Prozessbeginn in Bonn Obdachloser aus Siegburg rastet mehrfach aus und landet vor Gericht

Siegburg/Bonn​ · Ein 47-jähriger Obdachloser aus Siegburg ist in den vergangenen Jahren mehrfach ausgerastet. Jetzt muss er sich vor dem Bonner Landgericht verantworten, unter anderem wegen Nötigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Beim Prozessauftakt gestand er die Taten.

 Ein Mann aus Siegburg steht seit Dienstag vor dem Bonner Landgericht – wegen Nötigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Missbrauch von Notrufen. (Symbolfoto)

Ein Mann aus Siegburg steht seit Dienstag vor dem Bonner Landgericht – wegen Nötigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Missbrauch von Notrufen. (Symbolfoto)

Foto: dpa/Andreas Arnold

Jahrelang war er obdachlos, kiffte und trank. Schließlich verlobte sich der Mann mit einer Schicksalsgefährtin, die er in einer Klinik kennengelernt hatte, und zog zu ihr in eine gemeinsame Wohnung. Das kleine sesshafte Glück jedoch hielt nicht lange: Ein halbes Jahr später, im Sommer 2018, trennte sich das Paar und der heute 47-Jährige stand erneut auf der Straße. Ohne Dach, ohne Geld, ohne soziale Bindung. Er bettelte um Groschen – und wurde immer aggressiver, vor allem, wenn er abgewiesen wurde, und warf um sich: mit Tassen, Keksen oder auch 20-Cent-Stücken. Alles, was er gerade in den Fingern hatte. Zwischen Sommer 2018 und Mai 2019 summierten sich seine plötzlichen Ausraster gegen wildfremde Passanten, dann wurde er gestoppt – und vorläufig in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.

Vor dem Bonner Landgericht muss sich der 47-Jährige seit Dienstag wegen neun Straftaten verantworten, darunter Nötigung, Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Missbrauch von Notrufen. Zunächst war er zum Amtsgericht angeklagt gewesen, aber der Gutachter diagnostizierte eine wahnhafte Erkrankung und schloss eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht aus. Der Fall wurde schließlich ans Landgericht verwiesen, wo die 2. Große Strafkammer jetzt prüfen muss, ob der Mann wegen seiner allgemeinen Gefährlichkeit endgültig in einer Klinik weggesperrt werden muss. Der Angeklagte – mittlerweile medikamentös gut eingestellt – hat die Straftaten eingeräumt, an die er sich teilweise nur schemenhaft erinnert: „Es tut mir sehr leid, was ich gemacht habe. Ich hatte eine Reizüberflutung“, erklärte er seine damalige Verfassung. „Die Tasse, mit der ich eine Frau am Kopf verletzt habe, ist das Schlimmste, was passiert ist. Den Schaden kann ich nicht wieder gut machen. Ich habe Strafe verdient.“

Angeklagter will auf seine „Notsituation als Obdachloser aufmerksam machen“

Für die Richter jedoch ist der Anklagepunkt 3 der Schwerwiegendste: Im September 2018 soll der Angeklagte eine 26-jährige Verkäuferin in der Fußgängerzone von hinten gepackt und ihr Mobiltelefon gefordert haben. Ein Vater, der mit seiner kleinen Tochter shoppen war, schilderte die damalige Szene als sehr bedrohlich. Der 47-jährige Zeuge: „Der Mann war außer Kontrolle und hochaggressiv.“ Da er befürchtete, dass der Angreifer noch ein Messer ziehen könnte, hatte er ihn gepackt, zu Boden geworfen und mit klassischem Polizeigriff fixiert. „Er musste einfach aus dem Verkehr gezogen werden.“

Die Serie von Ausrastern endete im Mai 2019 am Bahnhof Siegburg mit einem Tritt gegen den Knopf eines Feuermelders, wodurch ein Rettungseinsatz ausgelöst wurde. Das habe er nicht aus Ärger gemacht, beteuerte der Angeklagte nun vor Gericht, vielmehr habe er auf seine „Notsituation als Obdachloser aufmerksam machen“ wollen. „Ich wollte ein Notsignal senden.“

Der Prozess wird fortgesetzt.

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