Verheerendes Feuer So verlief der erste Tag nach dem Großbrand in Siegburg

Siegburg · Nach dem Großbrand in Siegburg-Brückberg kündigen NRW-Innenminister Reul und die Deutsche Bahn Hilfe für die Betroffenen an. Die Brandursache ist weiter unklar.

Auf den ersten Blick ist an diesem Mittwochmorgen alles wie immer auf dem Brückberg. In dem weitläufigen Wohngebiet des Siegburger Stadtteils ist es ruhig. Zwischen den Jägerzäunen, Klinkerhäusern und Gartenlauben ist kaum eine Menschenseele zu sehen. Doch der Eindruck der Normalität trügt. An der Straße „Im Urnenfeld“ flattert ein rot-weißes Absperrband der Polizei.

Auf der anderen Seite lässt sich schon das Ausmaß des Großbrandes erahnen, der am Tag zuvor gewütet hat. Ausgehend von einem kleinen Böschungsbrand an der unterhalb gelegenen Bahntrasse hat sich binnen Sekunden eine Feuerwalze gebildet, die alles überrollte: Bäume, Büsche, Gebäude, Autos. Neun Häuser sind unbewohnbar, mehr als 30 Menschen wurden verletzt.

Die Ursache ist weiterhin unklar. Eine weggeworfene Zigarettenkippe, eine Glasscherbe in der Gluthitze oder Funkenschlag durch Züge – diese möglichen Auslöser werden immer wieder genannt, doch weder die Polizei noch die Feuerwehr wollen sich festlegen. Klar scheint nur, dass Trockenheit, Dauerhitze und Wind die Kettenreaktion erst möglich machten. Die Siegburger Polizei geht davon aus, dass vorbeirauschende Züge Luft aufgewirbelt und zur Ausbreitung des Feuers beigetragen haben.

Die Kriminalpolizei sucht dringend weitere Zeugen, die Hinweise auf die Brandentstehung an der Bahnböschung geben können. Hinweise nehmen das Polizeipräsidium Köln unter 0221 229-0 oder die Polizeiwache Siegburg unter 02241 541-3221 entgegen.

Mehr als 700 Einsatzkräfte

Die Straße „Im Urnenfeld“ ist mit Dachziegeln übersät. Die Dachstühle bestehen nur noch aus verkokelten Balken, die anklagend in den Himmel ragen. Eine einäugige Katze stolziert durch die Trümmer, als ob nichts passiert sei. Genüsslich reibt sie sich an einem Pfosten und macht sich aus den Staub, als zwei Männer von der Tierrettung nahen. Hier und da liegen Schläuche der Feuerwehr – schlaffe Überbleibsel eines kräftezehrenden Großeinsatzes, der in der Region seinesgleichen sucht. 540 Feuerwehr- und Rettungskräfte waren nach Siegburg geeilt, ebenso wie 240 Polizeibeamte.

Jetzt sind nur noch sechs Wehrleute da. „Vereinzelt muss vielleicht noch ein bisschen nachgelöscht werden“, sagt Georg Burmann, stellvertretender Siegburger Feuerwehrchef. „Es ging bei diesem Einsatz in erster Linie darum, Menschenleben zu retten.“ Das sei gelungen. „Ansonsten haben wir gerettet, was zu retten war.“ Immer wieder erfährt die Feuerwehr großes Lob an diesem Tag. „Durch das besonnene Handeln der Leitstelle konnte Schlimmeres verhindert werden“, sagt Landrat Sebastian Schuster. „Im Urnenfeld“ sind die Häuser auf der Hangseite überwiegend zerstört, während die gegenüberliegenden unversehrt sind.

„Die Feuerwehr hat einen Superjob gemacht“, sagt Franz Huhn. Siegburgs Bürgermeister hat seinen Mallorca-Urlaub abgebrochen. Nachts um vier traf er am Brandort ein, um halb neun ist er schon wieder da. Er spricht mit belegter Stimme und umarmt die Menschen, die buchstäblich das Dach über dem Kopf verloren haben. „Ich bin schockiert. Dieses Ausmaß an Zerstörung habe ich noch nie gesehen“, sagt er. Solche Bilder habe er bislang nur aus dem Fernsehen gekannt, aus Griechenland oder aus Australien. 21 Bewohner können vorerst nicht in ihre Häuser. Diese gehören zunächst den Brandermittlern, die sich durch die Ruinen tasten. Auch müssen die Häuser statisch untersucht werden. Zäune versperren den Zutritt. Die Brandopfer sind bei Verwandten untergekommen.

Brandursache unklar

Unterstützt werden die Ermittler vor Ort vom Landeskriminalamt. "Die Beamten nehmen sämtliche Brandorte in Augenschein“, sagteein Polizeisprecher am Mittwoch. Unkompliziert ist das nicht. Die Polizei muss zum Beispiel auch auf die mögliche Einsturzgefahr in den Ruinen achten. Aus den offenen Dachstühlen hängen verkohlte Balken herab, Fensterscheiben sind zerplatzt, überall liegen Dachziegel herum, Mülltonnen und Gartenstühle sind geschmolzen.

Immer wieder erzählen die betroffenen Bewohner, wie das war an diesem tropisch heißen Nachmittag, als aus einem kleinen Böschungsbrand eine verheerende Feuerwalze wurde. Heinrich Bergen lehnt am Zaun seiner Garageneinfahrt. Glück gehabt. Sein Haus blieb verschont. Ein paar Rosen im Vorgarten sind abgeknickt. „Freuen kann ich mich trotzdem nicht“, sagt er. Denn die Häuser seiner Verwandten, die gleich nebenan wohnen, hat der Brand voll erwischt. Bergen ist Augenzeuge. „Ich fuhr am Dienstagnachmittag mit dem Fahrrad nach Hause. Da sah ich schon, dass eine kleine Fläche an der Bahnlinie brannte“, berichtet er. Die Feuerwehr sei bereits vor Ort gewesen. Dann seien Züge vorbeigekommen und hätten das Feuer regelrecht angefacht. In kürzester Zeit habe die dahinter liegende Böschung in Brand gestanden. Bäume, Büsche, alles stand sofort in Flammen. Und bald griff das Feuer auf die Häuser an der Böschungskante über. „Das hat nur ein paar Sekunden gedauert“, so Bergen, der selbst nicht mehr bis zu seinem Haus kam. Erst am Morgen danach darf er wieder hinein.

Ein paar dicke Tropfen fallen vom Himmel. Schon in der Nacht hat es geregnet. Regen! Ausgerechnet jetzt. 24 Stunden früher, und der Brand wäre wahrscheinlich gar nicht erst entstanden. Mit solchen Gedanken beschäftigt sich Andreas Buchmüller nicht. Er steht abseits des Geschehens und beobachtet die Einsatzkräfte. Polizei und Feuerwehr dokumentieren die Schäden, zeitweise kreist ein Hubschrauber. Buchmüllers Haus hat es mit am schlimmsten getroffen. „Ich sah zuerst, dass von der Eisenbahn Qualm hoch zog“, sagt der 47-Jährige. Schon brannte es im Garten. „Ich habe noch versucht, das Feuer mit dem Gartenschlauch zu löschen. Dann sah ich aber, dass ich keine Chance hatte.“ Er rannte ins Haus, um seine Tochter und das schlafende Enkelkind herauszuholen. Es gelang ihm in letzter Minute – kurze Zeit später stand sein Haus in Flammen. Es brannte aus, ebenso wie die Garage und drei Autos davor. „Eigentlich wollten wir am Donnerstag in Urlaub fahren, daraus wird jetzt nichts.“ Buchmüller hatte sich schon auf das Kofferpacken eingestellt. Doch dann kam die Feuerwalze.

Innenminister kündigt Hilfe an

NRW-Innenminister Herbert Reul hat sich angekündigt. Er will sich mit Franz Huhn und Sebastian Schuster in Bild von der Lage machen. Fassungslos blickt Reul durch die Gitterzäune. "Die Menschen haben ihr ganzes Geld in die Häuser gesteckt. Nun ist alles zerstört. Wir müssen alles aufnehmen, aufklären und vor allem den Menschen helfen", erklärt er. „Die Menschen haben ihr ganzes Geld in die Häuser gesteckt. Nun ist alles zerstört. Wir müssen alles aufnehmen, aufklären und vor allem den Menschen helfen“, erklärt er. „Die Versicherungen müssen aus dem Quark kommen“, Für den Fall, dass es hakt, bietet er Unterstützung an: Dann werde er selbst zum Telefonhörer greifen. Eine Traube von Medienvertretern belagert Reul. Bei der Frage, ob sich Bewohner an Bahnstrecken Sorgen machen müssten, wehrt er ab. „Absolute Sicherheit gibt es nie, das betrifft insbesondere Brände und Hochwasser.“

Die Hausbesitzer benötigten schnelle Hilfe, heißt es am Tag danach immer wieder. Aber wie? Die Deutsche Bahn kündigt eine Soforthilfe von 500.000 Euro an. Schuster berichtet, dass die Kreissparkasse Köln „schnelle und unbürokratische Unterstützung“ zugesagt habe. Bürgermeister Huhn verspricht, den betroffenen Eigentümern für dieses Quartal die Grundsteuer zu erlassen. Außerdem prüft die Stadt Unterbringungsmöglichkeiten. Huhn denkt an private Ferienwohnungsbesitzer, aber auch an die für Flüchtlinge hergerichtete Unterkunft in der alten Hauptschule im Haufeld. Sie steht leer.

Lob für die Feuerwehr

Was Reul, Huhn und Schuster gleichermaßen hervorheben, ist der Einsatz der Feuerwehr. "Durch das besonnene Handeln der Leitstelle konnte Schlimmeres verhindert werden", so Schuster. Während die Häuser in der Straße "Im Urnenfeld", die am Hang stehen, ausgebrannt sind, blieben die Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite verschont. Für die Wehrleute war es ein körperlich extrem belastender Einsatz, bei Außentemperaturen von fast 40 Grad und einer fast 20 Kilo schweren Ausrüstung.

Thomas Glatz, Leiter der Feuerwehr Siegburg, spricht von einem "schwarzen Tag in der Geschichte der Stadt Siegburg." In einem Facebook-Post schreibt er: "Ich wünsche allen, die gesundheitlich betroffen sind, dass sie schnell wieder bei ihren Familien sein können. Den vom Brand Betroffenen wünsche ich Stärke und Zuversicht." Er dankte allen Wehrleuten und Einsatzkräften anderer Hilfsdienste im Namen der Feuerwehr Siegburg "für den selbstlosen Einsatz für unsere Bürger". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel wünschte den Verletzten schnelle Genesung. Den Einsatzkräften danke die Kanzlerin für ihre Arbeit, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer in Berlin.

Unterdessen ist in Siegburg eine Welle der Hilfsbereitschaft angerollt. Sie kündigte sich bereits am Dienstag an, als sich die Facebook-Gruppe „Siegburg Brandopfer und Umgebung“ bildete. In weniger als 24 Stunden hatte sie bereits rund 4000 Mitglieder. Ob Kleidung, Unterkunft oder Spielzeug: Dort gingen zahlreiche Hilfsangebote ein. Die Stadt Siegburg hat ein Bürgertelefon eingerichtet, bei dem seit Dienstagabend hunderte Anrufe eingingen. Wie Sie den Betroffenen helfen können, können Sie in unserer Übersicht nachlesen.

Oberleitung beschädigt

Am Mittwochmorgen konnte die ICE-Strecke wieder freigegeben werden. Für den Regionalverkehr ist der Abschnitt weiter gesperrt, heißt es weiter. Wie die Bahn mitteilte, soll die Strecke für Regional- und S-Bahnen voraussichtlich am Freitag wieder freigegeben werden.

Die Oberleitung ist durch den Brand auf einer Länge von 350 Metern beschädigt worden, teilte die Deutsche Bahn am Mittwochmittag mit. Diese werde aktuell repariert, auch an Kabeln der Leit- und Sicherungstechnik müssen Schäden beseitigt werden. Bäume, die durch das Feuer nicht mehr standfest sind, werden vorsorglich entfernt.

Es komme weiterhin zu Einschränkungen im Regionalverkehr. Die Züge der RE 9 aus Richtung Niederschelden enden und beginnen in Au (Sieg). Aus Richtung Aachen Hbf enden und beginnen die Züge in Köln/Deutz. Die Züge der S 12 aus Richtung Au (Sieg) enden und beginnen in Hennef. Aus Richtung Horrem enden und beginnen die Züge in Troisdorf. Ein Ersatzverkehr mit Bussen und Taxen ist zwischen Hennef und Troisdorf eingerichtet.

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