GA-Interview mit Rhein-Sieg-Landrat Schuster: „Ministerin Hendricks soll sagen, was Sache ist“

RHEIN-SIEG-KREIS · Die Zukunft des Berlin/Bonn-Gesetzes treibt auch Landrat Sebastian Schuster um. Welche Rolle spielt Bonn künftig als zweiter Regierungssitz? Im GA-Interview sagt Schuster, was er jetzt von der Bundesregierung erwartet.

Sebastian Schuster im Gespräch mit dem GA.

Sebastian Schuster im Gespräch mit dem GA.

Foto: Holger Arndt

Der Sommer 2015 war wegen des Flüchtlingszustroms sehr chaotisch für die Kommunen. Können Sie die Sommerzeit diesmal genießen?

Sebastian Schuster: Grundsätzlich ja. Es gibt aber immer genug zu tun. Wir bereiten gerade den Kreishaushalt 2017/18 vor. Außerdem beschäftigt uns die Neuorganisation der Kreisverwaltung. Was die Flüchtlinge angeht, hat sich die Situation spürbar entspannt. Ob das dauerhaft so bleibt, müssen wir abwarten. Was jetzt kommt, ist die Integration. Zum neuen Schuljahr müssen wir allein als Kreis 17 internationale Förderklassen einrichten. Wir brauchen Räume, wir brauchen Personal – das muss alles organisiert werden.

Die Kreis-Bürgermeister beklagten zuletzt, dass die Asylverfahren zu langsam und zu holprig abgewickelt werden. Wie sehen Sie das?

Schuster: Bei der neuen Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BaMF) in Bonn ist noch Sand im Getriebe. Wir haben im Rhein-Sieg-Kreis mehr als 7000 Flüchtlinge. Dabei sind schätzungsweise 4000 Menschen noch gar nicht im Asylverfahren. Das kann nicht sein! Ende August haben die Bürgermeister und ich einen Termin beim BaMF, dort werden wir unsere Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen. Die Flüchtlinge, die jetzt noch neu in die Kommunen kommen, sind mit ihren Verfahren durch – anders als viele Menschen, die schon ein Jahr und länger hier sind und in Ungewissheit leben. Dass die frustriert sind, kann man nachvollziehen.

Krisen, Terror und Flucht dominieren das politische Geschehen. Gerät die Zukunft des Berlin-Bonn-Gesetzes aus dem Blickfeld?

Schuster: Ich hoffe nicht. Da werden wir als Region auf Entscheidungen drängen, damit das Thema nicht auf die lange Bank geschoben und noch in dieser Bundestagswahlperiode behandelt wird. Es steht noch ein Gespräch aus, das uns die zuständige Bundesministerin Barbara Hendricks zugesagt hat. Bevor sie mit dem Thema ins Kabinett geht, soll sie uns sagen, was Sache ist. Darauf legen wir großen Wert.

Ist die Region gut gerüstet für das, was da aus Berlin kommt?

Schuster: Wir haben Anfang Juli ein gemeinsames Positionspapier unter Einbeziehung aller Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordneten einvernehmlich verabschiedet, das hoffentlich auch im Landtag NRW Zustimmung erfährt. Wie man aus der Landesregierung hört, wird das wohl der Fall sein. Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat mir persönlich Unterstützung signalisiert. Wir haben deutlich gemacht, was die Bundesministerien für Bonn und die Region bedeuten. Und wir haben darauf hingewiesen, dass Bonn als zweiter Regierungssitz für die föderale Struktur eine wichtige Rolle spielt. Zentralistische Bemühungen in Richtung Berlin sind schlecht für die Entwicklung Deutschlands. Insofern haben wir in der Region einen guten Schulterschluss erreicht.

Das ist nicht überall der Fall – Stichwort Bundesverkehrswegeplan.

Schuster: Teils, teils. Bei der Südtangente ist uns die mangelnde Einigkeit sicherlich vor die Füße gefallen. Immerhin: Venusbergtunnel und Ennertaufstieg sind wieder Teil des Bundesverkehrswegeplans – ein Teilerfolg. Andererseits hat man bei der Rheinquerung bei Niederkassel gesehen, was Geschlossenheit in der Region bewirken kann. Da ist es gelungen, das Projekt höher einzustufen. Entscheidend ist jetzt, dass das Land diese Planung vorantreibt. Auch ist es wichtig, dass diese Brücke eine Gleisverbindung bekommt. Das entlastet den Knotenpunkt Köln.

Auch der umstrittene Ausbau der Siegtalstrecke steht weit oben auf der Liste des Bundes. Rechnen Sie mit harten politischen Auseinandersetzungen in der Region?

Schuster: Ja.

Auch zwischen Ihnen und der eigenen Partei, der CDU?

Schuster: Nein, das nicht. Persönlich bin ich zwar anderer Auffassung als die schwarz-grüne Kreistagskoalition, die den Ausbau wegen einer befürchteten Zunahme des Güterverkehrs ablehnt. Den entsprechenden Beschluss des Kreistags setze ich aber selbstverständlich um. Jetzt muss man mal abwarten, was kommt. Es gibt ja noch keine Planung. Die Befürchtungen wegen des Bahnlärms und wegen anderer Beeinträchtigungen kann ich verstehen. Natürlich müssen die Menschen geschützt werden, und natürlich muss man sie einbeziehen. Auf der anderen Seite ist es aber auch klar, dass die Entwicklung der Region auch vom Schienennahverkehr abhängig ist. Der Rhein-Ruhr-Express wird in ein paar Jahren fahren, und zwar alle 15 Minuten zwischen Ruhrgebiet und Koblenz. Die Menschen aus unserer Region müssen ihn gut erreichen können, und das geht mit einer durchgehend zweigleisigen Strecke im Siegtal eben besser. Davon profitieren letztlich auch die Gemeinden an der oberen Sieg.

Werden die nicht ohnehin profitieren, wenn in den Zentren und deren Speckgürteln der Wohnraum knapp wird?

Schuster: Das ist denkbar, aber wir müssen auch selbst etwas tun. So wird es eine neue Studie zum Wohnraum geben. Sie wird von der Kreissparkasse Köln finanziert und betrifft zunächst nur die vier Kreise, die in ihrem Gebiet liegen. Darüber hinaus ist für 2022/2025 wieder eine Regionale vorgesehen, Thema ist dabei die Mobilität. Wir können uns vorstellen, uns gemeinsam mit dem Rheinisch-Bergischen Kreis und mit dem Oberbergischen Kreis zu bewerben, um Fördermittel zu bekommen. Im Blick haben wir das Gebiet von der Sieg bis an die Wupper. Dieser Raum muss zum Wohnen besser erschlossen werden. Außerdem arbeiten wir aktuell daran, den Breitbandausbau voranzutreiben. Bis 2017/18 wollen wir 95 Prozent der Haushalte im Rhein-Sieg-Kreis mit mindestens 50 MBit/s ausrüsten. Wir rechnen mit 20 Millionen Euro Fördermitteln von Bund und Land, zehn Millionen Euro müssen die Telekommunikationsfirmen in die Hand nehmen.

Ohne Fördertöpfe geht anscheinend nichts mehr, oder?

Schuster: So ist das. Wir haben mehrere Bewerbungen auf den Weg gebracht oder in Arbeit. Aktuell beschäftigen wir uns zum Beispiel mit dem Projekt „Stadt Umland NRW“. Das betrifft unsere Kommunen, die direkte Nachbarn von Köln oder Bonn sind. Durch Teilnahme an dem Programm hat man Aussicht auf Städtebaufördermittel. Wir arbeiten intensiv mit Bonn zusammen.

Apropos Bonn: Wie läuft es mit der gemeinsamen Gewerbeflächenpolitik? Man hat länger nichts mehr davon gehört.

Schuster: Das Thema lag eine Weile bei den Bonnern, aber es wird sich nach den Sommerferien konkretisieren. Bonn nimmt mit einzelnen Kommunen Gespräche über Gewerbegebiete auf, die man vielleicht gemeinsam realisieren könnte. Das betrifft vorwiegend die linksrheinischen Kommunen.

Wo hakt es, wenn es um die Zusammenarbeit mit Bonn geht?

Schuster: Es gibt immer noch gewisse Befindlichkeiten aus früheren Zeiten, außerdem sind manche Entscheidungswege zu lang. Beim Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ist zum Beispiel Luft nach oben. Da sind die kommunalen Grenzen teilweise sehr hinderlich. Aber das interessiert die Fahrgäste nicht. Die wollen ein attraktives Angebot. Wenn jemand aus Königswinter-Bockeroth in die Bonner Oper will, fährt er um 18 Uhr mit dem Bus hin – kommt aber nicht zurück. Das sind Themen, die wir mit Bonn angehen müssen. Insgesamt hat sich die Zusammenarbeit aber verbessert, etwa auch bei der Müllentsorgung.

Wo Sie das Thema Abfall ansprechen: Zuletzt sorgte im Linksrheinischen wilder Müll für Diskussionen. Die Aufklärungsquote ist niedrig. Wäre es nicht an der Zeit, dass der Kreis mehr Initiative zeigt?

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