Mit Handicap auf Arbeitssuche Troisdorferin mit Behinderung findet nur schwer einen Job

Rhein-Sieg-Kreis · Lilian Brandt aus Troisdorf leidet seit Jahrzehnten an einer Bewegungsstörung mit dem komplizierten Namen Tortikollis spasmodius. Lange musste sie nach dem optimalen Job suchen.

 Lilian Brandt ist verantwortlich für das Projekt „Wohnen für Hilfe“. Damit ermöglicht der Bonner Asta Studierenden eine Unterkunft, die kein WG- oder Studentenzimmer in der Stadt gefunden haben. Seit Kurzem hat sie sogar einen unbefristeten Vertrag. FOTO: WILDERMANN

Lilian Brandt ist verantwortlich für das Projekt „Wohnen für Hilfe“. Damit ermöglicht der Bonner Asta Studierenden eine Unterkunft, die kein WG- oder Studentenzimmer in der Stadt gefunden haben. Seit Kurzem hat sie sogar einen unbefristeten Vertrag. FOTO: WILDERMANN

Foto: Anne Stephanie Wildermann

Lange stand dieser furchteinflößende Drache vor Lilian Brandt (52). Sie fühlte sich ihm gegenüber wie eine hilflose Maus, die nicht wusste, wie sie sich dem Drachen entgegenstellen sollte. „Er kontrollierte mich regelrecht“, gesteht die Troisdorferin. Dieser Drache steht für ihre Ängste, die nicht verschwunden sind, aber „heute kontrolliert die Maus den Drachen“, sagt Brandt selbstbewusst. Sie leidet seit Jahrzehnten an einer Bewegungsstörung mit dem komplizierten Namen Tortikollis spasmodius. „Für meinen Kopf ist geradeaus gucken unnatürlich. Er zieht immer nach links“, erklärt Brandt.

Sie sitzt an einem Herbsttag in ihrem hellen Büro, das zum Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta) der Universität Bonn gehört. Auf dem Schreibtisch liegen Papiere, die Studierende ausfüllen, wenn sie keine Bleibe in der Stadt gefunden haben und somit bei Privatpersonen unterkommen können. Brandt betreut seit Dezember 2014 das Projekt „Wohnen für Hilfe“. Inzwischen hat sie sogar einen unbefristeten Vertrag. Sie fühlt sich wohl bei ihrem Arbeitgeber, der ihr Handicap akzeptiert und ihr die Möglichkeit zur einer flexiblen Gestaltung ihres Arbeitsplatzes gibt.

Aufgrund der Behinderung kann Brandt nur 19,9 Stunden pro Woche arbeiten. Acht Stunden am Tag beziehungsweise 40 Stunden in der Woche würde sie körperlich nicht schaffen. Wenn sie nicht an ihrem Arbeitsplatz in der Nassestraße sitzt, dann arbeitet sie vormittags von zu Hause aus und macht nachmittags Hausbesuche bei potenziellen Vermietern. Brandts Leistungsfähigkeit variiert, so dass es an guten Tagen mal 75 Prozent sein können, aber in der Regel 50 Prozent das Tagesziel sind. „Alle drei Monate bekomme ich meine Injektion, die Wirkung hält bis zu acht Wochen. In den letzten vier Wochen merke ich bereits, dass es härter wird und meine Leistungsfähigkeit nachlässt. Dann muss ich früher zu Hause sein und mich hinlegen“, sagt Brandt.

Auf den Job beim Asta hat sich Brandt eigenständig beworben. Sie stieß über die Jobbörse der Agentur für Arbeit auf die Stellenausschreibung. „Ich habe mich für das Thema interessiert und die Anstellung war sozialversicherungspflichtig“, erinnert sie sich. Doch bevor Brandt beim Asta landete, hatte sie drei Jahre hinter sich, in denen sie viel über ihre Grenzen herausfinden musste und sich seither auch mehr zutraut.

Laut Sabine Schultz, Sprecherin des Jobcenters Rhein-Sieg, gab es im gesamtem Rhein-Sieg-Kreis bis September 2017 732 arbeitslose Menschen mit Behinderung, 2016 waren es 730 und 2015 701 Betroffene, die ausschließlich vom Jobcenter betreut werden. Für den gesamtem Kreis sind für das Jahr 2017 1168 Menschen mit Behinderung arbeitslos gemeldet.

Schaut man sich die Statistik des Jobcenters Rhein-Sieg und der Agentur für Arbeit von März dieses Jahres für die Region an, fällt auf, dass vor allem Männer mit Handicaps (692) von Arbeitslosigkeit betroffen sind, statt behinderte Frauen (481). Generell lässt sich sagen, dass eine Eingliederung der Betroffenen auf den Arbeitsmarkt nicht einfach abläuft. „Die Gründe sind beispielsweise Arbeitszeiten, Pendeln und befristete Verträge“, sagt Petra Feldmann, Vermittlerin beim Jobcenter Rhein-Sieg. „Allerdings ist eine Beratung nach der Arbeitsaufnahme der Schlüssel zum Erfolg“, ergänzt die Expertin.

Ursprünglich hatte Brandt Erzieherin gelernt, aber früh festgestellt, dass dieser Beruf nichts für sie ist. Daraufhin holte sie ihr Fachabitur nach. Die körperlichen Beschwerden nahmen mit den Jahren zu, ein Rundumcheck beim Arzt war unausweichlich. 2008 dann die Diagnose. „Im Internet habe ich gesehen, dass es sehr viele Menschen mit dieser Bewegungsstörung gibt. Es war eine richtige Erleichterung für mich“, erzählt sie.

Mithilfe der Agentur für Arbeit kam sie für ein Jahr in eine Gruppe der Arbeiterwohlfahrt. In dieser Zeit absolvierte sie PC-Kurse. Damals war Brandt 42 Jahre alt, als ihr die Gruppenbetreuerin zu einer Umschulung riet. Die Skepsis war groß, zumal Brandt nicht wusste, in welchem Bereich sie umschulen sollte. Letztlich konnte sie sich vorstellen, Kauffrau im Gesundheitsbereich zu werden.

Die Reha-Beratung der Agentur für Arbeit half ihr, und Brandt saß kurz darauf mit 30 anderen Betroffenen in einer Klasse des Berufsförderungswerks Michelshoven in Köln und erhielt nach 24 Monaten, inklusive eines dreimonatigen Praktikums im Büro eines Altenheims, ihr Zertifikat von der Industrie- und Handelskammer. „Nach dem Praktikum war für mich klar, dass ich gerne in dem Bereich bleiben wollte“, sagt Brandt.

Sie fand im Anschluss auch eine Tätigkeit. In welchem Bereich ihr inzwischen ehemaliger Arbeitergeber zu tun hat, will Brandt nicht verraten. Nur so viel: sie arbeitete im Verwaltungsbereich und das Unternehmen ist im Rhein-Sieg-Kreis ansässig. Nach einem halben Jahr, entschloss sich Brandt zu gehen. Beschwerden waren wegen ihres befristeten Vertrages tabu. Obwohl der Arbeitgeber von ihrem Handicap wusste, belastete er sie dennoch zu 75 Prozent und nicht zu vereinbarten 50 Prozent. Damit es nicht zu solchen Verstößen kommt, bleibt laut Feldmann das Jobcenter „auch im Falle der Vermittlung noch Ansprechpartner, so dass der weitere Beratungsprozess ohne Reibungsverluste nachhaltig weiter funktionieren kann.“

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