Schwester erinnert sich Vor 50 Jahren starb die 13-jährige Christel Pieper aus Brenig bei einem Unfall

BORNHEIM-BRENIG · Jeder Radler, Spaziergänger, Jogger, jeder Auto- oder Traktorfahrer, der ab und zu auf der Vorgebirgshöhe oberhalb von Waldorf unterwegs ist, ist schon mal an dem dunkelgrauen Stein vorbeigekommen. Er erinnert an die 13-jährige Christel Pieper, die vor genau 50 Jahren dort, wo der Reckhovenweg in den neuen Heerweg mündet, bei einem Unfall ums Leben kam.

 Das Bild ihrer Schwester Christel hält die Waldorferin Helga Urfey bis heute in Ehren. Fotos/Repros: Hans-Peter Fuß

Das Bild ihrer Schwester Christel hält die Waldorferin Helga Urfey bis heute in Ehren. Fotos/Repros: Hans-Peter Fuß

Der 20. Mai 1962 ist ein Sonntag. Es ist warm und trocken. Ein schöner Sonntag, wie sich Christels Schwester Helga Urfey (65) erinnert. Bis zum Abend, bis zehn vor acht. Etwa um diese Uhrzeit beugt sich die damals 15-Jährige über ihre 13-jährige Schwester. Christel liegt nur 800 Meter vom Elternhaus entfernt am Heerweg in einem Feld. Sie ist tot. Ein Autofahrer hat das Moped, auf dem sie mitfuhr, übersehen.

Helga Urfey lebt heute in Waldorf. Sie ist verheiratet mit Ortsvorsteher Josef Urfey. Wenn sie von dem tragischen Unfall erzählt, nimmt sie das immer noch sehr mit. Das Haus der Familie Pieper am Rankenberg ist seit 1957 ein reiner Frauenhaushalt. Damals ist Vater Robert gestorben. Er hat sich von der Kriegsgefangenschaft in Russland, aus der er 1946 heimkehrte, nie richtig erholt, wurde nur 46 Jahre alt. Mutter Kethe Pieper, heute 92, bessert ihre 100- Mark-Witwenrente durch den Hausverkauf von Getränken auf. Es ist nicht viel Geld in der Familienkasse. Dennoch sind die beiden Mädchen lebenslustig und tanzen schon mal in der Küche zur Musik von Elvis Presley und Peter Kraus.

Christel, ein hübsches Mädchen, hat eine modische Kurzhaarfrisur. Sie will Friseuse werden. Ihr Taschengeld müssen sich die beiden Mädchen selbst verdienen, wenn sie sich mal etwas Besonderes gönnen wollen. Wie zum Beispiel den Atlas, den sich Christel für den Erdkunde-Unterricht in der Schule kaufen will. Um das Geld zusammen zu bekommen, beschließt sie, im Wäldchen zwischen dem Neuen Heerweg und der Heimerzheimer Straße, dem Reckhover Maar, Maiglöckchen zu pflücken und sie auf dem Bonner Markt zu verkaufen.

Es ist Sonntag, der 20. Mai 1962. Gegen 14 Uhr radelt Christel los. Ihre 16-jährige Freundin Anni ist auch dabei. Weil sie kein Rad hat, nimmt ihr Schwager sie auf dem Moped mit. Eigentlich hätte Christel an diesem Tag zu Hause bei der Mutter bleiben sollen. Die ist seit längerer Zeit herzkrank und kann das Bett nicht verlassen. Deshalb wechseln sich die beiden Töchter bei der Pflege der Mutter ab. Weil Christel unbedingt Maiglöckchen pflücken will, bittet sie Helga, an diesem Tag bei der Mutter zu bleiben. Dann vergehen Stunden. Bis zum Wäldchen ist es nicht weit. Die Mädchen müssten längst zurück sein. Helga und ihre Mutter machen sich bereits Sorgen. Wo bleiben Christel und Anni nur?

Gegen halb acht klopft es an der Tür. Helga öffnet. Vor ihr steht ein junger Mann aus Brenig. Der Mann berichtet ihr, sein Freund und er hätten mit dem Auto auf dem Heerweg ein Moped angefahren. Ein Mann und ein Mädchen seien verletzt, aber nicht schlimm.

Sofort rennt Helga los. Bis zur Unfallstelle sind es etwa 500 Meter. Schon von weitem sieht sie den Opel, der am Rand des betonierten Feldwegs steht. Als sie näher kommt, erkennt sie auch das total demolierte Moped auf der Straße. Anni kümmert sich um ihren schwer am Fuß verletzten Schwager. Auf der Straße verstreut liegen jede Menge gebundene Maiglöckchen. Dann der Schock: Im Feld, etwa acht Meter vom Weg entfernt, entdeckt Helga ihre Schwester. Sie liegt auf dem Rücken, rührt sich nicht mehr. Schwere äußere Verletzungen kann Helga nicht erkennen: "Sie hatte nur eine Schramme am Kopf, und ein Schuh fehlte." Ihr Onkel Josef Dahlen, der zufällig beim Spaziergang zur Unfallstelle gekommen ist, nimmt Helga fest in den Arm und sagt zu ihr: "Schau Dir die Christel noch mal an. Sie ist tot, sie ist tot."

Dann überfällt Helga ein Schreikrampf. Sie bekommt noch mit, wie zwei Polizeibeamte den Unfall aufnehmen und wie der Krankenwagen ihre Schwester ins Marienhospital nach Bonn bringt. Dann läuft sie weg. Zur Marienfigur in der Nähe des Römerhofs, wo sie bis in die Nacht hinein für ihre tote Schwester betet. Im Polizeibericht, den der General-Anzeiger am Dienstag, 22. Mai 1962, veröffentlicht, steht, dass das Auto an der Kreuzung Reckhovenweg und Neuer Heerweg mit dem von rechts kommenden Moped zusammenstieß und das Moped noch 20 Meter mitschleifte. Helga erfährt später, dass Autofahrer und Beifahrer vom Walberberger Feuerwehrfest kamen. Und sie erfährt, dass Christel und Anni für den Rückweg vom Blumenpflücken die Fahrzeuge getauscht haben: Anni nimmt Christels Rad, Christel fährt auf dem Moped mit.

Christel Piepers Leiche wird am nächsten Tag in der Bonner Gerichtsmedizin obduziert. Die Ärzte stellen fest, dass sie an inneren Blutungen gestorben ist. An ihrer Beerdigung nimmt fast ganz Brenig teil. Der Trauerzug, darunter alle Mitschüler aus der Breniger Volksschule, will kein Ende nehmen. Nur Mutter Kethe ist nicht dabei. Ihr krankes Herz hätte das Begräbnis ihrer Tochter nicht verkraftet.

Am 22. Februar 1963 verurteilt das Jugendschöffengericht am Amtsericht Bonn den Unfallverursacher, einen 19-jährigen Feuerwehrmann aus Walberberg, zu einer Geldstrafe von einigen hundert Mark wegen fahrlässiger Tötung. Im gleichen Jahr sammelt Christels Lehrer Heinz Heindrichs an der Schule Geld für einen Gedenkstein, der an der Unfallstelle aufgestellt wird. Die Inschrift lautet: "Hier nahm Gott unsere Mitschülerin Christel Pieper nach tragischem Unfall in sein Reich. 20. Mai 1962."

Bis vor einigen Jahren legte jemand jedes Jahr zu Christels Todestag am Gedenkstein Maiglöckchen nieder. Wer die Blumen dort platzierte, weiß Helga Urfey nicht. Christels Freundin Anni hat sie nie wiedergesehen. Der Unfallfahrer hat sich bis heute nicht bei der Familie gemeldet und sein Bedauern ausgedrückt.

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