Drogenhilfe in Troisdorf Wenn sich alles um die Sucht dreht

Troisdorf · Im einzigen Druckraum des Rhein-Sieg-Kreises können Abhängige seit 2004 hygienisch und unter Aufsicht Drogen konsumieren.

 Nikolas Böhlig, Teamleiter im Café Koko, legt die Utensilien für einen "Druck" bereit.

Nikolas Böhlig, Teamleiter im Café Koko, legt die Utensilien für einen "Druck" bereit.

Foto: Sofia Grillo

Der Heroin-rausch schien ihm genau das Richtige zu sein: Endlich konnte er vergessen, dachte nicht mehr an seine Probleme oder die Konflikte mit seinen Eltern. Alles, was ihn vorher gestört hatte, war ihm nun egal, erzählt der 30-jährige Abhängige, der anonym bleiben möchte. Jede Dosis Heroin, die er sich in die Vene spritzte, machte das Leben scheinbar leichter. Als er dann aber nach drei Wochen wieder aufhören wollte, merkte er, dass das nicht mehr ging.

Die Droge bestimmte von nun an seinen Alltag. Menschen wie er haben im Rhein-Sieg-Kreis seit 2004 eine Anlaufstelle in Troisdorf. Die Diakonie Rhein-Sieg hat für Abhängige am Troisdorfer Bahnhof einen Drogenkonsumraum eingerichtet. Dort bekommen die Süchtigen saubere Spritzen und werden, während sie sich die mitgebrachten Drogen intravenös verabreichen, beaufsichtigt. Es ist der einzige Druckraum im Kreisgebiet.

Der Besitz von Drogen ist in Deutschland verboten, Drogenkonsum ohne den strafbaren Besitz ist kaum möglich. Somit muss jeder, der Drogen nimmt, auch mit einer Strafverfolgung rechnen. Im Drogenkonsumraum können die Abhängigen nicht belangt werden. Der Konsum von Rauschmitteln ist dort gesetzlich erlaubt. Vor allem geht es um sauberes und beaufsichtigtes Konsumieren.

„Wir sind nicht dazu in der Lage, Drogenkonsum in der Gesellschaft abzuschaffen. Aber wir können den Konsum von der Straße holen und den Abhängigen helfen zu überleben“, sagt der Bereichsleiter für die Suchthilfe der Diakonie, Christoph Wolf. Der Drogenkonsumraum gehört zum Café Koko, einer Begegnungsstätte für Abhängige. Dort bekommen sie Mahlzeiten, können Duschen oder ihre Wäsche waschen. Das Café mit Druckraum ist jeden Tag von Montag bis Freitag geöffnet.

Rund 350 Klienten pro Jahr

Der Konsumraum sieht aus wie ein Arztzimmer – weiße Wände, blauer Boden. In der Mitte des Raumes steht keine Liege sondern ein großer weißer Tisch mit vier Plätzen. Hier setzen sich die Abhängigen ihren „Druck“, wie sie es nennen. Trennwände verwehren den Blick zum Gegenüber oder Nebenmann. An jeder Trennwand hängt ein Zettel: „Hände waschen vor Konsumvorgang nicht vergessen.“ Im Druckraum wird auf Hygiene geachtet. Die Klienten sollen sich nicht mit Krankheiten infizieren.

Ein Mitarbeiter der Einrichtung ist immer mit dabei. Er verteilt saubere Utensilien für einen „Druck“ und beaufsichtigt die Klienten. Wenn es zu Komplikationen kommt, wie bei einer Überdosis, kann vor Ort Erste Hilfe geleistet werden. Außerdem rufen die Mitarbeiter sofort einen Notarzt. Im Jahr kämen rund 350 verschiedene Klienten zur Begegnungsstätte mit Druckraum, so Wolf.

Täglich kämen drei bis acht Kunden. Im Drogenkonsumraum konsumieren die Klienten laut Bereichsleiter meist Heroin, Kokain oder Amphetamine. Jeder Klient muss ein Aufnahmegespräch mit einem der Sozialarbeiter der Einrichtung führen. Aufgenommen werden nur Menschen, die keine Erst- oder Gelegenheitskonsumenten sind.

Momentan sei der jüngste Klient 18 und die ältesten an die 60 Jahre alt. Der 30-Jährige Heroinabhängige begann seine Drogenlaufbahn mit 15 Jahren. Schon oft hat er einen Entzug oder eine Therapie gemacht. Einmal schaffte er es sogar, sechs Jahre „clean“, also frei von Drogen, zu bleiben. Ein Todesfall in der Familie ließ ihn wieder anfangen. „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen, und dann bin ich in alte Muster zurückgefallen“, sagt er.

Viele Therapien und Entgiftungen

Ein anderes Mal fing er wegen mangelnder Perspektiven wieder mit dem Heroin an. Frisch aus der JVA entlassen, hatte er weder eine Wohnung, Geld und Möglichkeiten, um das zu ändern. „Die meisten wollen mit dem Heroin einfach nur ihre Sorgen betäuben“, sagt Wolf. Dieses Muster erleben die Mitarbeiter im Druckraum oft. Meist kämen die Klienten in zyklischen Abständen, so Wolf. Viele würden Therapien oder Entgiftungen machen. Für gewisse Zeiträume seien die Klienten dann „clean“. Einschneidende Erlebnisse würden meist dazu führen, dass sie wieder rückfällig würden, sagt Wolf.

Die meisten Klienten, die regelmäßig zum Café Koko oder in den Druckraum kämen, würden irgendwann den Wunsch äußern, von den Drogen loszukommen. Dann sind die Mitarbeiter der Einrichtung zur Stelle. Drei Krankenpfleger, zwei Sozialarbeiter und fünf Rettungssanitäter teilen sich die Arbeit in der Anlaufstelle für Abhängige. Nikolas Böhlig ist Teamleiter.

Er stand dem 30-jährigen Heroin-Süchtigen, der schon seit acht Jahren zum Druckraum kommt, zur Seite, als er einen weiteren Ausstieg aus der Sucht wagen wollte. Der Suchtkranke betont, dass er immer aufhören wollte: „Das kann es nicht jetzt schon gewesen sein in meinem Leben.“ Doch mit einem körperlichen Entzug sei es leider nicht getan: Die Sucht sei eine psychische Krankheit. Selbst wenn der Körper die Droge nicht mehr brauche, wolle sie der Kopf, erklärt der Abhängige. Egal, wie lange man „clean“ sei, im Hinterkopf sei immer noch das Verlangen nach der Droge.

Dem Abhängigen halfen Therapien nicht so gut. Böhlig schlug ihm deswegen ein Substiutionsprogramm vor. Der Süchtige ersetzt nun das Heroin durch den Ersatzstoff Methadon. Den muss er jeden Morgen beim Arzt einnehmen und kann damit sein Verlangen nach dem Heroinrausch ausgleichen. Der Ersatz wirkt ähnlich betäubend wie Heroin ohne einen Rausch zu erzeugen. Die Dosis vom Methadon möchte er nach und nach herabsetzen, sodass er irgendwann wieder ohne Rauschmittel leben kann.

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