Corona im Rhein-Sieg-Kreis Landrat: Inzidenz doppelt so hoch wie offiziell angegeben

Rhein-Sieg-Kreis · Auf doppelt so hoch wie offiziell angegeben schätzt Landrat Schuster die Inzidenz im Rhein-Sieg-Kreis. Verantwortlich für die Meldeverzüge macht er unter anderem das neue Erfassungssystem Sormas. Und er sieht weitere Probleme auf das Gesundheitsamt zukommen.

 Testzentrum in Sankt Augustin.

Testzentrum in Sankt Augustin.

Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Landrat Sebastian Schuster würde am liebsten auch die weiße Fahne am Kreishaus hissen. „Aber Kapitulation ist nicht“, sagte er am Mittwoch bei der Videopressekonferenz zur Corona-Situation im Rhein-Sieg-Kreis. Die Meldeverzüge seien mittlerweile derart hoch, dass die veröffentlichten offiziellen Inzidenzwerte nicht aussagekräftig seien, sagte er. Der Grund liege in der unsagbar hohen Anzahl der Befunde, die tagtäglich eingingen. Allein am Dienstag habe man mit 1318 erfassten Befunden eine neue Höchstleistung erzielt.

Zurzeit lägen noch mehr als 6000 Befunde von PCR-Tests plus rund 4000 Befunde aus den Bürgerteststellen unbearbeitet im Gesundheitsamt. „Die veröffentlichten Zahlen müssen wir daher kritisch sehen“, sagte der Landrat. Die über das Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichten Zahlen zeigen in den vergangenen Tagen zwar rückläufige Inzidenzwerte, es seien aber „keine zuverlässigen Indikatoren“ mehr. Nach Schätzung der Fachleute im Kreishaus liege die Sieben-Tage-Inzidenz im Rhein-Sieg Kreis eher doppelt so hoch wie die zurzeit angegebenen 699,4 Neuinfektionen. Der Wert sei wohl vergleichbar mit denen in Köln oder Bonn, wo der Wert am Mittwoch mit 1607,5 angegeben wurde.

Sormas hilft nicht

In der vergangenen Woche wurden von den mehr als 300 Teststellen im Rhein-Sieg Kreis 204.648 Tests durchgeführt. Davon waren 5573 positiv. Bislang lag die Quote immer um die 0,5 Prozent, jetzt liegt sie bei 2,72 Prozent. Der Fehler liegt im System. Obwohl der Rhein-Sieg-Kreis zu den ersten Gesundheitsämtern bundesweit gehörte, die auf das digitale Erfassungssystem Sormas umstellten, hilft das den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der tatsächlichen Erfassung der Daten nicht sehr viel weiter. Allein 50 von ihnen sind nur mit der Erfassung der Daten befasst, erklärte der Landrat.

Der Leiter der Covid-Fachstelle Ralf Thomas sagte, dem Erfassungstool fehlte es an gewissen Automatisierungen bei der Registrierung von Daten aus den Befunden. Das habe man gegenüber den Ministerien immer wieder angemahnt. Die Labore schicken die Ergebnisse einerseits über eine digitale Schnittstelle und gleichzeitig als PDF-Datei, aus der detailliertere Angaben entnommen werden können. „Wir müssen jeden Befund einzeln anpacken, um festzustellen, ob es sich um einen ersten Befund oder Folgebefund oder aber nur eine Typisierung eines positiven Falls handelt. Bestimmte Werte müssen manuell eingepflegt werden“, so Thomas.

Ähnlich müsse man mit den Angaben umgehen, die von den Teststellen kommen. Der Kreis sei zurzeit in Gesprächen mit einem externen Dienstleister, der eine Software zur Verfügung stellen möchte, mit der wenigstens die positiven Ergebnisse von den Schnelltestzentren automatisch erfasst werden können.

Software-Updates sind Rückschritte bei der Erfassung

Erschwerend hinzu komme, dass jedes Software-Update von Sormas „einen Rückschritt“ bedeutete. Der Landrat: „Sormas ist eine Katastrophe. Ursprünglich sollte damit die Zettelwirtschaft mit den Faxen aufhören, stattdessen müssen wir Einzelfalldaten eingeben, weil das System die Daten unvollständig übernimmt.“ Der Bund habe die Kommunen zwar verpflichtet, die Daten zu erfassen, „aber das schaffen wir einfach nicht mehr“. Was da von den Landes- und Bundesministerien vorgegeben werde bei gleichzeitig zur Verfügung gestellten Mitteln sei ein „Armutszeugnis“, sagte Schuster.

Bislang wurden die Befunde nach der Reihenfolge des Eingangs bearbeitet. „Das führt aber zu noch größeren Unsicherheiten bei der Datenaussage“, meint Thomas. Seit Dienstag räume das Team nun zunächst den tagesaktuellen Eingängen Vorrang ein. Teilweise seien sie mit der Erfassung so spät dran gewesen, dass die Quarantänezeit der Betroffenen schon längst um war.

Impfpflicht wird zum Problem

Ein schwieriges Thema ist deshalb sowohl für das Gesundheits- als auch für das Sozialamt die bevorstehende einrichtungsbezogene Impfpflicht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von medizinischen Einrichtungen, also Kliniken und Arztpraxen, Pflege- und Betreuungseinrichtungen, müssen danach ab 16. März einen Impfstatus nachweisen. Können sie dies nicht, muss das Gesundheitsamt eine entsprechende Verfügung ausstellen, dass diese Personen die Einrichtung nicht mehr betreten dürfen. Arbeitgeber müssen die Gesundheitsämter informieren, wenn Nachweise nicht vorgelegt werden. Die Gesundheitsämter sind jene Institution in dem Verfahren, die die Beschäftigung in der Einrichtung untersagen. Nach wie vor offen ist dabei die Frage, was passiert, wenn die Gesundheitsämter wegen Überlastung dazu nicht in der Lage sind.

Der Landrat stellte am Mittwoch klar fest, dass sein Gesundheitsamt so wie alle anderen 31 Kreise im Land das nicht leisten können. „Ich erwarte vom kommunalen Spitzenverband, dass der gegenüber dem Land klärt, wie das alles verwaltungsseitig vorgehen soll.“

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