Platzmangel durch großen Andrang Kreis-Förderschulen stehen weiter vor ungewisser Zukunft

Rhein-Sieg-Kreis · Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten die Kreis-Förderschulen für Emotionale und Soziale Entwicklung um ihre Existenz bangen. Jetzt plagen sie neue Probleme: Mit steigenden Schülerzahlen gibt es immer weniger Platz.

 Schüler an der Richard-Schirrmann-Schule bewerten im Unterricht ihr eigenes Verhalten.

Schüler an der Richard-Schirrmann-Schule bewerten im Unterricht ihr eigenes Verhalten.

Foto: Marcel Dörsing

Es ist gar nicht lange her, da hatte Jürgen Heinzer nicht mehr geglaubt, dass seine Schule noch lange fortbestehen werde. 2013 forcierte die ehemalige rot-grüne Landesregierung eine flächendeckende Umgestaltung der Schullandschaft im Sinne der Inklusion, die Zahl der Förderschulen sollte verringert werden. Auch im Rhein-Sieg-Kreis mussten Einrichtungen schließen. Zurzeit beschäftigt den Schulleiter der Richard-Schirrmann-Schule (RSS) in Hennef allerdings etwas ganz anderes: Wohin mit all den neuen Schülern?

„In den vergangenen beiden Jahren haben wir 15 bis 20 Erstklässler aufgenommen. Das hat es noch nie gegeben“, sagt Heinzer. Die RSS ist eine von drei Förderschulen für Emotionale und Soziale Entwicklung (ES), die der Rhein-Sieg-Kreis betreibt. Seit dem Schuljahr 2011/12 ist die Zahl der Schüler an den ES-Förderschulen des Kreises um mehr als 37 Prozent gestiegen. Derzeit besuchen 152 Schüler die RSS. „Angefangen haben wir 1978 mit sechs Jungen und einem Mädchen“, blickt Heinze zurück. 2018 feiert die Hennefer Schule das 40. Jahr ihres Bestehens. Aus diesem Anlass lud die Schule für Freitag zu einem Fachtag ein, der unter dem vielsagenden Motto „Quo Vadis schulische Erziehungshilfe?“ stand.

Tatsächlich befinden sich die ES-Förderschulen im Kreis in einer schwierigen Lage: Gerade noch in ihrer Existenz bedroht, suchen die Schulen und ihr Träger, der Rhein-Sieg-Kreis, derzeit händeringend nach neuen Räumen und Ausbaumöglichkeiten. Die RSS bezog etwa am Standort in Siegburg-Zange zwei weitere Klassenräume des Berufskollegs. Auch am Standort Hennef laufen Sanierungs- und Ausbauarbeiten. Gleiches gilt für die Waldschule in Alfter, die zwei weitere Teilstandorte in Oedekoven und Rheinbach bezogen hat.

Lösung würde vor allem Schülern zu Gute kommen

Auf der anderen Seite schwebt über den Schulen eine Verfügung der Bezirksregierung wie ein Damoklesschwert. Danach fordert das Land, dass die an den ES-Förderschulen im Kreis unterrichteten Klassen 5 und 6 geschlossen werden. Grund: Zulässig seien nur Förderschulen mit reiner Primarstufe (Klassen 1 bis 4) oder mit vollständiger Sekundarstufe I (bis Klasse 10). Im Zweifel könnte dies sogar noch zu einer Verkleinerung der Schulen führen. Bereits zweimal hat die Kreisverwaltung einen Aufschub erwirkt – zuletzt verlängerte das Landesministerium für Schulen die Duldung der landesweit einmaligen Orientierungsstufe an den ES-Förderschulen bis zum Ende des laufenden Schuljahrs. „Bei Eltern, Lehrern und auch im System sorgt das natürlich für Unruhe“, sagt Heinzer.

Sollten Kreis und Land keine Lösung für das Problem finden, wären Schüler und Eltern die Hauptleidtragenden, erklärt Heinzer. Denn die Orientierungsstufen an den Kreisförderschulen erleichterten die Rückschulung der Kinder, etwa an Sekundar- und Gesamtschulen. Denn: „Auch an anderen Schulformen herrscht großer Andrang“, so Heinzer. Mit der jetzigen Praxis gelänge es, rund 70 Prozent der Schüler der RSS zurückzuschulen.

Das Ministerium und der Kreis suchten nach einer rechtskonformen Lösung, erklärt Hans Clasen, Leiter des Schulamtes des Kreises, auf GA-Anfrage. Bisher ohne Erfolg. Die Möglichkeit, einen sogenannten Schulversuch zu stellen, der zumindest über sechs Jahre Sicherheit böte, sei von den Schulleitungen abgelehnt worden. „Sie befürchten, dass dieser Schritt,weitere Verunsicherung bei den Eltern auslösen könnte“, so Clasen. Eine grundsätzliche Lösung wäre laut dem Schulamtsleiter nur durch Änderung des Gesetzes möglich – bislang gebe es hierfür aber keine Signale vom Ministerium. Immerhin: „Wir gehen davon aus, dass es das Ministerium auch im nächsten Schuljahr bei der jetzigen Regelung belässt“, so Clasen. Und die Aufgaben für sonderpädagogische Förderung dürfte künftig kaum geringer werden, angesichts einer Zunahme der Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern sowie der Fälle in Jugendhilfe und Kinder- und Jugendpsychiatrie, wie Experten der Podiumsdiskussion bekräftigten – darunter Kinderpsychiater Peter Melchers und Horst Peters, Leiter der ES-Förderschule Sankt Ansgar in Hennef.

Heinzer: „Wir erleben, dass überhöhte gesellschaftliche Ansprüche Eltern überfordern und verunsichern, sodass der natürliche Erziehungsinstinkt überlagert wird.“ Seine Hoffnung für die Zukunft der Erziehungshilfe: „Sie benötigt mehr Raum, mehr Personal und eine engere Vernetzung von Förder- und Regelschulen.“

Ihr 40-jähriges Bestehen feiert die RSS in einer Projektwoche mit abschließendem Schulfest vom 30. April bis 5. Mai.

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