Interview mit Andreas Fischer Seine Oma war die „Königin von Troisdorf“

Troisdorf · Der Troisdorfer Andreas Fischer schrieb einen dokumentarischen Kriegsenkelroman. Es ist eine Familiengeschichte vor und hinter der Fassade.

Interview mit Andreas Fischer: Seine Oma war die „Königin von Troisdorf“
Foto: Repro: haa

„Dieses Buch ist eines der größten Abenteuer meines Lebens“, sagt der in Troisdorf geborene Dokumentarfilmer Andreas Fischer nur zwei Wochen nach Erscheinen seines Debüt-Romans. Das Abenteuer führte ihn nach Troisdorf, zurück an seine Wurzeln, mitten in die Familiengeschichte der bekannten Troisdorfer Familie Fischer. Die hatte ein Fotogeschäft an der Kölner Straße 123. Der 1961 geborene Autor dokumentiert die Geschichte einer scheinbar ganz normalen Familie vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus, zwischen Ideologie und Fassade, Träumen und Traumata.

Interview mit Andreas Fischer: Seine Oma war die „Königin von Troisdorf“
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Seine Forschungen umfassen eine Spanne von hundert Jahren Familiengeschichte, deren letztes lebendes Kapitel er selbst ist. Seine Protagonisten sind Vater Reinhold und Mutter Ilse Fischer, Oma Lena und sein Onkel Günther. Der war fanatischer Anhänger Hitlers. Er fiel Silvester 1941 in der Ukraine bei einem Luftangriff und hinterließ einen reichen Fundus an Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg. Spätestens seit der Buchvorstellung am 7.April in Berlin und der Fülle an Reaktionen auf seinen Debüt-Roman „Die Königin von Troisdorf – Wie der Endsieg ausblieb“ weiß Fischer, dass er mit dem Blick hinter die Fassade der Kriegsenkel-Generation einen Nerv getroffen hat. Der beschreibt „nicht die Ausnahme, sondern die Regel“ deutscher Nachkriegs-Befindlichkeiten. Und mit Blick auf den Ukraine-Krieg ist er aktueller denn je. Vor Fischers Lesung am Sonntag im Kunsthaus Troisdorf sprach Susanne Haase-Mühlbauer mit dem Autor.

Interview mit Andreas Fischer: Seine Oma war die „Königin von Troisdorf“
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Sie haben in Köln studiert und leben heute in Berlin. Ihre Kindheit verbrachten sie in Troisdorf, wo sie 1961 auch geboren wurden. Welche Schule besuchten Sie hier?

 Das Haus, in dem seine Eltern ein Fotogeschäft führten, steht heute nicht mehr. Andreas Fischer auf der oberen Kölner Straße, dem Ort seiner Kindheit.

Das Haus, in dem seine Eltern ein Fotogeschäft führten, steht heute nicht mehr. Andreas Fischer auf der oberen Kölner Straße, dem Ort seiner Kindheit.

Foto: haa

Andreas Fischer: Alle! Nach der Grundschule Blücherstraße kam zunächst das Gymnasium Zum Altenfort, damals Jungengymnasium mit autoritären Lehrern. Ich war verschüchtert und sprach nur wenig. Man hielt mich für „geistig zurückgeblieben“ und empfahl mir eine Sonderschule oder wenigstens die Hauptschule. Dort blieb ich nicht lange, wechselte zur Realschule Heimbachstraße. Meine Klassenlehrerin Maria Uleer, die ich heute noch besuche, nahm mir die Angst, mich zu Wort zu melden. Das Abitur machte ich dann am Gymnasium in Sieglar.

Sie waren in den vergangenen zwanzig Jahren als Dokumentarfilmer mit sensiblen Themen, wie „Contergan“ oder dem „Hamburger Feuersturm 1943“ unterwegs. Wann entdeckten Sie, dass Ihre eigene Familiengeschichte genügend Zündstoff für ein Buch hergibt?

Fischer: Das war mir ziemlich schnell klar und beschäftigt hat mich das Thema schon sehr lange, weil es etwas Universelles hat. 1996 habe ich schon einen Film darüber gemacht. Hinter dem Titel, „Geschichte von der „Trans-ural-Photogesellschaft“, die mein Vater mit einem Bruder tatsächlich „nach dem Endsieg“ gründen wollte, steckt die alte Nazi-Ideologie, dass wir den „Lebensraum Osten“ angeblich brauchen. Da gibt es erschreckende Parallelen ins Jetzt. Der Film ist auf meiner Web-Seite zu sehen.

Wie lange haben Sie dann am Buch gearbeitet und geforscht?

Fischer: Das waren gut vier Jahre Recherche. Sehr geholfen hat mir die „Deutsche Dienststelle“ in Berlin, über die ich Zugang zu den Akten von Wehrmachts-Mitgliedern erhielt. Aber auch meine Befragungen vor Ort und die Gespräche, die ich mit meiner Mutter hatte, sind eingeflossen. Mein Vater hat nicht viel gesprochen, auch wenn er nach außen hin mit den Kunden freundlich umging und sogar als Dolmetscher in Englisch und Französisch arbeitete. Zuhause zog er sich mit einer Schnapsflasche zurück.

Sie sind Einzelkind. Wann wurde Ihnen bewusst, dass das Schweigen über die Wahrheit des Nationalsozialismus, Schläge und Gefühlskälte „nicht normal“ waren?

Fischer: Natürlich habe ich das wärmende Zuhause vermisst, aber nie daran gezweifelt, dass es anders sein könnte. In gewissem Sinne bin ich vaterlos aufgewachsen, weil ich nicht mit meinem Vater sprechen konnte.

Ist ihre Familie mit ihrer verdeckten Nazi-Ideologie eine Ausnahme, oder ist sie die Regel?

Fischer: Das ist total die Regel. Das merke ich aus den Leserreaktionen. Das Trauma sitzt tief. Es wird selbst eine Generation später noch immer nicht gesprochen. Entweder aus Scham oder aus Desinformation.

Der „Endsieg“, der für Hitler ausblieb, blieb nach Ihrer Wahrnehmung auch für Ihre Familie aus. Ist das das Kriegstrauma, das jeder alleine und im Verborgenen auslebte?

Fischer: Das Trauma besteht darin, dass das Leben der Überlebenden durch den Tod und die Zerstörung des Krieges abgebrochen wurde. Der ursprüngliche Lebensentwurf konnte nicht gelebt werden. Deshalb schreibe ich ironisch im Untertitel zum Buch „Wie der Endsieg ausblieb“.

Und der Titel „Die Königin von Troisdorf“ hat ebenfalls einen ironischen Zusammenhang?

Fischer: Meine Oma Lena war bekannt, dass sie eine herrische Art und alles gerne unter Kontrolle hatte. Als vor ihrem Haus Bauarbeiten waren, stand sie ständig auf dem Balkon, die Hände in die Hüften gestützt. Sie kontrollierte die Bauarbeiter mit strengem Blick. Einer titulierte sie lautstark und zynisch als „Königin von Troisdorf“. Das hat sie damals zwar sehr getroffen, aber es beschreibt, wie sie wahrgenommen wurde.

Neben Filmwissenschaft haben Sie auch Ethnologie und Psychologie studiert. Machte das die Entwicklung eines filmischen Psychogramms ihrer Vorfahren leichter?

Fischer: Absolut. Vor allem Psychologie war sehr hilfreich bei den analytischen Gedankengängen. Das war hier fast noch wichtiger als Filmwissenschaft. Ich habe nach Mustern und Wiederholungen geschaut bei meinem Versuch zu verstehen, was über Jahrzehnte hinter der Familienfassade vorgegangen ist.

Ihren beruflichen Anfang haben Sie mit einer Fotografenausbildung und einem Studium der Filmwissenschaft gemacht. Sehen Sie sich als Teil der Familientradition des Fotogeschäfts Ihrer Eltern an der Kölner Straße?

Fischer: Auf jeden Fall. Nicht nur Film und Foto, sondern auch die künstlerische Ader des Vaters meiner Mutter, der Malermeister und begabter Künstler war, liegen in der Familie.

Was bedeutet es für Sie persönlich, ihre Familiengeschichte dokumentarisch aufgearbeitet zu haben? Ist das eine Art Selbst-Therapie?

Fischer: Nein, Therapien habe ich zum Glück dazu bereits gehabt, und das ist schon lange her. Aber es hat mich tatsächlich aufgewühlt und sehr bewegt, so tief in die Geschichte einzusteigen. So kann ich es jetzt tatsächlich für mich als einen Schlusspunkt beschreiben.

Mit Blick auf den aktuellen Krieg in der Ukraine und die Kriegsgeschichte ihrer Familie – was raten Sie den Menschen, nach dem Krieg zu tun? Was wurde in der Generation Ihrer Großeltern verkehrt gemacht?

Fischer: Das Erzählen von dem Erlebten ist vielleicht schmerzhaft, aber wo geschwiegen wird, geht es in jedem Falle schlechter.

In die Stadtbibliothek Troisdorf kommt Fischer am Samstag, 23.April 2022 zu einer Signierstunde von 12 Uhr bis 14 Uhr. Zur Vorstellung seines Buches mit Lesung und Gespräch ist der Autor am 24. April ab 15 Uhr im Kunsthaus Troisdorf, sowie am Freitag, 6. Mai, ab 19 Uhr Lesung und Gespräch in der Troisdorfer Johannes-Kirche. Sein Kriegsenkelroman „Die Königin von Troisdorf – Wie der Endsieg ausblieb“ kann zum Preis von 22,50 Euro im Buchhandel bestellt werden oder ist über den Verlag unter www.eschen4.de versandkostenfrei erhältlich.

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