Neues Konzept Landrat Schuster will Wohnungsbau im Rhein-Sieg-Kreis voranbringen

RHEIN-SIEG-KREIS · Um den Wohnungsbau wurde im Siegburger Kreistag zuletzt heftig gestritten. Jetzt hat Landrat Sebastian Schuster ein neues Instrument entdeckt, das der Debatte eine neue Richtung geben könnte.

Landrat Sebastian Schuster.

Landrat Sebastian Schuster.

Foto: Holger Arndt

Kennen Sie jemanden in Ihrem Umfeld, der händeringend Wohnraum sucht oder gesucht hat?

Sebastian Schuster: Das erlebe ich immer wieder. Meine Tochter hat mit ihrem Freund in Bechlinghoven zur Miete gewohnt. Die beiden haben nach einem Baugrundstück gesucht und haben es weder in Bonn noch im Rhein-Sieg-Kreis gefunden. Das Bauland war weder verfügbar noch bezahlbar. Nach einem Jahr Suche haben sie sich entschieden, nach Rheinland-Pfalz zu ziehen. Jetzt haben sie oberhalb von Erpel ein Haus gebaut.

Müssen sich Wohnungssuchende darauf einstellen, dass sie in der Region nur sehr teuer oder ganz weit draußen wohnen können?

Schuster: Das ist so. Der Wohnraum entlang der Rheinschiene ist knapp und teuer. Die Entwicklung geht derzeit dahin, dass man längere Wege zwischen Wohn- und Arbeitsort in Kauf nehmen muss. Hier gegenzusteuern, wird eine unserer großen Aufgaben sein. Hinzu kommt, dass aus Köln und Bonn Einwohner zu uns ziehen, weil der Wohnraum hier noch vergleichsweise erschwinglich ist. Der Kreis wächst also auf Dauer.

Das vom Kreis in Auftrag gegebene Empirica-Gutachten von 2016 hat festgestellt, dass bis 2030 insgesamt 30 000 Wohneinheiten im Kreis geschaffen werden müssen. Ist das überhaupt noch zu erfüllen?

Schuster: Mir ist zunächst mal eines wichtig: Wenn wir über den hohen Wohnraumbedarf diskutieren, dann hat das immer so einen Negativ-Touch. Wir sollten froh und stolz sein, dass wir in einer Region leben, in der es Vollbeschäftigung und Zuzug gibt. Die Nachfrage ist da, auch bei jungen Menschen. Die Region ist attraktiv, auch dank der Hochschullandschaft und interessanter Arbeitgeber. Natürlich stellt die hohe Nachfrage eine große Herausforderung dar. Aber so pessimistisch bin ich gar nicht. Wenn ich über das Land fahre, sehe ich immer wieder Bautätigkeit. Diesen Eindruck bestätigen mir teilweise auch die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister.

Was kann der Kreis konkret tun, um die Entwicklung voranzubringen?

Schuster: Grundsätzlich liegt die Planungshoheit bei den Kommunen. Denen möchte und kann ich nicht hereinreden. Ich habe aber jetzt einen neuen Ansatz gefunden. Er könnte dazu dienen, den geförderten Wohnungsbau stärker zu steuern. Das Land eröffnet die Möglichkeit, über wohnungspolitische Handlungskonzepte Kriterien für die Mittelvergabe zu schaffen. Bislang werden die Fördermittel beim Kreis – 22 Millionen im Jahr – nach dem Windhund-Prinzip abgerufen. Die Investoren, die als Erste zur Stelle sind, bekommen die Mittel – und bauen dann in einer bestimmten Kommune. Dies könnte in Zukunft – nach einem abgestimmten Prozess mit den Kommunen – gezielt in geordnete Bahnen gelenkt werden.

Sie können über das Konzept Druck auf die Kommunen ausüben?

Schuster: Ich möchte Anreize schaffen. Über das Konzept könnte man einiges regeln: neben der Mittelvergabe zum Beispiel auch die Frage, wer wie viel geförderten Wohnungsbau zulässt. Auf diese Weise könnten wir zu einer ausgewogenen Entwicklung kommen. Mit dem Empirica-Gutachten und den Teilraumkonferenzen haben wir schon Vorarbeit geleistet. Das wohnungspolitische Handlungskonzept wäre der nächste logische Schritt. Es wäre nicht außergewöhnlich, dem Kreis solch eine Bündelungsfunktion zuzugestehen. Beim Thema Gewerbegebiete, Breitbandausbau oder bei der Regionale 2025 haben wir das auch gemacht. Warum nicht auch beim Wohnungsbau. Ich brauche allerdings einen klaren Auftrag von Kommunen und Kreispolitik.

Die SPD setzt bei diesem Thema auf die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft des Kreises. Sehen Sie bei ihr keine Luft nach oben?

Schuster: Die GWG kann mit ihren personellen und finanziellen Gegebenheiten nicht mehr machen als jetzt. Sie realisiert pro Jahr rund 50 Wohneinheiten – immerhin! Eine Ausdehnung der Geschäftstätigkeiten sehe ich nicht. In der GWG sind nur 12 der 19 Kreiskommunen vertreten. Die nicht beteiligten Kommunen fänden es sicherlich nicht akzeptabel, wenn wir eine Kapitalerhöhung der GWG über die Kreisumlage finanzieren würden. Dabei würden alle mitzahlen. Auch der von der SPD geforderte Verkauf der RWE-Aktien ist nicht zielführend. Die Aktien sind das Tafelsilber des Kreises, mit dem man vorsichtig umgehen sollte. Man darf bei dieser Beteiligung nicht nur auf kurzfristige Erlöse schielen, sondern muss auch die Ausschüttungen sehen, die dem Kreis zugutekommen und die die Verluste im Öffentlichen Personennahverkehr teilweise decken.

Eines der Hauptprobleme ist aber doch fehlendes Bauland, oder?

Schuster: Das ist ein Riesenproblem, das vielschichtige Gründe hat. Viele Grundstückseigentümer wollen nicht verkaufen, weil sie die Flächen lieber als stille Reserve halten. Die Frage ist, ob da der Gesetzgeber Anreize schaffen kann. Das gilt auch für die vielen großen Häuser, in denen jetzt oder in ein paar Jahren nur noch zwei Personen leben. Die Kinder sind ausgezogen, zurück bleiben die Eltern – auf 150 oder 200 Quadratmetern Wohnfläche. Man könnte ihnen doch eine Prämie dafür bieten, dass sie sich kleiner setzen, auch mit Blick auf altersgerechtes Wohnen. Ihre Häuser werden dann für Familien frei, die Platz brauchen.

Was könnten die Kommunen tun?

Schuster: Ich glaube, dass in vielen Gegenden noch mehr Verdichtung möglich ist. Die Städte und Gemeinden könnten zum Beispiel ihre Ortsabgrenzungssatzungen überprüfen und überarbeiten. An meinem Wohnort, in Königswinter-Berghausen, gibt es auch so eine Straße, bei der aufgrund einer Satzung fünf oder sechs Bauplätze einfach verschenkt sind.

Ihr Wirtschaftsförderer Hermann Tengler sagte, die Region brauche eine „dezentrale Re-Suburbanisierung“ – heißt: Vor allem die Arbeitsplatzschwerpunkte müssen entzerrt werden, damit das Gros der Pendler nicht täglich nach Bonn strömt. Wie stellen Sie sich so eine Neuordnung der Region vor?

Schuster: Wir müssen Wohn- und Arbeitsort näher zusammenbringen. Das wäre auch ein Mittel gegen die Verkehrsprobleme. Der Bonner OB Ashok Sridharan und ich werden mit den größten Arbeitgebern über ein interkommunales Mobilitätsmanagement sprechen. Darunter fallen etwa abgestimmte Arbeitszeiten oder die Möglichkeit zu mehr Home Office. Und was die räumliche Entwicklung der Region angeht, muss man nur auf die Karte schauen. In der rechtsrheinischen Nachbarschaft Bonns – also Sankt Augustin, Niederkassel, Troisdorf, Siegburg, Hennef – leben inzwischen 350 000 Menschen. Also mehr als in Bonn. Wer hätte das vor 20, 30 Jahren gedacht? Die Entwicklung war möglich, weil Infrastruktur und Mobilität gewachsen sind. Genau das haben wir auch im Zuge der Regionale 2025 vor, die das ländliche, östliche Kreisgebiet stärken wird.

Als wesentlicher Hebel für diese Entwicklung gilt der Breitbandausbau. Wie weit ist er gediehen?

Schuster: Erster Spatenstich ist Ende August in Much. Wir haben eine Förderzusage von 20 Millionen Euro, die vor allem in die Aufrüstung von Kabelverzweigern fließen. Binnen zwei Jahren haben wir dann 95 Prozent des Kreisgebiets mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von mindestens 50 MBit pro Sekunde ausgestattet. Zusätzlich bekommen alle 184 Schulen im Kreis einen Glasfaseranschluss bis ans Gebäude.

Wann kommt die gemeinsame Gewerbeflächenpolitik mit Bonn in die Gänge?

Schuster: Wir haben nun eine klare Zahlengrundlage, was den Bedarf für Gewerbeflächen angeht. Zu den 450 Hektar, die wir im Rhein-Sieg-Kreis benötigen, kommen 170 Hektar aus Bonn. Dieser Bedarf wird nun in die Landesentwicklungsplanung eingespeist. Was die Umsetzung gemeinsamer Gewerbegebiete betrifft, verhandeln die Bonner mit einzelnen Kreiskommunen, die noch Flächen in petto haben. Kosten und Einnahmen werden geteilt.

Die Abwanderung von Unternehmen ins nördliche Rheinland-Pfalz macht Ihnen keine Sorgen?

Schuster: Da sind wir dran. Die Strukturförderpolitik, die das Land Rheinland-Pfalz in unseren Nachbarkreisen betreibt, ist relativ unerklärlich. Wir wollen überprüfen, welche Fördermittel dort fließen und ob das rechtens ist. Bei den dort angebotenen Quadratmeterpreisen für voll erschlossene Grundstücke von unter 20 Euro können unsere Kommunen nicht mithalten. Auch die Überlegungen, auf der Grafschaft ein Factory Outlet Center zu errichten, sehen wir mit Sorge. Das sind Fragen, die wir landespolitisch thematisieren.

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