Tödlicher Bahnstrom Bundespolizei warnt vor den Gefahren am Güterbahnhof in Troisdorf

Troisdorf · Immer wieder verunglücken Jugendliche am Güterbahnhof in Troisdorf. Erst im vergangenen Jahr starben zwei Jugendliche an Stromschlägen. Die Leitungen hatten sie nicht berührt. Die Bundespolizei klärt nun öffentlich über die Gefahren des Bahnstroms auf.

 Max Mauel demonstriert an einem Original-Stromabnehmer der Deutschen Bahn, wie gering ein Abstand von 1,50 Meter ist.

Max Mauel demonstriert an einem Original-Stromabnehmer der Deutschen Bahn, wie gering ein Abstand von 1,50 Meter ist.

Foto: Inga Sprünken

Gedränge herrscht vor einem stehenden Zug. Alle wollen mit, aber es wird eng. Ein Mann klettert kurzerhand auf das Dach des Zuges und läuft auf diesem entlang. Er schwankt ein wenig, will sich festhalten und greift an die Leitung über ihm. Ein Knall, ein Blitz und der Mann sinkt tot auf das Zugdach. Jörg Ackermann zeigt diese kurze Sequenz auf seinem Handy. „Das war in Indien. Da, wie in Osteuropa gibt es ,nur‘ Gleichstrom mit 3000 Volt“, so der Präventionsbeauftragte der Bundespolizei Nordrhein-Westfalen. In Deutschland ist die Stromspannung an den Bahn-Oberleitungen mit 15.000 Volt um ein Vielfaches höher. Trotzdem versuchen immer wieder Jugendliche auf Züge zu klettern – aus Langeweile oder als Mutprobe. Dass sie – auch ohne Berührung der Oberleitung – von einem Lichtbogen getötet werden können, wissen die wenigsten.

„Der Körper besteht zu 70 Prozent aus Flüssigkeit und Flüssigkeit leitet“, erklärt Ackermann, warum es immer wieder zu Unfällen kommt. Spannungsüberschläge passieren schon bei Unterschreitung des Mindestabstandes von der Leitung von etwa 1,50 Meter. Wie wenig das ist, kann man am Eingang zum Bahnhof sehen. Denn dort hat das Präventionsteam der Bundespolizei in Zusammenarbeit mit dem der Deutschen Bahn AG einen originalen Stromabnehmer der Bahn sowie weitere Teile einer Oberleitung samt Teilen von Masten aufgebaut. Auf einer Palette stehend wird hier die Höhe eines Zuges von vier Metern simuliert, um insbesondere Jugendliche über die unsichtbaren Gefahren des Bahnstroms aufzuklären.

Drei Strom-Tote in Troisdorf

In Troisdorf kam es in der Vergangenheit bereits dreimal zu schweren und tödlichen Verletzungen von Jugendlichen durch Bahnstrom. Im Jahr 2018 kletterte ein 18-Jähriger an einem frühen Montagmorgen auf einen Kesselwagen und wurde von einem Lichtbogen getötet, ohne die Oberleitung auch nur berührt zu haben. Im vergangenen Jahr waren es gleich zwei Unfälle im Abstand von sechs Wochen. Am 3. Juli 2021 kletterte ein 13-Jähriger tagsüber auf einen auf dem Nebengleis abgestellten Güterwagen und verletzte sich durch einen Stromschlag lebensgefährlich, ebenfalls ohne Berührung der Leitung oder der Metallteile. Am 29. August gegen Mittag traf einen 14-Jährigen der Lichtbogen, als er versuchte, auf einem abgestellten Kesselwagen Fotos zu machen. Er war sofort tot.

„Das kann auch passieren, wenn jemand die Masten hochklettert“, erläutert Ackermann. Zwar seien die Stromleitungen gesichert, jedoch reiche schon, wenn die Luft feucht sei oder man feuchte Hände habe, so der Bundespolizist. Sein Kollege aus Köln, Max Mauel, berichtet von einem weiteren Stromunfall in Düren in 2018, bei dem ein 13-Jähriger nach dem Klettern auf einen Güterwaggon von dem Lichtbogen getroffen wurde und schwerste Verbrennungen erlitten hatte. „Der Strom tritt meist am Kopf ein und an den Beinen wieder aus. Dabei verbrennt man innerlich“, erläutert er. Beim Anfassen der Metallteile des Stromabnehmers oder aber der Masten bleiben die Opfer vielfach „kleben“ und erleiden schlimmste Haut-Verbrennungen. Das geht soweit, dass die Kleidung mit der Haut verschmilzt, fügt Mauel an. Dagegen seien die inneren Verletzungen durch einen Lichtbogen nicht sichtbar.

Rettung ist erst nach einer halben Stunde möglich

Wer überlebt, trägt langfristige Schäden davon, so wie der erste Junge aus Troisdorf, der nach 80 Operationen inzwischen verstorben ist. „In unserem Präventionsvideo berichtet ein Mädchen von seinem überlebten Stromunfall. Es hat schwere Hautverletzungen davon getragen“, berichtet Ackermann und spricht ein weiteres Problem an: „Es braucht eine halbe Stunde, bis der Verletzte gerettet werden kann, da erst der Strom abgeschaltet werden muss.“ Darum warnt er dringend davor, Verletzte selbst zu bergen. „Wenn etwas passiert, sollte man sofort 110 oder 112 wählen und nicht selbst tätig werden“, so Ackermann, der auch in Schulen Aufklärungsarbeit leistet.

Denn an den Gleisanlagen laueren weitere Gefahren. „Menschen unterschätzen die Geschwindigkeit von Zügen“, sagt Mauel und berichtet von einer 18-Jährigen, die in Köln ihren Heimweg abkürzen wollte, indem sie auf den Gleisen ging. Sie hörte den Zug nicht kommen und wurde mitgerissen. „Wir haben das mit Leuten getestet. Vom Wahrnehmen eines ICE-Zuges bis zu seinem Herannahen sind es drei Sekunden“, berichtet Ackermann. Dabei betrage der Bremsweg schon bei Zügen mit normalen Geschwindigkeiten von etwa 100 Stundenkilometern 1000 Meter. „Die Warnschilder stehen nicht aus Quatsch da“, so der Präventionsbeauftragte.

Der samt Masten eine halbe Tonne schwere Stromabnehmer, der von einem 7,5-Tonner für einen halben Tag an den Eingang des Troisdorfer Bahnhofs befördert wurde, soll künftig auch an anderen Bahnhöfen aufgebaut werden. „Wir sind schon mit Düren im Gespräch“, so Mauel. An einem Informationsstand informiert zusätzlich ein Präventionsbeauftragter der Deutschen Bahn über die Gefahren. In Troisdorf war es Jeff Dahlke, der Flyer verteilte und mit den Passanten sprach.

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