Ständiger Vertreter der DDR gab Narrenempfänge in Herseler Villa

BORNHEIM-HERSEL · Ost-West-Annäherung wurde in Hersel einst ganz offiziell betrieben, denn dort war der Sitz der Ständigen Vertretung der DDR.

Auffällige Architektur: Die Villa Schmidbauer in Hersel wurde 1974 der Sitz der Ständigen Vertretung der DDR. Im Jahr 2000 wurde das Haus abgerissen.

Auffällige Architektur: Die Villa Schmidbauer in Hersel wurde 1974 der Sitz der Ständigen Vertretung der DDR. Im Jahr 2000 wurde das Haus abgerissen.

Foto: Stadtarchiv Bornheim

Entspannungspolitik rheinischer Art leisteten die Herseler Narren, die Prinzenempfänge in der Residenz der ostdeutschen Diplomaten mit der Adresse Rheinstraße 232 sind legendär. Von 1975 bis 1990 feierten Politiker und Karnevalisten gemeinsam in der Villa Schmidbauer, die 1974 zum Dienstsitz der DDR-Vertretung wurde.

Älteren sind die prominenten Nachbarn noch in Erinnerung, doch der Ort des Geschehens ist Geschichte: Das in den 60er Jahren gebaute Haus, das die Residenz beherbergte, fiel im Jahr 2000 der Abrissbirne zum Opfer. Per Zufall ist Bornheims Archivar Christian Lonnemann auf dieses ungewöhnliche Kapitel Ortshistorie gestoßen, das er detailreich recherchiert, mit Zeitzeugenberichten und unveröffentlichten Fotos gewürzt und im Rhein-Sieg-Jahrbuch 2012 veröffentlicht hat.

Die Lust am Stöbern in alten Schätzen war ja der Grund, dass Lonnemann seinen Beruf als Industriekaufmann an den Nagel hängte und stattdessen ein Studium zum Diplom-Archivar absolvierte.

Im "Spiegel" aufgespürt

Seit Oktober 2007 ist er im Stadtarchiv Bornheim tätig und seit August 2009 an einem Tag pro Woche im Gemeindearchiv Alfter. Auf die Bedeutung der Residenz stieß er zufällig zu Hause: beim Durchblättern alter Zeitschriften. Ein kleiner Beitrag im "Spiegel" aus dem Jahr 1975 brachte ihn auf die Spur.

Dort fand er in der Rubrik Personalien den Hinweis auf den damaligen DDR-Vertreter Michael Kohl, der von einem Karnevalsprinzen namens "Josef der Bärtige", mit bürgerlichem Namen Josef Weiler, den Herseler Karnevalsorden erhielt.

Dieser hatte damals einfach anfragen lassen, ob der Hausherr mit einem Besuch von Prinz und Gefolge einverstanden sei. Spontan soll Michael Kohl, der 1974 zum ersten Ständigen Vertreter der DDR in Deutschland ernannt worden war, zugesagt haben.

Mangels geeigneter Örtlichkeiten in Bonn hatte er mit seinen Mitarbeitern die von Architekt Heiner Schmidbauer in modernem Stil errichtete Villa an der Rheinstraße bezogen. Das erste Zusammentreffen mit dem Narrenvolk sollte zu einem denkwürdigen Ereignis werden und bis 1990 eine ostdeutsch-rheinische Tradition begründen.

"Michael Kohl hatte bei seiner herzlichen Begrüßung der Gästeschar zunächst noch leichte Schwierigkeiten mit der richtigen Anrede", beschreibt Lonnemann die Narrenpremiere. "Er sprach mehrfach von 'Totalitäten', obwohl natürlich 'Tollitäten' gemeint waren." Darauf hingewiesen, schwenkte er um und redete Prinz Josef und seine Prinzessin und Ehefrau Anneliese I. fortan mit "Hochwürden" an. In geselliger Runde wurde entspannt gefeiert. Zu einem Moment der Nervosität kam es nur bei der Übergabe des Gastgeschenkes.

"Das ist das Modell eines Denkmals, das die Herseler Ihnen zu Ehren errichten wollen", verkündete Prinz Josef. Beim Auspacken des Präsentes förderte Kohl einen Rotkohlkopf zutage, was natürlich schallendes Gelächter auslöste. Der Diplomat reagierte souverän, lachte mit und hatte fortan seinen neuen Spitznamen "Rotkohl", obwohl natürlich niemand den Ständigen Vertreter in dessen Gegenwart so zu nennen wagte.

Närrische Empfänge lange beibehalten

Für Empfänge bot die Villa mit ihren 500 Quadratmetern, Schwimmbecken, repräsentativen Salons und einer Kellerbar in bayerischem Stil genügend Platz. Heiner und Rita Schmidbauer hatten sie verkauft, als sie aus beruflichen Gründen vom Rhein an die Elbe wechselten. Auch Kohls Nachfolger Ewald Moldt und Horst Neubauer behielten die närrischen Empfänge in der "Resi" bei, die vorrangig natürlich Ort politischer Gesprächsrunden war. 1990, nach dem Fall der Mauer, gab es ein letztes närrisches Treffen, mit dem Ende der DDR fiel die Herseler Villa an das Bundesvermögensamt.

Nach wechselnden Nutzungen, unter anderem als Residenz der Botschaft der Philippinen, wurde die Villa verkauft und im Jahr 2000 abgerissen, weil der neue Eigentümer einen Neubau plante. "Dass ein Grund dafür die umfangreiche und nicht mehr zu entfernende Überwachungstechnik gewesen sei, gehört wohl eher in den Bereich der Sage", meint Lonnemann. Anstelle der Schmidbauer- Villa entstand ein stattliches Haus mit Rheinblick, das sich nach einem Wiederverkauf weiter in Privatbesitz befindet.

Das Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 2012 stellt "Orte der Geschichte" in den Mittelpunkt. Neben dem Beitrag über die Ständige Vertretung der DDR in Hersel gehört auch die Historie der Donnerstag-Gesellschaft rund ums Alfterer Schloss dazu. Das Buch kostet zwölf Euro und ist ab sofort im Buchhandel erhältlich.

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