Stadtmuseum Hexenjagd im mittelalterlichen Siegburg

SIEGBURG · Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger berichtet über neue Forschungsergebnisse - Schlechter Ruf führte auf den Scheiterhaufen - Bürgermeister Kortenbach lässt mindestens 37 Menschen hinrichten.

 Zurück in die Vergangenheit: Im so genannten Hexenkeller im Siegburger Stadtmuseum erinnern Namen und Daten an Menschen, die zwischen 1636 und 1638 ihr Leben auf dem Scheiterhaufen lassen mussten.

Zurück in die Vergangenheit: Im so genannten Hexenkeller im Siegburger Stadtmuseum erinnern Namen und Daten an Menschen, die zwischen 1636 und 1638 ihr Leben auf dem Scheiterhaufen lassen mussten.

Es fing harmlos an. Die Frau des Wollwebers Christian Lindlar stritt sich mit Kunigunde Meurer um einen Ofen, in dem Brot gebacken werden sollte. So rekonstruierte Stadtarchivarin Andrea Korte-Böger den Beginn jener Ereignisse im 17. Jahrhunderts, die zu dunkelsten in der Siegburger Geschichte zählen. Der Streit hatte fatale Folgen: Der Wollweber fühlte sich von "einer beschwerlichen Krankheit befallen" und aller Kräfte quitt, zudem litt er unter "einem Verlust der Männlichkeit".

Die Schuldige war rasch gefunden: Eben jene Kunigunde Meurer habe ihm das angetan, gab der Leidende bei Bürgermeister Wilhelm Kortenbach, dem Vorsitzenden des weltlichen Schöffenkollegiums, zu Protokoll, bevor er starb. Meuerer wurde im September 1636 als Hexe auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Sie war das erste von mindestens 37 Opfern einer zwei Jahre währenden Schreckenszeit, in welche Korte-Böger rund 100 Zuhörer im Stadtmuseum mit einem zweistündigen Vortag entführte.

In der Kreisstadt des 21. Jahrhunderts erinnert nur noch wenig an die grausame Epoche inmitten der Wirren des 30-jährigen Krieges (1618 - 1648): der Hexenkeller im Stadtmuseum und der Straßenname "An der Schlade", einst Wohnsitz des Henkers am Galgenberg. Der Hexenturm auf halber Höhe der Bergstraße zum Michaelsberg erhielt laut Korte-Böger seinen Namen erst im 19. Jahrhundert, als der Heimatdichter Wilhelm Herchenbach in seinem Roman "Meister Hansen, der Scharfrichter von Siegburg" die Hexenprozess in den ehemaligen Wachturm verlegt.

Zu verstehen sind die düsteren Verfolgungen nur aus der Zeit heraus, in der die tiefgläubigen Menschen ob fehlenden Besserwissens immer noch an gute und böse Blicke glaubten und laut Korte-Böger "magische Akte eine hohe Bedeutung besaßen". In dem steten Seelenringen von Gut gegen Böse, von Gott und Kirche gegen Zauberer und Ketzer spiegelte sich ein oft entbehrungsreiches Leben wider, das voller Schmerzen war und erst der Tod Aussicht auf Erlösung in Gottes himmlischem Reich verhieß. Die Kirche hatte schon im Mittelalter Zauberei und Ketzerei als Werk des Teufels unter Strafe gestellt, ahndete diese Delikte allerdings selten.

Mit dem Hexenbegriff entwickelte sich dann aber im 15. Jahrhundert ein vollkommen neuer Straftatbestand mit hoher Durchschlagskraft. Die Hexe, die sich vor allem durch den "Teufelspakt" und die "Teufelsbuhlschaft" von Gott und der Gemeinschaft abgewendet hatte, die am Hexensabbat teilnahm und mit ihrem Schadenzauber die Menschen schädigte, war fortan vom einfachen Volk als "Teufelsdienerin" gefürchtet.

Vor allem in Krisenzeiten wuchs vielerorts eine Atmosphäre ständiger Vorsicht, der Beobachtungen und Verdächtigungen heran. Anfang des 16. Jahrhunderts, zogen zwei päpstliche Abgesandte durch die deutschen Lande und machten Stimmung mit dem Buch "Der Hexenhammer", einer 1487 gedruckten Anleitung zum Erkennen und Bekämpfen von Hexen.

Gleichwohl begann der "Hexenhammer" erst 100 Jahre später zu kreisen, was Korte-Böger so erklärt: "Es gab vor allem im Zuge der Religionskriege eine große Verunsicherung. Die anhaltende wirtschaftliche Not und ein neues Rechtssystem taten ein Übriges." Um 1580 brachen die Verfolgungen los, keineswegs nur in Siegburg. Vielmehr war die Hexenjagd ein Phänomen, das bis 1680 im gesamten Heiligen Römischen Reich deutscher Nation wütete.

Weitaus schlimmer betroffen als Siegburg waren beispielsweise die linksrheinischen Orte Meckenheim, Rheinbach und Flerzheim. Dort sorgte der berüchtigte Eiferer Franziskus Buirmann, ein Jurist und Hexenexperte, für viel Unheil. "Wo der Bluthund Buirmann war, brannten die Feuer", weiß Korte-Böger. In den Orten wurden zwischen 1631 und 1638 laut Hexenexperte Thomas Becker von der Uni Bonn rund 130 Menschen Opfer des Hexenwahns. Von dem furchtbaren Wüten kündet ein einzigartiges Dokument: "Die Wemütige Klage" des ehemaligen Rheinbacher Schöffen Hermann Löher, der vom Aktivisten zum vehementen Gegner der Hexenprozesse wurde.

Auch räumt die Stadtarchivarin mit Fehlinformationen auf. So sei es bei der Hexenverfolgung nicht wie bei der Inquisition um die Reinerhaltung der Lehre gegangen. Vielmehr zielte ein weltliches Gerichtsverfahren auf eine Personengruppe, "die angeblich im Pakt mit dem Teufel standen und sich damit außerhalb der christlichen Gemeinschaft gestellt hatten". In Siegburg setzt sich erst 1636, gut 30 Jahre nach dem Beginn heftiger Verfolgungen in Köln, mit dem Prozess gegen Kunigunde Meurer der unheilvolle Mechanismus in Gang. Warum zu dem Zeitpunkt, macht Korte-Böger an Personen unabhängig der Konfessionen fest. "Je verfolgungswilliger ein Landesherr war, desto mehr." In Siegburg passte die Faustregeln.

Nachdem der oberste Gerichtsherr, Abt Bertram von Bellinghausen, zwei Jahre lang amtsmüde in Köln weilte, setzte Kortenbach als Vorsitzender des weltlichen Gerichtes sein blutiges Regime in Gang, war selbst, wie im Falle der Kunigunde Meurer, der Wegbereiter. Weil auch er sich von der Frau verhext glaubte, seine dicke Backe ihrem bösen Blick zuschrieb, stimmten die Schöffen der Hinrichtung zu.

Immer mehr Menschen wurde der Prozess gemacht, wobei Kortenbach inzwischen willfährig auch jener Bluthund Buirmann assistierte. Fatal war: Die Hexenprozesse endeten nicht nur für die Angeklagten, die die göttliche Gemeinschaft aufgekündigt hatten, stets mit dem Tod. Auch war der stereotype Verlauf so angelegt, dass zwangsläufig immer neue Personen in den Verfolgungsmechanismus gerieten.

Dafür sorgte der "Hexentanz", der nichts anderes war, als Denunziation unter der Folter: Auf die Frage, wen sie noch bei ihrem satanischen Treiben gesehen hätten, gaben die Gepeinigten weitere Namen von ''verhexten Bürgern'' preis. "Um die Seele der Glaubensabtrünnigen zu retten, wurde hier die Folter - anders als bei herkömmlichen Prozessen - bis zum Geständnis angewendet", erklärt Korte-Böger. Die Folter war jedoch kein Werkzeug der Hexenprozesse, sondern ein bis dato übliches Mittel der Rechtsfindung.

Furchtbar war etwa das Martyrium der 48-jährigen Tringen Vogt, das 19 Tage dauerte und anhand der erhaltenen Prozessakten - 19 sind vollständig erhalten - genau dokumentiert ist. Es beginnt mit Beinschrauben und einem vierstündigen Aufhängen an Händen und Füßen. Dreimal erpressen ihre Peiniger auf dem Marterstuhl ein Geständnis, das die Frau jedoch stets widerruft. Nach dem vierten Mal wird sie schließlich erdrosselt und anschließend verbrannt.

Laut Korte-Böger hatten es die Obrigkeiten in Siegburg keineswegs bloß auf die Mitglieder reicher Familien abgesehen. Denn anders als in Köln wurde das Vermögen der Delinquenten nicht eingezogen. Auch handelte es sich keineswegs - wie die Emanzipationsbewegung glauben machen wollte - bei den Verfolgten um besonders selbstbewusste Frauen wie Hebammen. Vielmehr wurden in Siegburg in erster Linie alte, arme und alleinstehende Frauen Opfer der Verfolgungen.

Unter den insgesamt 37 belegten Opfer waren auch vier Männer, was der Quote im Rheinland entsprach: 20 Prozent der Hingerichteten waren Männer. Gefährdet waren in Siegburg vor allem jene mit einem schlechten Ruf und besonders geschwätzige und introvertierte Frauen. Ihnen wurde etwa nachgesagt, sie verbreiteten Impotenz und Furunkel - Beleg für Hexenkräfte, was unweigerlich den barbarischen Prozess in Gang setzte. Warum von den vielen Namen, die in Protokollen verzeichnet sind, nur relativ wenige verfolgt wurden, kann sich Andrea Korte-Böger noch nicht erklären.

Wichtig scheint für den damaligen Bürgermeister jedoch gewesen zu sein, "Furcht unter der Bevölkerung zu schüren". Erst die Rückkehr des Abts im Juli 1638 setzte Kortenbachs tödlichem Tun ein jähes Ende. Wenige Tage zuvor hatte der Bürgermeister die letzte Hexe auf den Scheiterhaufen gebracht. Auch der Name von Tringen Gneßköpper steht auf der Marmorplatte im Hexenkeller nachzulesen, nur wenige Meter entfernt, wo am Abend wieder Menschen den Worten Korte-Bögers im Museum lauschen werden.

Im zweiten Teil des Siegburger Museumsgespräches geht es am Donnerstagum die "Hexengesstalten in Humperdincks Werk". Ab 18.30 Uhr referieren Andrea Korte-Böger und Bernd Distelkamp. Der Eintritt ist frei.

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