Tagestour mit ÖPNV Tour zu vier Grenzorten des Rhein-Sieg-Kreises

RHEIN-SIEG-KREIS · Der Rhein-Sieg-Kreis erstreckt sich über 1153 Quadratkilometer. Von Au (Sieg) sind es 85 Kilometer bis Hilberath im. Der GA hat sich bei einer Tagestour mit Bus und Bahn auf den Weg zu vier Grenz-Orten gemacht.

19 Kommunen, 600.000 Einwohner: Der Rhein-Sieg-Kreis gehört zu den größten Landkreisen Deutschlands, jedenfalls nach Einwohnerzahlen. Er erstreckt sich über 1153 Quadratkilometer und ist damit ein sehr heterogenes Gebilde. Der Kreis liegt in den Speckgürteln von Bonn und Köln, im Westen geht er in die Eifel über, seine östlichen Gebiete liegen im Bergischen Land und im Westerwald. Mittendrin: der Rhein und die „Insel“ Bonn. Der GA hat sich auf den Weg zu vier Orten gemacht, die eines gemeinsam haben: Sie liegen an den äußeren Rändern des Kreises. Was passiert dort? Vier Orte, vier Momentaufnahmen – verbunden auf einer Tagesreise mit Bus und Bahn.

Au (Sieg), 8.15 Uhr: Das Pendler-Dorf

Langsam lichtet sich der Nebel über dem Siegtal. Au (Sieg) liegt am östlichen Rand des Kreises, in Windeck, an einer der vielen Siegschleifen. Die Gegend ist landschaftlich reizvoll, aber strukturschwach. Vom Wachstum der boomenden Region profitiert sie kaum, dafür ist sie zu weit ab vom Schuss. Die Kreisstadt Siegburg ist fast 50 Kilometer entfernt, Bonn rund 60.

In Au bildet die Sieg die Grenze. Am anderen Ufer beginnt der Kreis Altenkirchen, Rheinland-Pfalz. Au ist ein kleiner, verschlafener Ort. Erst im 19. Jahrhundert entstanden, ist er eher bürgerlich als bäuerlich geprägt. Und doch ist sein Name zumindest Bahnreisenden ein Begriff. Werktags taucht „Au (Sieg)“ 36 Mal auf den Anzeigetafeln des Kölner Hauptbahnhofs auf. Es ist die Endhaltestelle zweier S-Bahnlinien.

Mit seinen weitläufigen Gleisanlagen bildet Au historisch einen Knotenpunkt an der Strecke Köln-Siegen. Hier enden Züge aus beiden Richtungen, der Rhein-Sieg-Express macht Station, und über die Oberwesterwaldstrecke stößt die Hessische Landesbahn dazu. Die Zahl der Park-and-Ride-Plätze dürfte die der Einwohner übersteigen. Etwa 300 Menschen leben in Au. In der Dorfmitte thront keine Kirche, keine Kapelle, sondern der Bahnhof von 1860. Tatsächlich hat die Ruhe im massiven, schwarz-weiß gekachelten Wartesaal etwas Sakrales. Ab und an wird die Stille durchbrochen, wenn jemand vor den Fahrkartenschalter tritt und die Stimme der Bahnmitarbeiterin durch den Lautsprecher quäkt.

In Au steigen viele Westerwälder in den Zug. So wie David Ditscheid und Christopher Cruces aus dem Kreis Altenkirchen. Die beiden frischgebackenen Abiturienten, beide 19, sind mit Lena Frohn, 17, per Auto nach Au gekommen. Jetzt warten sie auf den Zug nach Köln. „Die Vertaktung mit der Westerwald-Bahn ist schlecht“, sagt David. „Wenn man von A nach B will, dauert es bei uns auf dem Land etwas länger. Man muss sich zu helfen wissen.“ Wohin die drei wollen? In den Moviepark Bottrop. „Vor uns liegen drei Stunden Fahrt – mindestens“, sagt Christopher.

Spich, 10.20 Uhr: Gyros für die Region

In Spich zieht sich der Kölner Speckgürtel wohlgenährt durch die Landschaft. Der Troisdorfer Stadtteil grenzt im Norden des Kreises direkt an die Domstadt. Über die Jahre ist auf dem platten Land ein Gewerbegebiet nach dem anderen entstanden, begünstigt durch die Nähe zu A 59, Flughafen und Bahnlinie. Das trug maßgeblich dazu bei, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Troisdorf seit 2013 von 26.000 auf 31.000 gestiegen ist.

„Ich kann mich noch an die Zeit erinnern, als Spich nicht einmal eine Autobahnabfahrt hatte“, sagt Petros Dimitrakopoulos. Der 44-Jährige betreibt an der Redcarstraße einen Großhandel für griechische Spezialitäten, der gastronomische Betriebe im Köln/Bonner Raum versorgt. Er beliefert 300 Kunden. Hinzu kommen weitere 800 pro Woche, die direkt bei ihm einkaufen. Viele private Einzelhandelskunden sind dabei. „Die suchen dann zum Beispiel einen speziellen Wein, den sie in ihrem Griechenland-Urlaub getrunken haben“, sagt Dimitrakopoulos.

An der Kasse hat sich eine Schlange gebildet. Der Chef rechnet selbst ab. Er wirkt tiefenentspannt, spricht mal griechisch, mal deutsch. Er ist in Bonn groß geworden. 2008 siedelte der Familienbetrieb vom dortigen Alten Schlachthof nach Spich um. Er verarbeitet und liefert pro Monat 50 Tonnen Rippenfleisch, aus dem die Abnehmer das beliebte Gyros zubereiten. Dazu kommen mehr als 30 Tonnen Pommes und 60.000 Würstchen pro Monat.

In den Regalen des Spicher Lagers steht alles, was in griechischen Imbisstuben überhaupt denkbar ist, von Mythos-Bier über Halloumi bis hin zur Pommesschale. Darüber hinaus gibt es aber Artikel wie auch Konfitüre oder Babynahrung. Insgesamt 1100 Produkte gehören zum Sortiment, darunter das selbst hergestellte Olivenöl, das Dimitrakopoulos' Mutter aus Griechenland liefert. Doch was ist das: Pizzaschachteln! Wie geht das mit griechischer Küche zusammen? „Viele griechische Imbissstuben machen selbstverständlich auch Pizza.“

Insel Grafenwerth, 12.25 Uhr: Ein Bad am Rhein

Bad Honnef hat einen der schäbigsten Bahnhöfe der Region. Dafür befindet sich unweit am Rhein einer der schönsten Plätze: die Insel Grafenwerth, direkt an der Südgrenze zu Rheinland-Pfalz. Das Freibad füllt sich um die Mittagszeit. Carsten Kolberg hat alles im Blick. Und demnächst Feierabend. Der Bademeister – volle Berufsbezeichnung: Meister für Bäderbetriebe – dreht eine Runde über das drei Hektar große Areal. Er nimmt einen Schluck aus der Mineralquelle, aus der sehr eisenhaltiges Wasser sprudelt. Es schmeckt – gewöhnungsbedürftig. „Manche Gäste bringen Flaschen mit und füllen sich etwas ab“, erzählt der 43-Jährige.

Seinen Dienst hat er bereits vor 6 Uhr angetreten, wie immer im Sommer. Wenn um 7 Uhr die Frühschwimmer mit den Füßen scharren, muss alles vorbereitet sein. „Ich mag die Stille morgens“, sagt Kolberg. Hier der Blick auf Rolandsbogen und Drachenfels, dort das sachte Pluckern der Rheinschiffe. Was für ein toller Arbeitsplatz, denke er oft. Gleichwohl ist der Alltag dicht getaktet. Aufsicht, Technik, Kasse, Erste Hilfe, Schwimmkurse: Leerlauf gibt es nie, zumal die Personaldecke dünn ist. So dünn, dass das Honnefer Bad zeitweise die Öffnungszeiten reduzieren musste. „Es ist schwierig, Fachkräfte zu bekommen“, so der stellvertretende Badleiter.

27 Grad, strahlender Sonnenschein: Es ist optimales Badewetter. Hauptsächlich Kinder tollen um die Mittagszeit durch das Bad. Einige besuchen den Ferienschwimmkurs. „Die Teilnehmer werden immer älter“, sagt Kolberg. „Einige sind mit zehn oder zwölf Jahren noch Nichtschwimmer, das ist erschreckend.“ Es sei nicht mehr selbstverständlich, dass das Schwimmen in der Schule gelernt werde. „Aber der Unterricht ist für mich nach wie vor eine schöne Aufgabe.“ Ob er selbst, nach seinem Feierabend um 14.15 Uhr, noch mal privat in die Fluten steige? Carsten Kolberg lacht. „Sicherlich nicht.“ Lieber geht er eine Runde mit dem Hund spazieren.

Hilberath,15.19 Uhr: Neue Wege in der Eifel

In mäßigem Tempo fährt die Buslinie 844 von Rheinbach über die L 492 hinauf nach Hilberath. Hinten klappert ein Anhänger für Fahrräder. Er ist leer. Wie auch der Bus – beinahe. „Sie sind heute der erste Fahrgast“, erzählt der Fahrer, als er in dem Rheinbacher Höhenort die Tür öffnet. Hier, an der Schwelle zu Ahrtal und Eifel, ist das Auto für viele konkurrenzlos. Hilberath liegt im äußersten südwestlichen Winkel des Rhein-Sieg-Kreises. Bis Au (Sieg) am östlichen Rand sind es rund 85 Kilometer.

Besuch bei Angelika Sampels. In ihrem Café in der alten Scheune herrscht reger Betrieb. Sie und ihr Mann Heinz Sampels machten einst aus der Not eine Tugend. „Wir hatten über viele Jahre einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Ackerbau, Milchvieh und Galloway-Rindern“, berichtet die 58-Jährige. „Doch dann kam BSE.“ Die Auswirkungen des Rinderwahns bedeuteten für sie in den 90er Jahren eine existenziellen Krise. Keiner wollte mehr Rindfleisch.

Ein Hoffest, bei dem die Landwirtschaft von einst im Mittelpunkt stand, brachte 1995 die Initialzündung für Neues. Das Paar eröffnete einen Hofladen, und es verkaufte selbst gebackenes Brot. Das kam an. Heinz Sampels lernte nebenbei den Beruf des Bäckers. 2002 kam das Café dazu, in dem sich Tagestouristen und Gesellschaften niederlassen. Inzwischen arbeiten hier zwei Bäcker und eine Konditorin sowie zahlreiche Aushilfen. Insgesamt sind es 35 Mitarbeiter. Außerdem bietet der Betrieb Wandertouren mit Lamas an, die er von einem Betreiber aus der Nachbarschaft übernommen hat.

Der Landwirtschaft sind die Sampels treu geblieben. Sohn Markus Lenders führt den Hof als Bio-Betrieb mit Schwerpunkt Fleischvermarktung. 90 Rinder und 20 Schweine stehen auf den Wiesen und im Stall. Diesmal spielt der Zeitgeist den Sampels in die Karten. „Die Verbraucher sind kritischer geworden. Sie wollen wissen, woher das Fleisch kommt“, sagt Angelika Sampels. Auf die letzten 20 Jahre blickt sie stolz zurück. Doch es ist ein stiller Stolz, bei dem Bescheidenheit mitschwingt. „Wir mussten uns damals einfach etwas Neues einfallen lassen.“

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