Medizinisches Angebot in Troisdorf Medipunkt bietet Sprechstunde für Menschen ohne Krankenschein

Troisdorf · Der Medipunkt steht nun kurz vor dem Start. Am 18. Oktober gibt es in Troisdorf die erste Sprechstunde für Menschen im Rhein-Sieg-Kreis, die keine Krankenversicherung haben. Wir haben gefragt, warum das nötig ist und was es dafür braucht.

Regina Flackskamp bei den Vorbereitungen auf die Eröffnung des Medipunkts.

Regina Flackskamp bei den Vorbereitungen auf die Eröffnung des Medipunkts.

Foto: Inga Sprünken

Was für Normalbürger alltäglich ist, ist für mindestens 61.000 Menschen in Deutschland etwas Besonderes: der Besuch beim Arzt. So viele Menschen haben deutschlandweit keine Krankenversicherung. Zwar ist laut Statistischem Bundesamt die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung rückläufig, aber die Dunkelziffer ist seit der Corona-Krise gestiegen. Das bestätigt auch Regina Flackskamp.

Die Ehrenamtsbeauftragte der katholischen Pfarrgemeinde Sankt Johannes Troisdorf hört von den Ehrenamtlern der sozialen Beratungsstelle Lotsenpunkt vermehrt auch von Familien mit Kindern, die ihre Krankenversicherung nicht mehr bezahlen können. „Das war vor Corona nicht so“, sagt sie. Vorher seien es eher private Gründe gewesen, inzwischen vermehrt wirtschaftliche. Flackskamps Idee soll ihnen nun helfen.

„Nach einem Jahr Vorbereitung können wir am 11. Oktober den Medipunkt in der Beratungsstelle eröffnen“, so Flackskamp. Bei diesem kostenlosen medizinischen Angebot können alle Menschen aus dem Rhein-Sieg-Kreis ohne Krankenversicherung, aber auch diejenigen, die Hemmungen haben, eine normale Arztpraxis aufzusuchen, Hilfe erhalten. Drei Ärzte und sieben Krankenschwestern und Arzthelferinnen übernehmen ehrenamtlich die Akut-Sprechstunde, die jeden Dienstag von 12 bis 15 Uhr in einem Nachbarraum des Lotsenpunktes am Pfarrer-Kenntemich-Platz 31 in Troisdorf geöffnet ist. Die erste Sprechstunde findet am 18. Oktober statt.

Drei Ärzte im Ruhestand sind dabei

„Den ehrenamtlichen Beratern im Lotsenpunkt fiel auf, dass viele Menschen offene Hautstellen haben oder sich ständig kratzen müssen“, erzählt die Ehrenamtsbeauftragte von der Geburt der Idee. Der folgte die Überlegung, „dass wir eine Akut-Versorgung starten können, wenn wir medizinisches Personal finden, das bereit ist, ehrenamtlich zu arbeiten“, so Flackskamp.

Drei pensionierte Ärzte aus Siegburg – darunter ein Onkologe und ein Chirurg, der früher im Siegburger Krankenhaus beschäftigt war – fanden sich schnell über die Ärztekammer. „Im Idealfall finden sich noch weitere Ärzte. Zehn wäre die optimale Zahl, damit sich die Belastung für jeden einzelnen in Grenzen hält“, sagt die Ehrenamtsbeauftragte, die hofft, dass auch zum medizinischen Personal noch Freiwillige dazu kommen.

In Zusammenarbeit mit der Ärztekammer und mit Hilfe einer Anschubfinanzierung durch die Caritasstiftung, einer Stiftung des Erzbistums Köln, sowie Spenden aus der Gemeinde wurde der Raum möbliert und medizinisches Material angeschafft. Bei Letzterem erfuhren die Initiatoren Hilfe von der Hennefer Firma Dana med, die Medizin-Produkte herstellt. „Wir haben viele Dinge zu einem günstigen Preis erhalten, manches wurde auch gespendet“, sagt Flackskamp mit Blick auf Schutzbekleidung, Pflaster, Mullbinden und andere Verbrauchsmaterialien. Vor Ort sollen Patienten künftig auch kleine Gaben an Medikamenten wie etwa Halsschmerz-Tabletten erhalten können, so der Plan. Darum hofft die Ehrenamtsbeauftragte auch auf Spenden von Apotheken.

Einzigartiges Angebot im Rhein-Sieg-Kreis

Die kostenlose Akut-Sprechstunde ist im rechtsrheinischen Rhein-Sieg-Kreis einmalig. Um Bedürftige darauf aufmerksam zu machen, möchte Flackskamp an den Plätzen, an denen sich viele Obdachlose aufhalten, Flyer verteilen. Sie rechnet damit, dass es etwas dauert, bis sich das Angebot herum gesprochen hat, das es bisher nur in Köln und Bonn gab. Dass es dringend benötigt wird, davon ist sie überzeugt. „Viele Leute, die früher einen Mini-Job hatten, sind aus dem System gefallen“, berichtet sie von den Erfahrungen aus dem Lotsenpunkt – ein Beratungsangebot, das es seit 2019 gibt und Menschen bei Problemen aller Art unterstützt.

Neben Studenten, die während des Lockdowns ihre festen Jobs verloren haben, finden sich dort vermehrt auch Selbstständige, die ihre Existenz und damit ihre private Krankenversicherung verloren haben. Familien, die bislang gerade über die Runden kamen, schaffen es nun wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht mehr. „Seit Frühjahr nimmt diese Personengruppe zu“, schildert Flackskamp ihre Beobachtung.

Hinzu kommen Menschen mit Migrationshintergrund und Geflüchtete aus der Ukraine. Letztere nutzen auch intensiv das Angebot der Tafel am ersten Mittwoch im Monat und das Tafel-Café, das zur gleichen Zeit geöffnet ist – beides nicht weit vom neuen Medipunkt entfernt, wie sie sagt. Hier wie im Lotsenpunkt soll allen, die Ausgrenzung und Ablehnung erfahren haben, das Gefühl vermittelt werden, dass sie wichtig sind. „Dadurch steigt im Idealfall das Selbstwertgefühl“, so die Pfarrei-Mitarbeiterin. Denn wer die Erfahrung mache, dass andere ihn unterstützen und ihm etwas zutrauen, schöpfe daraus die Kraft, die er braucht, um eine neue Perspektive zu entwickeln, wie sie sagt. Zur Eröffnung am 11. Oktober werden neben Bürgermeister Alexander Biber auch Vertreter des Rhein-Sieg-Kreises sowie der Sozialdienste SKM und SKF aus Siegburg erwartet.

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