Landgericht Bonn Siegburger muss sich wegen Kindesmissbrauchs in 220 Fällen verantworten

Bonn/Siegburg · Acht Jahre lang soll ein Vater seiner Tochter sexuelle Gewalt angetan haben. Vor dem Bonner Landgericht muss sich der 59 Jahre alte Siegburger jetzt wegen Kindesmissbrauchs in 220 Fällen verantworten.

 Hinter einem Collegeblock verbirgt der Angeklagte im Gerichtssaal sein Gesicht.

Hinter einem Collegeblock verbirgt der Angeklagte im Gerichtssaal sein Gesicht.

Foto: Peter Kölschbach

Mit dem Rücken zum Publikum kommt er in den Gerichtssaal, in der Hand ein weißer Collegeblock, der sein Gesicht verbergen soll. Auf der Anklagebank des Bonner Landgerichts nimmt ein Ingenieur aus Siegburg Platz, der sich wegen Kindesmissbrauchs in 220 Fällen verantworten muss: Der 59-Jährige soll seine leibliche Tochter über acht Jahre zu sexuellen Handlungen gezwungen haben. Als das Kind in die Grundschule kam, war es – im Alter von sechs Jahren – zum ersten Missbrauch gekommen, laut Anklage beim Badewannen-Ritual. Erst als die Tochter in die Pubertät kam, brachen die Übergriffe ab. Zurück blieb ein zerstörtes Mädchen, ein zerstörtes Leben. Der eigene Vater habe seine Tochter schamlos ausgenutzt und keinerlei Rücksicht auf die Entwicklung seines Kindes genommen, so der Vorwurf der Staatsanwältin.

Zum Prozessauftakt musste der Angeklagte über all die „Peinlichkeiten“ nicht öffentlich sprechen. Auf Antrag der Verteidigung sollte die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, es gebe „schutzwürdige Interessen“ des Mandanten. Die 2. Große Strafkammer gewährte den Schutz „ausnahmsweise“, da der Vater sich im Jahr 2021 selbst angezeigt hatte, kurz bevor die Tochter es melden würde – wie sie es der Mutter in einem Brief angekündigt hatte. Wie schon bei der Polizei soll der 59-Jährige am Dienstag ein Geständnis abgelegt haben, allerdings kein umfassendes Schuldeingeständnis. „Nur ein Bruchteil“, so Dagmar Schorn, die Nebenklagevertreterin der Tochter.

Mutter will Taten nicht wahrhaben

Depressionen und Suizidgedanken verfolgten die mittlerweile 20-Jährige, die acht Monate in einer Klinik für traumatisierte Kinder verbracht hat. Ein Studium musste sie ebenfalls abbrechen. Eine Freundin ist die erste, der sie von den Übergriffen berichtet. Die rät ihr zur Anzeige. 2019 bittet sie die Mutter in ihr altes Kinderzimmer, sie müsse ihr etwas sagen. Dann erzählt sie „verzweifelt, bedrückt, in Tränen“ von dem „Anfassen“ durch den Vater. Die Mutter, heute 53 Jahre alt, glaubt ihrer Tochter sofort, will aber nichts Genaues wissen: „Ich war schockiert, zugleich aber habe ich es nicht wahrhaben wollen“, räumte sie am Dienstag als Zeugin ein. „Ich konnte die Geschichte nicht mit meinem Mann zusammen bringen.“

Der Ehemann zieht Monate später aus, in eine eigene Wohnung. Mittlerweile jedoch „ist er wieder bei mir eingezogen“, gesteht die Ehefrau. Der Kammervorsitzende kann es nicht glauben: „Und Ihre Tochter, empfindet sie das nicht als Verrat?“ Kleinlaut berichtet sie schließlich, dass die 20-Jährige, die derzeit in einer betreuten Wohngruppe lebt, keinen Kontakt mehr mit ihr will. Der Kammervorsitzende insistiert, will wissen, was ihre Pläne sind. „Ich will die Scheidung“, so die Zeugin, „aber es gibt ein tiefes Band zwischen mir und meinem Mann“. Und die Tochter? Da fällt der Mutter, die zwischen allen Stühlen sitzt, nichts Richtiges ein.

Nebenklage-Anwältin Dagmar Schorn ist nach der Zeugenaussage entsetzt. Sie fordert die 53-Jährige anschließend auf, im Prozess zu bleiben und zuzuhören. Aber die Mutter will nicht und verlässt den Saal. Schorn: „Sie will nichts sehen, nichts hören, so wie schon all die Jahre. Sie stellt ihren Mann über ihre eigene Tochter.“ Die 20-Jährige soll auch als Zeugin gehört werden, ebenfalls ohne Öffentlichkeit.