Gegen Corona Corona-Sänger aus Troisdorf-Oberlar: „Wir werden weiter singen“

Troisdorf · 365 Tage mit Gesang gegen Corona: Eine Oberlarer Nachbarschaftsgruppe musiziert seit einem Jahr jeden Abend auf der Straße.

 Seit einem Jahr begleitet Heinz Kieseier das Singen mit der Gitarre.

Seit einem Jahr begleitet Heinz Kieseier das Singen mit der Gitarre.

Foto: Meike Böschemeyer

Bilder aus dem norditalienischen Bergamo haben im vergangenen Jahr die ganze Welt erschüttert. Die Transporte unzähliger Corona-Opfer auf ihrem letzten Weg in die Krematorien bleiben im Gedächtnis. Genauso die Bilder singender Menschen, die allabendlich auf ihren Balkonen standen und auf ihre Weise der Krise trotzten. Sie zeigten ihre Solidarität mit den Helfern und gaben der ganzen Welt ein Zeichen der Hoffnung und Verbundenheit.

Diese Bilder gehören zu den rührendsten Momenten der Pandemie, die damals erst am Anfang war. Ein Jahr ist dies nun her – 365 Tage. Einen Aufruf des Verbandes evangelischer Chöre, dem norditalienischen Vorbild zu folgen, nahmen sich Rosemarie und Heinz Kieseier und ihr Vermieterehepaar Elisabeth und Norbert Halm zu Herzen.

„Wir sind eben wildverwegen, der Anti-Corona-G´sangsverein“

Die vier Oberlarer gingen am 18. März 2020 das erste Mal auf die Straße. Ein Hornsignal zum Auftakt, dann vier Lieder, die jeder unschwer mitsingen kann, dazu Gitarrenbegleitung und ein paar Gedanken von Heinz Kieseier (83). Der ehemalige Pfarrer an der evangelischen Friedenskirchengemeinde Troisdorf (1976 bis 2000) braucht kein Mikrofon, um deutlich verstanden zu werden. Seine Stimme erreicht problemlos auch die Nachbarhäuser. Und sie tut den Menschen gut.

Sie singen mit ihm und seiner Gitarre und vergessen für eine halbe Stunde die Corona-Sorgen. Das Seemannlied „Wir lagen vor Madagaskar“ hat Kieseier kurzerhand umgetextet: „Wir singen bei Sturm oder Regen, bei Frost und bei Sonnenschein. Wir sind eben wildverwegen, der Anti-Corona-G´sangsverein.“

Sänger zwischen acht und 84

Jeden Abend stellt Kieseier ein anderes Programm zusammen. Volkslieder, Karnevalslieder, Weihnachtslieder – in der Landgrafenstraße wird seit einem Jahr jeden Abend um 18 Uhr gemeinsam gesungen. Der Karfreitag bildet die einzige Ausnahme.

Die Gruppe der „Stamm-Singer“ ist inzwischen auf stolze 23 Sänger im Alter zwischen acht und 84 Jahren aus verschiedenen Häusern der Nachbarschaft angewachsen. Auch spontane Gast-Sänger schauen immer mal wieder vorbei, seit die WDR-Lokalzeit über die Oberlarer Sänger im Herbst berichtete.

„Das Singen hat unsere Nachbarschaft enger zusammengebracht“

Von Ermüdungserscheinungen ist jedenfalls keine Spur. „Alle haben ihre Freude“, schwärmt Rosemarie Kieseier (81), „auch bei Wind und Wetter freuen wir uns auf den Abend, wo wir aus tiefstem Herzen singen können.“ Mit Ausnahme eines Urlaubsausfalls waren die Kieseiers jeden Tag dabei. Die Federführung übernahm dann Norbert Halm, der sich inzwischen einen Abend ohne Gesang nur schwer vorstellen kann. „Es gehört für uns alle dazu“, sagt Halm.

Das „Anti-Corona-Singen“ ist für die Oberlarer zu einem wichtigen Ritual geworden. „Unsere Straße ist bisher coronafrei“, sagt Rosemarie Kieseier stolz und weist im gleichen Zuge auf die Vorsicht der Sänger hin, den Abstand zu wahren. Diskussionen mit dem Ordnungsamt habe es immer mal wieder gegeben. Doch die Abstände stimmten und das Abend-Singen unter freiem Himmel durfte stattfinden. Die einen stehen in ihren Haustüren, andere vor der Garage oder in den Fenstern.

„Auch wenn wir die Pandemie mal überstanden haben, werden wir weiter singen“, ist sich Heinz Kieseier sicher. „Das Singen hat unsere Nachbarschaft enger zusammengebracht und ist ein Trost in diesen Zeiten.“ Wie das Lied, das für alle am Anfang stand und an jedem Abend den Abschluss bildet: „Der Mond ist aufgegangen“.

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