Initiativkreis Rhein-Sieg "Wut oft Signal für Überforderung"

RHEIN-SIEG-KREIS · Manchmal stehe die geballte Wut vor ihr und sie müsse ihre ganze Kraft und Konzentration sammeln, um trotzdem Verständnis zu haben, erzählt Pflegemutter Marlen Krampe über Streitsituationen mit ihren vier Pflegekindern. Die 52-jährige Henneferin hat sich mit ihrem Mann bewusst dafür entschieden, Kindern eine Heimat zu bieten, die nicht bei ihren leiblichen Eltern aufwachsen können.

 Im Rhein-Sieg-Kreis sind circa 500 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien untergebracht.

Im Rhein-Sieg-Kreis sind circa 500 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien untergebracht.

Foto: dpa-

"Liebe alleine genügt nicht", sagt Krampe, das müssten Pflegeeltern lernen. Verlässlichkeit, Verbindlichkeit und Alltagsrituale seien besonders wichtig für die traumatisierten Kinder. Die Trennung von ihren leiblichen Eltern sei bereits sehr belastend. Verständnis für die seelische Situation der Kinder sei der Schlüssel zu einer starken Familie.

Deswegen hat Marlen Krampe vor zwei Jahren mit der Troisdorfer Pflegemutter Sabine Wagner den Initiativkreis für Pflege- und Adoptiveltern im Rhein-Sieg-Kreis gegründet, der sich vor allem an Pflegeeltern von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen und traumatischen Erlebnissen richtet. Bei den gemeinsamen Treffen können Pflegeeltern ihre Sorgen und Nöte austauschen und gemeinsame Lösungen finden. "Vor allem finden sie bei uns Verständnis", sagt Sabine Wagner, "im Kindergarten, der Schule oder auf dem Spielplatz werden die Kinder gerne als unerzogen bezeichnet, wenn sie beispielsweise wütend sind." Dabei sei Wut oft ein Zeichen von Überforderung. Gerade im Schulalltag gebe es dafür wenig Verständnis, bemängelt Krampe.

Mittlerweile gibt es mehr als 50 Gruppenmitglieder, die sich in der Familienbildungsstätte in Sankt Augustin treffen. Die "Lebenshilfe Bildung NRW" unterstützt die Initiative und stellt den Gruppenraum zur Verfügung und half Krampe und Wagner auch bei der Durchführung einer Fachtagung zu dem Thema "Stärkung macht den Alltag - Wut und Aggression bei Kindern". Aus ganz NRW kamen rund 70 interessierte Pflegeeltern zur Tagung. Ihre Kinder wurden in der Zeit vom "Spiele Circus Köln" unterhalten. Die Aktion Mensch förderte ebenfalls den Familientag, bei dem unter anderem Pädagogikprofessor und Pflegevater August Huber einen Vortrag hielt. Auch sein Fazit lautete: Nicht alles ist wegtherapierbar, Verständnis für das Kind ist daher umso wichtiger.

Sabine Wagner hat auch ein ganz persönliches Resümee gezogen: "Ich muss mich auch selber schützen, denn ein Trauma kann ansteckend sein."

Der Initiativkreis ist zwar bewusst trägerunabhängig, doch der Kontakt zu Fachleuten aus Verbänden oder dem Jugendamt wird dennoch intensiv gepflegt. "Wir wollen auch eine positive Haltung gegenüber den Ämtern vermitteln", sagt die 48-jährige Sabine Wagner. Nicht nur das Jugendamt hält ein Auge auf die Familien, Vormundschaften und regelmäßige Besuchskontakte mit den leiblichen Eltern verlangen Absprachen und Vorbereitungen.

"Das hat natürlich zwei Seiten", formuliert es Wagner vorsichtig, "es ist wichtig, dass die Ämter kontrollieren und Hilfe anbieten, auch der Kontakt zur eigenen Herkunft ist sehr bedeutsam für die Kinder, aber die vielen Besuche bringen Unruhe".

Marlen Krampe hat erlebt, dass sich ihre Kinder auch von selber mit ihrer Herkunft auseinandersetzten. "Vor kurzem hätten sich die vier Kinder gegenseitig über ihre leiblichen Familien ausgefragt und plötzlich saßen sie mit ihren Fotoalben am Küchentisch und hatten Spaß." Liebe alleine heilt die Wunden nicht, doch eine liebende Familie mit viel Verständnis ist die beste Medizin.

Treffen des Initiativkreises

Im Rhein-Sieg-Kreis sind dieses Jahr circa 500 Kinder im Alter bis 21 Jahren in Pflegefamilien untergebracht. Das Kreisjugendamt sucht auch neue Pflegefamilien. Das nächste Treffen des Initiativkreises für Pflegeeltern ist am Donnerstag, 22. Januar, in der Lebenshilfe Sankt Augustin, Bonner Straße 68a. Weitere Infos bei Sabine Wagner, Tel. 0 22 41/1 69 51 45, und bei Marlen Krampe, Tel. 0 22 42/9 01 90 79.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort