Der Amokalarm am vergangenen Mittwoch an der Alexander-von-Humboldt-Realschule und am Berufskolleg in Siegburg hat bei vielen Schülerinnen und Schülern Ängste ausgelöst. Kann man da von einer traumatischen Erfahrung sprechen?

Ulf Thiemann: Traumatische Erfahrungen überfordern die individuellen Anpassungs- und Bewältigungsstrategien des Menschen. Auslösend sind außergewöhnliche Ereignisse, die die Unversehrtheit des Menschen bedrohen und extreme Angst, Hilflosigkeit oder Ohnmachtsgefühle auslösen. Bei Kindern und Jugendlichen sind die Anpassungs- und Bewältigungsstrategien in der Regel noch schwächer ausgeprägt als bei Erwachsenen, die eine traumatische Erfahrung machen.
Der massive Polizeieinsatz, einhergehend mit der Ungewissheit über die Hintergründe kann bei Einzelnen sicher Angst und Hilflosigkeit ausgelöst haben. Aus der Ferne ist die Situation natürlich nicht sicher einzuschätzen. Es ist aber davon auszugehen, dass es eine bedrohliche und unangenehme, aber nicht zwingend traumatische Erfahrung für viele Schüler*innen und Lehrer*innen gewesen ist.

Nach der Entwarnung konnten Eltern mit ihren Kindern das sofort bereitgestellte Angebot der Notfallseelsorge und der psychologischen Beratungsstelle in Anspruch nehmen. Reicht das aus?

Wie kann man den Kindern ihre Ängste nehmen?

Thiemann: Eltern und Bezugspersonen sollten die Kinder nicht zum Sprechen über das Erlebte drängen. Wenn die Kinder von ihren Erfahrungen berichten möchten, dann sollte dies in einer sicheren und geschützten Umgebung erfolgen. Die Gefühle und Reaktionen der Kinder sollten möglichst nicht bewertet werden.

Thiemann: Ein sicheres und unterstützendes soziales und familiäres Umfeld ist ein wesentlicher Schutzfaktor für die Verarbeitung traumatischer Ereignisse. Eltern sollten beachten, dass die unmittelbaren Reaktionen von Kindern und Jugendlichen auf eine traumatische Erfahrung zunächst einmal sinnvoll und hilfreich sind. Kinder und Jugendliche reagieren mit den ihnen zur Verfügung stehenden Verhaltensweisen und können so die Belastungen verarbeiten.
Darüber hinaus ist es sinnvoll, den Alltag rasch wieder aufzunehmen. Routine und Struktur geben Sicherheit, die in der belastenden Situation nicht bestand.

Auf welche Anzeichen sollen Eltern bei ihren Kindern achten?

Thiemann: Verhaltensänderungen wie sozialer Rückzug, aber auch neu aufgetretene körperliche Beschwerden wie Kopf- und Bauchschmerzen sollten die Eltern aufmerksam werden lassen.