Friseurmeister seit 50 Jahren "Von Rente steht nichts in der Bibel"

SIEGBURG · Als Ernst Bierwirth (71), der in diesem Jahr den 50. Jahrestag seiner Meisterprüfung feiert, 1961 nach Siegburg kam, da ahnte er noch nicht, dass er bleiben würde. Eigentlich sollte die Kreisstadt für den damals 17-jährigen, frisch gebackenen Friseurgesellen nur Zwischenstation sein, er wollte "auf die Walz gehen", dann seinen Meister machen.

 Seit 50 Jahren lebt er für den Friseurberuf: Erich Bierwirth in seinem Salon an der Holzgasse.

Seit 50 Jahren lebt er für den Friseurberuf: Erich Bierwirth in seinem Salon an der Holzgasse.

Foto: Holger Arndt

Dass der junge Mann hier landete, war Zufall. Während seiner Lehrzeit in Gelnhausen (Hessen) lernte der gebürtige Büdinger bei einem Lehrgang den Siegburger Friseur Josef Senf kennen, der ihm eine Stelle beim Kollegen Werner Ubben vermittelte. Ernst setzte sich in den Zug mit einem Ziel, von dem er noch nie etwas gehört hatte. Er klingelte an der Haustür seines neuen Chefs und stellte sich dessen Frau mit den Worten vor: "Ich bin der neue Geselle für Herrn Ubben."

Am nächsten Tag stand der 17-jährige gelernte Damenfriseur schon im Salon. Die Kundinnen, "überwiegend Geschäftsfrauen aus der Holzgasse", musterten ihn und fragten Ubben: "Werner, meinste, der Jung kann dat?" Er konnte. "Alle acht Tage waschen und legen, alle drei Monate Dauerwelle", war in den 60er Jahren bei den Frauen angesagt. Und zweimal im Jahr habe es eine neue Mode gegeben. Beispielsweise "Mirabella oder Noblesse", erinnert sich Bierwirth.

Mit Grauen denkt er an die "Farah Diba"-Frisur zurück, benannt nach der letzten Persischen Kaiserin. "Aufgrund der hochtoupierten Frisuren mussten die Damen mit einer Nackenrolle schlafen", berichtet er und schüttelt noch heute den Kopf über den "Unfug".

Von Dauerwelle und Locken hält er immer noch nichts, denn die zerstören die gesunden Haare. Vor allem bei Männern. Daher hat er solche Wünsche stets abgelehnt. Auch die nach "Minipli", kleine Löckchen und der letzte Schrei in den 80er Jahren. Anfreunden konnte er sich eher mit der "Beatles-Frisur", die er als erster Friseur in der Stadt anbot.

Die heutige Haarmode "Flat", er nennt sie "Tellermine", gefällt ihm auch nicht. Bei der bleibt nur ein Streifen Haare auf dem Kopf stehen. "Früher haben wir dazu Bürstenschnitt gesagt. Den hatte schon Bismarck", weiß der Friseurmeister zu berichten. Eine andere Stärke: rasieren. 100 Rasuren schaffte er einst an einem Ostersamstag bei Ubber. Im eigenen "Frisierstübchen" in der Hülsterpassage macht er solche Akkordarbeit nicht.

Der Rentner, für den sein Laden reines Hobby bedeutet, redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Und erzählt: Ein bettlägriger Kunde, den er zehn Jahre lang dreimal in der Woche rasierte, starb während der Prozedur. Frau und Tochter, die im Zimmer nebenan saßen, überbrachte er die Botschaft mit den Worten: "Er hat die Rasur nicht überlebt." Rasiert hat er zu Anfang seiner Karriere auch Verstorbene vor der früher üblichen Aufbahrung.

"Das waren die besten Kunden, die sagten ja nichts mehr", erzählt er mit einem schelmischen Grinsen. Zu seinen Kunden gehörten die Bürgermeister Heinrichs, Herkenrath und Krieger. "Mit Heinrichs hab ich während des Haarschneidens das Siegburger Freibad geplant", berichtet der ehemalige Leistungssportler, der in seiner außerberuflichen Karriere "ungefähr zweieinhalbmal die Erde umrundet" hat, selbstbewusst: "Ich habe ihm gesagt: Denken Sie daran, ein Freibad ist ein Zuschussbetrieb."

Der Vater von zwei Söhnen (49 und 46) hat noch Stammkunden, die sich seit 50 Jahren die Haare von ihm schneiden lassen und "an Krücken und mit dem Rollator kommen". Er macht aber auch Hausbesuche. Zu den Terminen fährt er nach Dienstschluss mit dem Fahrrad, Kamm und Schere sind im Rucksack verstaut. Ans Aufhören denkt er nicht, Urlaub hat er noch nie gemacht. "Davon steht nichts in der Bibel", sagt er.

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