Siegburger Visionen Hochstraße und Hochhäuser: So stellte sich Siegburg die Zukunft vor

SIEGBURG · Wer heute bei einem Kaffee auf dem Siegburger Marktplatz sitzt und das besondere Flair der Fußgängerzone genießt, kann sich nicht vorstellen, dass dort einmal der Durchgangs- und Schwerlastverkehr quer durch die Innenstadt hergeführt werden sollte. So war es von der Kreisverwaltung und dem Landesstraßenbauamt in den 60er Jahren vorgesehen.

 Fotomontage aus den 70er Jahren: Der Ostring hätte sich als Hochstraße um den Michaelsberg gerankt.

Fotomontage aus den 70er Jahren: Der Ostring hätte sich als Hochstraße um den Michaelsberg gerankt.

Foto: Stadtarchiv Siegburg

Es ist nur eine von mehreren Horrorvisionen, die letztlich verhindert werden konnten. Rolf Krieger, von 1989 bis 1995 ehrenamtlicher Bürgermeister und dann bis 2004 hauptamtlich an der Spitze, erinnert sich mit Schaudern: "Die Stadt wäre zerrissen worden."

Der aus heutiger Sicht städtebauliche Schildbürgerstreich resultierte aus dem damaligen Bestreben, einer ständig steigenden Zahl an Autos in den Innenstädten gerecht zu werden. Man habe nur den Verkehr im Blick gehabt, keine "menschengerechte" Lösung mit Raum für Fußgänger und einer humanen Stadtgestaltung, so Krieger. In vielen Städten wurden daher ganze Straßenzüge zur Anlage neuer Trassen abgerissen.

Siegburg stand vor dem gleichen Schicksal. Wäre die Umsetzung eines bei der "Arbeits- und Forschungsgemeinschaft für Straßenverkehr und Verkehrssicherheit" in Auftrag gegebenen Gutachtens (Generalverkehrsplan) im Rat beschlossen worden, hätte es "Siegburg in der heutigen Form nie gegeben", ist Krieger sicher.

Während er mit einer Handvoll Gleichgesinnter dafür stritt, vorrangig eine Fußgängerzone einzurichten und den Verkehr aus dem Stadtzentrum zu halten, hatten die Planer in erster Linie den reibungslosen Verkehrsfluss in direkter Nähe des Zentrums im Auge. Zu den beabsichtigten Ungeheuerlichkeiten, die heute nur noch Kopfschütteln hervorrufen, gehörte auch eine breite Autotrasse von der "Goldenen Ecke" durch die Holzgasse bis zum heutigen Caféhaus und von dort in einem vierspurigen Fahrbahnschwenk zur Johannesstraße. Bei der baulichen Neugestaltung schreckte man ebenfalls vor nichts zurück. Zwischen Kaiserstraße und der geplanten Trasse (Cecilienstraße/ Scheerengasse) waren bis zu elfgeschossige "seelenlose Geschäfts- und Wohnungs-Betonklötze" vorgesehen, "die das ganze Stadtbild verschandelt hätten", so Krieger.

Verschont geblieben ist die Stadt darüber hinaus von einer weiteren Absurdität, die lange Zeit im Gespräch war. Im Generalverkehrsplan wurde angeregt, die Zeithstraße vom Verkehr zu entlasten und eine Verbindung zu den Ortsteilen Stallberg, Kaldauen und Braschoß über die Straßen "Viehtrift" und "Auf der Papagei" zu schaffen. Das hätte eine überbreite Straße parallel zur Zeithstraße bedeutet. Die Häuser einer kompletten Straßenseite "Auf der Papagei" wären der Abrissbirne zum Opfer gefallen. Den Vogel schossen die Planer aber mit der Innenstadttangente, dem sogenannten Ostring, ab, die 1966 erstmalig im Gespräch und in den 70er Jahren endgültig vom Tisch war. Kurz vor der Beschlussfassung im Rat nahm der damals gerade in den Rat gewählte Rolf Krieger den Generalverkehrsplan einmal genauer unter die Lupe. Die "Stadtschnellstraße" verlief danach als Hochstraße von der Bonner Straße (B 56) kommend um den Michaelsberg herum und in nördlicher Richtung bis zu einem Anschluss an die Aulgasse.

Der absolute Wahnsinn: Die vierspurige Trasse sollte über die südlichen und östlichen Grünflächen des Michaelsberges auf Betonstelzen geführt werden. Der Mühlentorplatz als zentraler Verkehrsknotenpunkt, der Mühlengraben teilweise zubetoniert. Im Bereich Wellenstraße und Brandstraße hätten sich über 140 Meter gleich drei Straßenzüge in wahren Betonlandschaften ergossen, zählt Krieger die unvorstellbaren Folgen einer Verwirklichung des Vorhabens auf. Kein Verantwortlicher der Verwaltung schien den 142 Seiten starken Plan gelesen zu haben. Ebenso wenig die Ratsmitglieder. Auf den Hinweis Kriegers bezüglich des "Irrsinns auf Stelzen" herrschte ungläubiges Staunen, der Beschluss wurde aber dank seiner Überzeugungskraft verschoben.

"Als studierter Geograf mit dem Schwerpunkt auf Städteplanung konnte ich den Plan lesen", erinnert sich Krieger, "das konnten andere nicht". Damals sei es aber auch üblich gewesen, Vorlagen und Plänen der Verwaltung zuzustimmen, ohne sie zu prüfen. "Man vertraute obrigkeitshörig auf deren Fachkenntnis." Eine Lösung, den Verkehr aus dem Zentrum zu halten und den Fernverkehr abzuleiten, fand die Stadt schließlich über die Weier-/Luisen-/Augusta- und Wilhelmstraße. Als Alternative zur Autobahn über den Markt wurde zudem eine Entlastung über die Frankfurter Straße, Wilhelm-Ostwald-Straße, Dammstraße und Wolsdorfer Straße eingerichtet.

In Siegburg hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass verkehrstechnische Anlagen nicht das Stadtbild zerstören und sprengen dürfen. Die verkehrsfreie Fußgängerzone von der Kaiserstraße bis hinunter zum Bahnhof, von der Holzgasse bis zum Markt ist heute eine Selbstverständlichkeit, die aber lange Zeit - sogar von den Geschäftsleuten - bekämpft wurde.

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