GA-Serie "Eine Stunde mit..." Heimleiter Werner Christmann will kein "Sozialromantiker" sein

SIEGBURG · Werner Christmann hilft gerne jungen Menschen. Christmann ist Heimleiter im Don-Bosco-Haus - und er hilft "Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die kriminell geworden sind, ihre Haftstrafe verbüßt haben oder kurz vor der Inhaftierung stehen, dabei, wieder Fuß in der Gesellschaft zu fassen", wie er sagt.

 Teamarbeit: Werner Christmann und Mira Vuylsteke besprechen notwendige Maßnahmen.

Teamarbeit: Werner Christmann und Mira Vuylsteke besprechen notwendige Maßnahmen.

Foto: Paul Kieras

Und die Zeit drängt dabei. Denn Christmann hat für jeden der Bewohner nur 18 Monate Zeit. Dann stellt der Landschaftsverband Rheinland, Träger der Einrichtung, die vom Katholischen Verein für Soziale Dienste (SKM) geführt wird, die Zahlungen ein.

Der 56-Jährige vermeidet bewusst das Wort "Resozialisierung", er sagt "Wiedereingliederung in das soziale Gefüge der Gesellschaft". Denn er weiß aus 22 Jahre langer Erfahrung, dass die meisten Bewohner "noch nie integriert beziehungsweise gesellschaftskonform sozialisiert" waren und zeigt damit das Problem auf, mit dem er zu kämpfen hat.

Die Männer zwischen 18 und 25 Jahren sind Waisen, stammen aus zerrütteten Familien oder haben den Kontakt verloren. Sie besitzen weder Schulabschluss noch Ausbildung, sind meist hoch verschuldet und fast alle abhängig von Alkohol und Drogen.

"Wir müssen jedes Mal bei Null anfangen", sagt der studierte Theologe, Philosoph und Soziologe, der jeden Arbeitstag damit beginnt, die Bewohner zu wecken, die keinem Job nachgehen. "Die müssen in kleinen Schritten einen strukturierten Tag erlernen", erklärt er und ergänzt: "Viele sind nicht einmal in der Lage aufzustehen."

Es sei wichtig, sie nach und nach an Verantwortung und Arbeit heranzuführen. Den Rundgang macht Christmann auch deshalb, weil er nicht noch einmal eine böse Überraschung wie vor einigen Jahren erleben möchte. Da fand man erst nach Tagen einen aus der Haft Entlassenen auf dessen Zimmer, der mit seinem Entlassungsgeld Heroin gekauft hatte und an einer Überdosis starb.

Jeder der zurzeit 17 Bewohner muss "sein Revier säubern", erzählt der Heimleiter, während er nach dem gerade beendeten Gang durchs Haus jetzt mit Sozialarbeiterin Mira Vuylsteke, die seit Oktober 2012 Mitglied im vierköpfigen Team ist, die Geldtüten für "Ersatzdienste" bestückt.

Wer nämlich "keinen Bock hat, lässt andere die Reinigung für sich erledigen", sagt Christmann. Meistens sind das die "Narzissten", wie er sie nennt, "Größenwahnsinnige", die sich für Weltmeister hielten und erst einmal wieder "runtergeholt werden müssen". Diesen Bewohnern wird ein bestimmter Betrag vom wöchentlich gezahlten Taschengeld abgezogen und demjenigen gutgeschrieben, der den "Ersatzdienst" geleistet hat.

Anspruch haben die Bewohner auch auf Verpflegungsgeld, zudem erhalten sie Lohn für Leistungen, die sie in der - verpflichtenden - Arbeitstherapie erbringen. Das sind Schreinerarbeiten in der hauseigenen Werkstatt oder Haushaltsauflösungen.

Mira Vuylsteke und Werner Christmann lachen viel, sonst sei der Alltag aber auch nicht zu bewältigen, sagen beide. Ein gewisser Sarkasmus gehöre dazu, und auch Abstand zu den Dingen. Auf der anderen Seite dürften sie "nichts anbrennen lassen", jedes Fehlverhalten müsse angesprochen, auf jede Handlung sofort reagiert werden. Wer nicht mitzieht, muss gehen, das gilt für Gewalttäter ebenfalls.

Aber auch die Motivation und Stärkung des Selbstbewusstseins sind unerlässlich bei der Resozialisierung. Immer konsequent bleiben heißt es für die Sozialarbeiter, den Bewohnern den Spiegel vorhalten und ihnen somit die Chance geben zu lernen. "Neulich hat bei mir jemand die Tür geknallt, da bin ich hoch und hab' seine Tür gleich mehrfach hintereinander zugeschlagen", berichtet Christmann und lacht wieder: "Der hat verstanden, danach war Friede!"

Er sei kein "Sozialromantiker" wie viele Kollegen, erklärt Christmann, "niemand der alles schönredet und den Betreuten jeden Handgriff abnimmt". Die müssten ihr Leben selbst regeln lernen, ohne ständige fremde Hilfe. Das Telefon läutet, er bestätigt ein Vorstellungsgespräch.

Obwohl Lügen, Täuschen und Betrügen an der Tagesordnung sind und der gebürtige Pole oft keinen Sinn im dem sah, was er machte, kann er sich heute an positiven Entwicklungen der Männer erfreuen - ebenso wie daran, dass ihn immer wieder "Ehemalige" besuchen, aus denen "etwas geworden ist".

Längst hat er begriffen, dass man nicht wütend sein darf, sondern akzeptieren muss, dass die Heimbewohner Defizite haben. Emotionen spielen dennoch eine große Rolle. " Denn ich will ja eine Beziehung zu den Menschen aufbauen, ohne die lassen sich keine Werte vermitteln", sagt er.

Vor dem letzten Termin hat er noch ein "Kriseninterventionsgespräch" zu führen". Alex lässt sich gehen. "Da besteht Klärungsbedarf, nur nix anbrennen lassen", sagt der Sozialarbeiter und ist durch die Tür.

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