Ausstellung im Stadtmuseum Siegburg Retrospektive zeigt Werke von Egon Karl Nicolaus

Siegburg · Er wäre in diesem Jahr 95 geworden, starb aber bereits 1988. Das Stadtmuseum in Siegburg widmet dem Künstler Egon Karl Nicolaus, der als Meister der Zahlen bekannt wurde, eine Retrospektive.

Museumsleiterin Gundula Caspary hat die Schau mit Werken von Egon Karl Nicolaus nach Siegburg geholt.

Museumsleiterin Gundula Caspary hat die Schau mit Werken von Egon Karl Nicolaus nach Siegburg geholt.

Foto: Dylan Cem Akalin

Die grüne 1 und die graue 3 bilden eine verlorene Unglückszahl auf dem schwarzen Untergrund, der an einigen Stellen wie aufgerissen wirkt. Es ist, als erlaubten die eingeschlagenen Flächen einen Blick hinter die Düsternis. Hell- und dunkelblaue Farbfelder, lila und rote Fragmente sind zu sehen. Es ist ein Bild, das gleichzeitig Trauer und Freude ausdrückt, entstanden zwei Jahre vor dem Tod des Künstlers Egon Karl Nicolaus 1988, der in diesem Jahr 95 geworden wäre. Das Stadtmuseum Siegburg widmet ihm nun eine Retrospektive. Die Schau wird an diesem Sonntag eröffnet. Es ist die größte Einzelpräsentation seit 1997, als das Kölnische Stadtmuseum dem Willi-Baumeister-Schüler eine Einzelausstellung gewährte. Zur Eröffnung der Ausstellung am Sonntag, 22. Januar, ab 11.30 Uhr, wird Museumsleiterin Gundula Caspary im Gespräch mit der Witwe des Künstlers, Marianne Nicolaus, ins Werk einführen.

Besucher der Ausstellung bekommen einen guten Überblick über die künstlerische Entwicklung des 1928 in Hamburg geborenen Nicolaus. Die Schau zeigt 45 Arbeiten aus allen Schaffensphasen. Die drei weitgehend in Grau gehaltenen Arbeiten mit Dispersion und Farbstift aus dem Jahr 1958 deuten schon die konstruktivistische Orientierung mit dem vertikalen Bildaufbau an. Wie von dichtgewebten Vorhängen verborgene Schattenspiele in einem verdunkelten Zimmer ziehen die Bilder die Blicke des Betrachters auf sich. Daneben klassische Bildkompositionen des Konstruktivisten, stark beeinflusst von Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, abstrakte Aufbauten, die an Mondrian hinweisen. Die Vertikale, sagte er anlässlich einer Ausstellung 1958, „provoziert keine Täuschung des Auges, wie die Horizontale, die ja nicht begrenzt scheint und mit dem Begriff der Unendlichkeit verknüpft ist. Die Vertikale ist ein Symbol der Erdanziehung.“ Da war schon klar, was ihn in seiner Kunst interessierte: der Blick hinter die Realität.

Einfluss der Pariser Kunstszene

Und dann beginnt der enorme Einfluss der Pariser Kunst- und Kulturszene. Ende der 1950er Jahre siedelt er um in die Metropole der Seine. Was muss dieser neue kreative Kosmos in ihm ausgelöst haben! Auf der einen Seite die französischen Existentialisten, die ihm geistige Nahrung gegeben haben müssen, auf der anderen Kunstschaffende, die neue Wege des Ausdrucks suchten, die Begründer des abstrakten Expressionismus oder, wie er in Frankreich bezeichnet wurde, des „Tachisme“ mit Vertretern wie Georges Bryen, Georges Mathieu, Henri Michaux, Wols, Mark Tobey, Jackson Pollock und Sam Francis, die die Kunsthalle Bern damals mit einer spektakulären Schau zusammenbrachte. Informel, Tachismus und abstrakter Expressionismus hatten die Pariser Kunstszene noch mehr beflügelt. Es muss sich auch für den jungen Nicolaus wie eine Befreiung angefühlt haben. Seine Arbeiten entfalten eine fast ekstatische Expressivität. Da sind keine geometrische Ordnung mehr: Der Pinsel als verlängertes Medium seiner Gestaltungskraft darf sich frei auf dem Papier oder der Leinwand austoben. Gleichwohl lodern da schon gleiche flüchtige Symbole über aufgewühlten Farbhintergründen auf. Ein französischer Kunstkritiker, der 1969 über eine Ausstellung in einer Pariser Galerie schreibt, meint den wilden Rhythmus und die Ausdrucksstarke des Jazz-Saxophonisten Charlie Parker in seinen Arbeiten zu erkennen. Sicher nicht von der Hand zu weisen.

Mit den Mitteln des Informel

Man sieht sehr schön in der Ausstellung, wie der Künstler den Schwung des Pinselstrichs immer stärker für seine grundlegenden Ideen der Darstellungskunst zur Raison ruft, wie aus rätselhaften Zeichen Zahlen werden. In einer Vitrine sind alte Fotografien zu sehen, die Nicolaus in seinem kleinen Atelier seiner Pariser Wohnung zeigen. Ein gut aussehender junger Mann, immer die Zigarette in der Hand, der inmitten seiner Arbeiten steht mit nachdenklichem, aber entschlossenen Blick.

Dass ihn aus seiner Beschäftigung mit den Mitteln des Informel und der Philosophie der Existenzialisten die Symbolkraft der Zahlen reizen würde, ist bei näherer Betrachtung ein logischer Schritt. Die Zahl als solche war für ihn kein mathematisches Arbeitsmittel, sondern interessierte ihn als Form und Zeichen und selbstständiges Bildmotiv. „Ich bin auf der Suche nach der vollkommenen Lösung mit den Mitteln der Zahl in der Malerei. Die Zahl ist eine höhere Macht, die auszudrücken ich mich bemühe“, sagte er zu seiner engen Freundin Romola Sabourin, die in einem Katalog über ihre Treffen mit dem Künstler in Paris berichtet.

Die 3, 4 und 7 kommen immer wieder in seinen Bildern vor, gespiegelt, gedoppelt, seziert. Die Zahlensymbolik im Christentum ist bekannt, die Dreifaltigkeit, der Schöpfungsbericht mit Gott, der am siebten Tag ruhte, die vier Weltrichtungen, vier Jahreszeiten und vier Phasen des Mondes. Gut möglich, dass auch das in den 1960er Jahren stark wachsende Computerzeitalter als weiterer Treibstoff seine Ideen beflügelten. Die 1 kommt immer stärker in den Fokus. Die Zahlenmystik, so scheint es in den späteren Bildern, bricht immer weiter auf, die liegende Acht als Symbol der Unendlichkeit findet Eingang in sein Werk, das in der letzten Schaffensphase immer düsterer wird, fast wie ein Vorahnung seines Todes. Wir entdecken aber auch kaligrafische Ansätze, die Eins, als wäre sie aus der asiatischen Schriftenwelt entsprungen, mit einem kraftvollen Farbspritzer an seinem Kopf beendet die Schau in Siegburg.

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