LVR-Industriemuseum Tuchfabrik in Kuchenheim hautnah erleben

EUSKIRCHEN-KUCHENHEIM · Die Maschinenstraße in der Krempelei der Tuchfabrik Müller ist zwar schon 100 Jahre alt. Doch es steht alles da, als sei die Fabrik noch in vollem Betrieb und der Maschinist nur mal eben in Mittagspause. Im LVR-Industriemuseum kann man die Produktion eines Tuchs von der Wolle bis zur Weberei miterleben.

 In der Wolferei wird die Wolle aufgelockert, damit sie im Anschluss gekrempelt werden kann.

In der Wolferei wird die Wolle aufgelockert, damit sie im Anschluss gekrempelt werden kann.

Foto: SINZEL

Das ist das Besondere an dem LVR-Industriemuseum Euskirchen, das eigentlich gar kein Museum, sondern vielmehr eine gut erhaltene Tuchfabrik mit Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert ist, mit vielen noch funktionstüchtigen Maschinen. In einer knapp zweistündigen Führung kann man in die Welt der Weber eintauchen und sogar eine Dampfmaschine besichtigen.

In der Krempelei erwacht das mehr als zehn Meter lange Gerät zum Leben: Zuerst fangen die großen Rollen an der Decke an zu rattern, und dann, wenn das dicke Lederband von der einen auf die andere Spule gleitet, da rattert, rotiert, summt und vibriert es an allen Ecken und Enden. Jetzt wird deutlich, was in der Krempelei passiert: Die vorher in der Wolferei aufgelockerte Wolle wird immer wieder zwischen enge Rollen gequetscht, bis die Maschine am Ende ein dünnes Vlies ausspuckt. Der wiederum wird - auch maschinell - in Bänder aufgeteilt und als "Vorgarn" aufgewickelt, aus dem in der Spinnerei das reißfestere, feine Garn gesponnen wird. Einen lebendigeren Eindruck von der Zeit der Industriellen Revolution kann man kaum bekommen.

"Es ist eigentlich ein Wunder, dass diese Maschine noch läuft", kündigt Hugo Ozeel an, als er die Besuchergruppe von der Krempelei in die Spinnerei führt: Drei Maschinen spinnen hier zeitgleich 955 Fäden und verrichten damit die Arbeit, die sonst 955 Frauen mit dem Spinnrad vollbrachten - zumindest in der Theorie.

"Denn die Dampfmaschine, die alles hier antreibt, hat nur 80 PS, so dass nie alle drei Maschinen gleichzeitig laufen konnten." Für die Besucher bleibt es auch hier nicht bei der Theorie: Ozeel setzt eine der Spinnmaschinen in Gang. Der vordere Teil mit den Spulen fährt daraufhin einige Meter nach vorn, zieht das Vorgarn straff und wickelt es als Garn auf die Spulen. Wie von Geisterhand muss das den Menschen im 19. Jahrhundert vorgekommen sein.

Noch lauter wird es in der Weberei, in der aus dem Garn ein Tuch gewoben wird. Je nachdem, wie die Wolle zuvor gefärbt wurde, ist es beispielsweise rot, grün oder blaugrau. Die Besucher erleben die Produktion von zehn Zentimetern Tuch mit. Der "Webschütze", wie das Schiffchen in der industriellen Weberei genannt wird, bleibt in der Spur.

Dicke Löcher in der Wand neben den Webstühlen zeugen allerdings davon, dass das nicht immer der Fall ist. "80 Mal pro Minute schießt der Webschütze von einer Seite zur anderen und wird so zum Projektil", erklärt der belgische Gruppenführer. Als letzter Schritt wurde das Tuch früher dann noch gewaschen und gewalkt. Das war ein anstrengendes Geschäft, denn rund 70 Kilo Tuch mussten dafür in die hölzernen Maschinen gepresst werden, die heute nur noch Ausstellungsstücke sind.

Noch mehr hatte der Kesselarbeiter zu schleppen: "2000 Kilo Kohle wurden täglich verfeuert, um die Dampfmaschine am Laufen zu halten", erzählt Ozeel. "Regelmäßig explodierte irgendwo in NRW ein Kessel, weil noch nicht genau bekannt war, wie sie zu bedienen sind."

Abschließend besichtigt die Gruppe die noch funktionstüchtige Dampfmaschine. "Das ist für mich der Höhepunkt der Tour", sagt Klaus Häwert, der mit seinen Enkelkindern gekommen ist. Jochen Mangold nimmt mit seiner Tochter und seinen Eltern an der Führung teil, auf Wunsch der Mutter, die Schneiderin ist. "Es ist hervorragend, wenn man das alles mal in Aktion sieht", schwärmt er.

Historie der Tuchfabrik Müller

Die Geschichte der Tuchfabrik Müller reicht bis ins 19. Jahrhundert hinein. Bis 1842 war eine Papierfabrik in den Gebäuden an der Carl-Koenen-Straße in Euskirchen untergebracht. Dann zog eine Spinnerei ein. 1895 entstand dort eine Tuchfabrik. Als 1961 teure Sanierungsmaßnahmen anstanden, schloss Inhaber Kurt Müller die Fabrik und ließ alles stehen wie es war.

Heute können Besucher (Kinder ab 6 Jahren) die Tuchfabrik regelmäßig mit Führungen besuchen, bei denen auch die alten Maschinen angestellt werden. Jeden zweiten Sonntag im Monat wird auch die Dampfmaschine mit Pressluft zum Laufen gebracht. Einige Bereiche des Museums sind auch ohne Führung zugänglich. Aktuelle Informationen gibt es unter www.freunde-rim-euskirchen.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort