Volo will's wissen Moritz Rosenkranz besucht die Schatzkammer der Pfarrkirche Sankt Servatius

Siegburg · Üblicherweise braucht es ja eine Karte, wenn es darum geht, einen Schatz zu finden. Am besten uralt, angeflämmt und in zwei Teile zerrissen. Der eine ist in der Abenteurer-Westentasche, der andere schwimmt in irgendeiner Flasche auf dem Meer herum. Damit auch alles schön spannend und geheimnisvoll ist. Üblicherweise. Im Fall der Schatzkammer von Sankt Servatius in Siegburg verhält es sich etwas anders.

Um die paar Meter von der Redaktion herüberzugehen, braucht es nun wirklich keine Karte - genau 69 Schritte sind es von der Redaktions- zur Kirchentür. Und so geheim, wie das Wort Schatzkammer verspricht, ist der Ort dann auch nicht. Dafür sorgt Wolfgang Baum. Er lüftet immer wieder die Geheimnisse der Kostbarkeiten, die da über der Sakristei in Sankt Servatius ruhen. Baum, 72, führt regelmäßig durch das alte Gemäuer.

Baum ist ein Vielwisser, der nach eigener Aussage gern "vom Hölzchen aufs Stöckchen kommt". Er kennt nicht nur jeden Pinselstrich, er kann sogar erklären, von wem er ausgeführt wurde und welche Intention dahintersteckte. Klar, promovierte Kunsthistoriker wissen so etwas. Doch Baum, und das sorgt trotz all der Schätze in Sankt Servatius immer wieder für Staunen bei den Besuchern, ist Zahnarzt im Ruhestand - mit ausgeprägter Leidenschaft für (Kirchen-)Geschichte, insbesondere die von Sankt Servatius.

Bevor der Besucher die Schatzkammer aber betreten darf, muss Baum, mit großem Schlüssel bewaffnet, zunächst ein schweres, blumenverziertes Gittertor aufschließen. Dahinter verbirgt sich neben dem Schrein des heiligen Honoratus ein weiteres Hindernis: Die massive Tür, ebenfalls erst nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellt, ist alarmgesichert und wirkt gerade richtig, um solch historisch bedeutende Reichtümer zu schützen.

Endlich in der Schatzkammer angekommen, macht sich Ernüchterung breit. Weder güldene Taler-Türme à la Dagobert Duck noch glitzernde Edelsteine erblickt das Auge. Vielmehr wabert warme Heizungskellerluft durch die modern renovierten Räumlichkeiten, die nüchternen, fast musealen Charakter verströmen. Graue Wände und Decken, gläserne Vitrinen, alles fein ausgeleuchtet.

Die "Ausstellungsstücke" sind allerdings imposant: Tragaltäre und Reliquien nebst Kelchen, Monstranzen und Stoffen. Insbesondere die aufwendig hergestellten goldenen Schreine, die derzeit ohne Gebeine auskommen müssen, da das Innenleben restauriert wird, sind erstaunlich - sowohl optisch als auch handwerklich. Die Schreine strahlen eine noble Würde aus, die ihnen dank der guten Pflege über die Jahrhunderte nicht abhandengekommen ist. Die Zeit ist aber nicht spurlos daran vorbeigegangen. Auf dem Holzkern des Apollinaris-Schreins, eines rund 1,50 Meter langer Sarkophages, sind Wurmlöcher zu erkennen.

Ob sich der Wert irgendwie beziffern lässt? Falsche Frage! "Alle wollen immer sofort wissen, was das hier alles wert ist", winkt Baum ab. "Aber das ist natürlich alles unverkäuflich. Es gibt nur fiktive Versicherungssummen." Wenn so ein Schrein auf Wanderschaft geht, können die auch gerne im siebenstelligen Bereich liegen.

Während Baum weiter erzählt, führt der Weg hinunter in den Kirchenraum. Das Holz der Sitzbänke knarzt und quietscht hier so hallend, wie es nur in Kirchen quietschen und knarzen kann. Die Enden der Sitzreihen sind mit fein geschnitzten hölzernen Bildgeschichten versehen. Auch dazu hat Baum die eine oder andere Geschichte parat.

Etwa die: Den hölzernen Apostelfiguren an den Säulen hat man ihre Werkzeuge aus den Händen gesägt - zu blutrünstig sei die Darstellung gewesen von Sankt Michael mit einem Schwert. Baum schüttelt den Kopf. "Nachher fordern noch welche, man müsse die Kreuze aus der Kirche verbannen." Immerhin sind die Figuren am prachtvollen Altar unangetastet. In diese ist auch der imposante Apollinaris-Schrein integriert, der größte und jüngste seiner Art in Siegburg. 1446 durch einen Kölner Goldschmied hergestellt, wurde er allerdings seines Figurenschmuckes beraubt.

Die Führung strebt dem Ende entgegen. Wolfgang Baum muss noch kurz prüfen, ob er die Türen der Schatzkammer auch wieder verschlossen hat. Dann sagt er: "Ich empfehle immer, nicht zu versuchen, sich alles zu merken, was ich erzähle. Die Leute sollen lieber noch einmal wiederkommen."

Im voluminösen Kirchenraum kommt es einem nach dem Besuch in der Schatzkammer ziemlich kalt vor. Schnell hinaus in die Sonne, Es bleibt nicht viel Zeit, sie zu genießen. Zu kurz ist der Rückweg in die Redaktion. 69 Schritte. Ohne Schatzkarte.

Sankt Servatius
Die katholische Kirche Sankt Servatius ist nach der Abtei das prägende Element im Siegburger Stadtbild. Erbaut 1169, wurde die Kirche dreimal weiter ausgebaut. Die Urform von Sankt Servatius kann noch im oberbergischen Morsbach besichtigt werden. Dort steht die Zwillingskirche Sankt Gertrud, die von demselben Baumeister nach exakt gleichen Plänen errichtet wurde, ohne dass diese bis heute nennenswert verändert wurde. Sankt Servatius beherbergt einen spätromanischen Kirchenschatz, viele Stücke stammen aus dem 12. Jahrhundert. Die Kirche steht vor einer größeren Renovierung, deshalb ist sie 2014 geschlossen.

Moritz Rosenkranz ist Volontär beim General-Anzeiger. In der Reihe "Volo will's wissen" besucht er markante Orte in der Region.

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