"Verrücktes Blut" in der Rhein-Sieg-Halle Laut, bedrohlich und respektlos

SIEGBURG · Mit "Verrücktes Blut" hat am Montagabend das von der Zeitschrift "Theater heute" vor drei Jahren als "deutschsprachiges Stück des Jahres" gefeierte Werk des türkischstämmigen Autors und Regisseurs Nurkan Erpulat und des Dramaturgen Jens Hillje in einer Inszenierung von Tina Geißinger auf dem Programm der Rhein-Sieg-Halle gestanden.

 Nur mit der Pistole schafft es Lehrerin Sonia Kelich (Johanna Kollet), sich Gehör zu verschaffen.

Nur mit der Pistole schafft es Lehrerin Sonia Kelich (Johanna Kollet), sich Gehör zu verschaffen.

Foto: Paul Kieras

Thema der Aufführung war die Migrationsdebatte, die der Autor in ein Klassenzimmer mit türkischen und arabischen Jugendlichen verlegt hat. Dort gehören rohe Gewalt, Demütigungen, sexistische Sprüche, Macho-Gehabe und Randale zur Tagesordnung.

Die Lehrerin Sonia Kelich ist mit ihren Schülern hoffnungslos überfordert. Sie zeigen keinerlei Interesse an den Bemühungen ihrer Pädagogin, ihnen etwas beizubringen. Stattdessen krakeelen sie lauthals, bedrohen und beschimpfen sie, sind undiszipliniert und respektlos.

Das Blatt wendet sich, als einem Schüler bei einem Handgemenge eine Pistole aus dem Rucksack fällt. Die Lehrerin ergreift die Chance im wahrsten Sinne des Wortes. "Ihr haltet jetzt mal die Fresse!" fährt sie den wilden Haufen an.

Mit vorgehaltener Pistole zwingt sie die Meute, Schillers "Räuber" und "Kabale und Liebe" zu spielen, um ihnen dessen idealistische Vorstellungen vom klassischen deutschen Theater nahezubringen. Ihr Ziel ist es, die Schüler in der Auseinandersetzung mit Theater und Literatur dazu zu bringen, eigene Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster kritisch zu hinterfragen.

Schüler mit Ängsten konfrontieren

Beim Rezitieren der Texte sehen sich die Schüler mit ihren persönlichen Ängsten, Unsicherheiten und Schwächen konfrontiert. Durch das Rollenspiel bekommen sie die Chance, ihre Identität zu wechseln und Eigenschaften von Personen anzunehmen, die sie im realen Leben verachten.

Im Theater nehmen sie eine andere Perspektive ein, dürfen verletzbar, gekränkt und schwach sein. Auf die Weise schafft es die Lehrerin, dass ihre Schüler die Ideen Schillers am eigenen Leib erleben und ihre Erfahrungen daraus ziehen.

Die Regisseurin war am Montag mit zur Aufführung gekommen und gab eine Einführung. Das Stück behandle "soziale Brennpunktthemen", die "noch nicht gelöst sind", bediene Klischees und Vorurteile, bei denen der Zuschauer gefordert sei, "Position zu beziehen" und sich entscheiden müsse, welche Stellung er einnehme.

Sie wies darauf hin, dass die Sprache - ordinär und vulgär - der auf Schulhöfen und in Klassenzimmer entspräche. Es gehe letztendlich um die Konfrontation der Sprache Schillers und der Ausdrucksweise der heutigen Jugend. Geißinger fügte aber auch an, Schiller habe zu seiner Zeit ebenfalls als Revolutionär gegolten und "für Ohnmachtsanfälle gesorgt".

Das Ensemble, allen voran Johanna Kollet als Lehrerin, wirkte durchweg authentisch, nie überzogen und selbst bei durchaus komischen Situationen hatte man nicht das Gefühl, die Aufführung würde in Klamauk umschlagen.

Bedauerlich, dass die Aufführung in den Herbstferien stattfand und die Halle nur spärlich besetzt war. Eigentlich gehört "Verrücktes Blut" auf den Stundenplan aller Schüler und Lehrer.

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