auch sehr humorvoll sein. In mehr als 500 Referaten, die ich hauptsächlich in der Frankfurter Zeitung entdecken konnte, habe ich festgestellt, das bei Humperdinck immer der Mensch spricht. Und da ich selbst auch viele Jahre als Kritikerin gearbeitet habe, hat mir der Ansatz, dem Leser auch fachlich immer etwas mitzugeben, sehr gefallen.
Bonn ist Beethovenstadt, Wien und Salzburg sind Mozartstädte. Wie beurteilen sie Siegburg als Humperdinckstadt?
Goebel: Es gibt ein Humperdinck-Musikfest, die Humperdinckfreunde, einen Kompositionspreis und die Humperdinck-Werkstatt. Alle sind sehr liebevoll und mit Engagement um den Nachlass des Komponisten bemüht. Das hätte Humperdinck ganz sicher sehr gefallen. Wenn ich von Frankfurt komme und den ICE verlasse, fühle ich mich vom ersten Moment an in der Humperdinckstadt Siegburg.
Hat Humperdinck Sie an manchen Stellen überrascht?
Goebel: Ja! Es hat mich verblüfft, dass der Witwer 1920, ein Jahr vor seinem Tod, noch einmal heiraten wollte. Er schrieb diese Absicht in einem Brief an seinen Sohn Wolfram, aber es ist nicht bekannt, wer die Dame war. Es fehlt halt doch noch einiges ...
Humperdinck wurde immer im Schatten Wagners gesehen. Ist er für sie aus Wagners Schatten herausgetreten?
Goebel: Er hatte einen eigenen Stil, natürlich im Sinne Wagners, aber er war auf ganz eigene Weise der Melodik und dem Volkslied verbunden. Er hat nichts nachgemacht.
Welche Schätze birgt Siegburg noch für Sie in Sachen Humperdinck?
Goebel: Seit Anfang Juli bin ich in der Musikwerkstatt als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit dem Engelbert-Archiv befasst. Auch der Nachlass des Sohnes, Wolfram Humperdincks müsste noch bearbeitet werden. Das sind etwa 50 Kisten Briefe, Autographe und Regiebücher, die es zu orten gilt. Da gibt es noch viele Schätze...
Von ihrer Arbeit im Archiv wird Daniela Goebel am 30. anuar 2014 bei einem Museumsgespräch berichten. Zwei weitere Vorträge sind ebenfalls geplant.
Engelbert Humperdinck und Siegburg
Engelbert Humperdinck wurde am 1.September 1854 in Siegburg geboren, im heutigen Stadtmuseum am Markt. Das Haus war zu dieser Zeit Städtisches Progymnasium, sein Vater Gustav arbeitete dort als Rektor und bewohnte die Dienstwohnung im ersten Stock des Gebäudes. Humperdinck besuchte die Schule in Siegburg und Paderborn, wo er 1871 seine Abiturprüfung ablegte. Siegburg verfügte zu dieser Zeit noch nicht über eine gymnasiale Oberstufe. Nach einer angefangenen Bauzeichnerlehre in Siegburg studierte er in Köln Musik und startete seine Karriere als Musikkritiker in Frankfurt, Dozent und Komponist in Bayreuth bei Richard Wagner, Boppard und Berlin. Für das Alter plante er eine Rückkehr ins Rheinland, zu dem er sich mit Liedern wie dem "Rheinlied", "Am Rhein" oder dem Orchesterwerk "Die Glocke von Siegburg" bekannte. An seine Geburtsstadt erinnert sich der Komponist in seiner autobiografischen Erzählung "Die Zeitlose" im Frühjahr 1921 liebevoll zurück. Lebhafte Erinnerungen hat Humperdinck an den Gasthof "Zum Stern", den Marktplatz und die Servatiuskirche mit der Marienfigur im Altarraum. Dort spricht er von einer "seligen Kinderzeit". Er starb am 27.September 1921 in Neustrelitz, wo sich sein Grab befindet.
Zur Person
Daniela Goebel wurde 1965 in Darmstadt geboren, studierte nach dem Abitur in Frankfurt Musikwissenschaften, Kunstgeschichte und Germanistik. Daneben absolvierte sie am Frankfurter Konservatorium ein Studium der Blockflöte und des Klaviers. Im vergangenen Jahr hat sie über die Musikreferate Engelbert Humperdincks promoviert. Aktuell ist die Musikwissenschaftlerin mit dem Nachlass des Humperdinck-Sohnes Wolfram, der als erfolgreicher Regisseur Karriere machte, beschäftigt. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann Frank in Frankfurt.