Prozess im Fall Sigrid Paulus Sohn: "Es war ein Schock"

KÖNIGSWINTER/BONN · Wie werden Kinder damit fertig, wenn sie erfahren: Der Vater, der ihnen sechs Jahre lang weismachte, ihre Mutter habe die Familie ohne ein Wort verlassen, hat die Mutter erwürgt und im Keller einbetoniert, den sie anschließend immer wieder betraten? "Gar nicht", antwortet die 21-jährige Tochter auf diese Frage des Bonner Schwurgerichts, vor dem ihr Vater nun wegen Totschlags sitzt. "Ich stecke fest zwischen Realität und Wahnsinn", fügt sie hinzu und kämpft mit den Tränen.

Im Beistand ihrer Anwältin Gudrun Roth sitzt sie im Zeugenstand und beantwortet alle Fragen. Sie ist Nebenklägerin im Prozess gegen den Vater, doch anders als ihr Bruder, der dem Vater als Nebenkläger gegenübersitzt, hat sie bisher die letzte Zuschauerreihe vorgezogen - mit einem Notfallseelsorger an ihrer Seite.

Ja, die Eltern hatten oft Streit, und es war immer die Mutter, die dem Vater lautstark Vorwürfe machte, weil er zu wenig Zeit für die Familie hatte, als Gastronom versagte und sich die Schulden häuften. Die Mutter habe ihm auch mal eine "gescheuert" und mit Gegenständen geworfen. Der Vater habe stets versucht, seine Frau zu beschwichtigen. In der Zeit vor dem 14. Februar 2008, an dem die Mutter verschwand, hätten sich die gerade arbeitslos gewordenen Eltern noch mehr gestritten.

Kein böses Wort sagt die 21-Jährige über den Mann, der ihr die Mutter, mit der sie ein enges Verhältnis gehabt habe, nahm. Vielmehr bestätigt sie, wie später auch ihr Bruder, das Bild, das der Vater im Geständnis gezeichnet hatte: Streit ging von der Mutter aus.

Dem Angeklagten zufolge auch am Tattag, wo es dann plötzlich bei ihm "Klick" gemacht und er sie erwürgt habe. Die Tochter schildert nun, wie der Vater ihnen an jenem Tag sagte, die Mutter sei im Streit "abgehauen". Damals war sie 15, und in der Folgezeit habe der Vater sie sehr unterstützt - auch später bei der Suche nach der angeblich noch lebenden Mutter. "Ich glaube, er wollte sogar, dass ich alles rausfinde", sagt sie.

"Was ist besser: die Ungewissheit oder das Wissen?"

Sie wandte sich schließlich an RTL, und im Oktober 2013 war es soweit: Die Polizei stand vor der Tür, der Vater wurde von der Arbeit abgeholt. Als er reinkam, habe sie geweint. "Als mein Vater mich wortlos in den Arm nahm, war alles klar", sagt die Tochter nun und bricht in Tränen aus. Auch ihr Vater wischt sich über die Augen. "Was ist besser: die Ungewissheit oder das Wissen, dass der Vater die Mutter tötete?" fragt Richter Josef Janßen. "Das frage ich mich täglich", antwortet sie. Beides sei schrecklich.

Aber: "Es ist gut zu wissen, dass man nicht schuld war, dass die Mutter verschwand." Ihr Verhältnis zum Vater jetzt? "Ich weiß es nicht. Er ist der Mensch, der meine Mutter tötete. Und der Vater, der sich sechs Jahre um mich kümmerte." Sie habe ihn bei ihren Besuchen im Gefängnis gefragt, ob dieses Kümmern echt gewesen sei. Sie wisse nicht mehr, was sie glauben solle und versuche nun, alles in einer Therapie zu verarbeiten.

Ihr 24-jähriger Bruder, der nach dem Verschwinden der Mutter völlig auf die schiefe Bahn geraten und vom Vater rausgeworfen worden war, hat seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm. Er habe schon länger Zweifel an der Geschichte vom spurlosen Verschwinden der Mutter gehabt, sagt er nun. Und als er im Oktober die Wahrheit erfahren habe? "Es war ein Schock", sagt er. Nach dem Prozess wolle er den Kontakt zum Vater wieder aufnehmen. Der sitzt wie betäubt auf der Anklagebank. Der Prozess wird fortgesetzt.

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