Von Mondorf nach Au So idyllisch ist eine Radtour entlang der Sieg

Rhein-Sieg-Kreis · Von der Mündung bis zur Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz offeriert die Radtour entlang der gemächlich plätschernden Sieg entschleunigte Wege durch die Natur.

 Ein Naturschauspiel ist der Siegfall in Schladern.

Ein Naturschauspiel ist der Siegfall in Schladern.

Foto: Mario Quadt

Die Grenze, die nicht sichtbar ist, scheint plötzlich zum Greifen nah. Vom Bahnhof der kleinen Ortschaft Au (Sieg) aus ist sie zumindest zu erahnen: Rund 200 Meter vom Haltepunkt entfernt beginnt Rheinland-Pfalz und enden der Rhein-Sieg-Kreis und Nordrhein-Westfalen. Was beide Bundesländer an der Stelle trennt, ist die Sieg. Die Mündung der Sieg bei Troisdorf-Mondorf ist von Au etwa 60 Kilometer entfernt. Der ideale Startpunkt, eine Tour zu erradeln, die sich über zwei Tage erstrecken darf.

Kaum in die Pedale getreten, der Drahtesel darf für einen Obolus von 2,90 Euro zusätzlich mit in den Zug, steht der durch die Bahnfahrt entlang der Sieg ausgeruhte, erwartungsfrohe Radler vor einer roten Ampel. Der mit einem schwungvollen gelben S gekennzeichnete Radweg Sieg führt kurz nach dem Bahnhof zunächst unter dem Viadukt hindurch. Der Tunnel ist so eng bemessen, dass es für zwei Autos sehr eng werden könnte – darum die Ampel.

Entlang der B 256 kommt bald die Sieg in Sicht. Da ist sie. Schön sieht sie aus und ihre Fließrichtung weist mir ehrlich und ohne Zweifel den Weg zum Ziel. Es muss die Sieg gewesen sein, die Dichter Eduard von Mörike – und nicht Johann Wolfgang von Goethe – zum Poem „Er ist's“ inspirierte. Von Mörike schrieb: Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte... Wer vom Fahrradsattel aus die Sieg stets vor Augen hat, weiß, dass mit von Mörikes blauem Band nur die Sieg gemeint sein kann. Ausgerechnet am Maiglöckchenweg in Rosbach-Eulenbruch findet die frühsommerliche Flussromantik ein abruptes Ende: „Gute Landluft“ tritt überdeutlich in die Nase – damit muss auf dem Land aber zu rechnen sein.

Burgen und Galgenlieder

Apropos Land: Es geht durch wunderschöne Dörfer – sorgsam gepflegt. Wie der ansehnliche Bücherschrank, den die Dorfgemeinschaft an der Bushaltestelle von Lindenpütz aufgestellt hat. Neben Werken von Johannes Mario Simmel befinden sich in dem Schrank gedruckte Schätzchen wie der Sachs Fahrradatlas, ein Buch über ayurvedisches Kochen und die „Galgenlieder“ des Dichters Christian Morgenstern.

Was Städter in der Art gar nicht kennen, ist auf dem Radweg Sieg allgegenwärtig. Wen auch immer der emsig strampelnde Radfahrer mit Block und Kamera im Körbchen passiert, grüßt diesen unbekannterweise, aber freundlich.

Und noch eine Überraschung hält der Siegradweg bereit: Wer glaubt, Burgen seien in ihrer Vielzahl und Pracht nur am Rhein zu finden, muss verblüfft feststellen, dass auch entlang der gemächlich plätschernden Sieg kein Mangel an beeindruckenden Festungen herrscht. In Windeck-Mauel taucht etwa Burg Mauel am Wegesrand auf. Erstmalige Erwähnung findet das Anwesen, welches an den Wochenenden eine Weinstube und einen pittoresken Burggarten beherbergt, bereits 1450. Dem Vernehmen nach soll der Weinkeller des Bruchsteinbaus von so guter Qualität sein, dass die Franzosen während der Besatzung zwar umliegende Bauernhöfe plünderten, die Burg Mauel aber nur leerzechten.

Jogger und Skateboarder

Kaum zurück im Sattel kommt Burg Altwindeck ins Blickfeld, die majestätisch vom Berg aufs Siegtal blickt. Fast 400 Jahre alt ist ein paar Kilometer weiter die in Privatbesitz befindliche Burg Dattenfeld. In dem zwischen 1619 und 1629 errichteten Anwesen lässt sich standesamtlich heiraten – eine amtliche Außenstelle des Windecker Standesamtes.

Angesichts von so viel glanzvoller Baukunst sollte der Nutzer des Radwegs aber die Blicke stets auf den Weg richten. In der Frühlingssonne glitzert nämlich so manche Scherbe. Absurd eigentlich, denn zumeist ist der Radweg auch ein Weg, der ausnahmslos Radlern vorbehalten ist. Manchmal sind auch Fußgänger, Jogger, Nordic-Walker und Skateboarder entlang der Sieg mit dabei. Und an einigen wenigen Stellen teilt sich der Sieg-Radfahrer den Weg sogar mit Autos und Lastwagen. Allerdings führen die allgegenwärtigen gelben S-Schilder stets auf den richtigen Weg zurück.

Exakt eines dieser Schilder muss auf Höhe des Eitorfer Campingplatzes Happach abhanden gekommen sein: Der Radweg entlang der Sieg endet im Nichts. Zurückradeln bis zum nächsten Schild?

Sackgassen und Campingplätze

Die Alternative dazu entpuppt sich als Abenteuer. Einen kleinen Bach mit einem großen Männerschritt überquert, erinnert ein Schild daran, dass die folgenden Schritte auf einem Privatweg beschritten werden, dessen Nutzung auf eigene Gefahr vonstatten geht. Warum nicht. Allerdings entwickelt sich der Privatweg zur Bergtour über einen engen, immer steiler werdenden Trampelpfad. Augenblicklich werden beim Schieben des Rades völlig andere Muskelgruppen beansprucht, als im Sattel. Lohn der Strapazen ist ein Panoramablick auf den Campingplatz und die Sieg. Ein Schild verrät, dass die Exkursion durchs Grün immerhin zurück auf den richtigen Radweg geführt hat. Ein Blick auf die Karte hätte verraten, dass der Radler ein paar hundert Meter vor der Sackgasse hätte rechts abbiegen müssen.

Man muss als Radfahrer nicht den Col du Tourmalet, Col du Galibier oder Alpe-d'Huez bezwungen haben, um zu wissen, dass jedem Anstieg eine Abfahrt folgt. Diese bringt uns nach Merten. Selbstbewusst grüßt das Golddorf 2014. Der Sieger des Landeswettbewerbs „Unser Dorf hat Zukunft“ gefällt mit vielen Details, ohne dem Kitsch anheim zu fallen.

Himalaya und Mondorf

Von diesem „Bergabenteuer“ abgesehen, ist der Radweg Sieg ein wohltuend flaches Terrain. Nicht nur die gelben Schilder sondern auch die Kirchtürme weisen den weiteren Weg über Bülgenauel, Hennef, Weldergoven, Stoßdorf, Buisdorf, Siegburg, Menden, Meindorf und Bergheim bis nach Mondorf. Die gesamte Passage hinter Merten führt fast ausnahmslos durch grüne Siegauen. Wildgänse, Pferde und Kühe sind kilometerlang die einzigen Lebewesen, die einem begegnen.

Je näher es der Siegmündung zugeht, desto dichter wird auch der Zweiradverkehr. Hätte ich doch den Tipp von Norbert Blüm beherzigt. Der viel gereiste Politiker, der auch privat gerne mit der Familie reiste, gestand, dass es selbst der Himalaya und andere Orte der Welt nicht mit der Radtour entlang der Sieg aufnehmen könnte. Aber: Der Tipp des langjährigen Bundesarbeits- und Sozialministers geht dahin, schon vor dem Morgengrauen das Rad zu erklimmen, um den jungen Tag zu begrüßen. „Wenn das Leben erwacht, es langsam hell wird und du hörst die ersten Lebenszeichen“, so Blüm. „Das ist wie die Neuerschaffung der Welt.“ Hätte ich mal auf ihn gehört, hätte ich den Siegradweg – wie über weite Strecken der rund 60 Kilometer – wohl fast für mich alleine.

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