„Die materiellen Schäden sind immens“ Explosion in Beirut zerstörte Häuser der Familie eines Alfterers

Alfter · Krieg seien sie im Libanon gewöhnt, sagt der Alfterer Friseurmeister Imad Rahi. Aber die Zerstörung der Explosion am Hafen in Beirut übersteige jegliche Vorstellungskraft. Er berichtet von den Folgen für seine Familie.

 Privatfoto von dem teils völlig zerstörten Haus in Beirut, in dem Imad Rahis Tante eine Wohnung gehört.

Privatfoto von dem teils völlig zerstörten Haus in Beirut, in dem Imad Rahis Tante eine Wohnung gehört.

Foto: Axel Vogel

Kurz nach 17 Uhr am 4. August hatten den Alfterer Friseurmeister Imad Rahi bereits die Horror-Nachrichten aus seiner Heimatstadt Beirut im Libanon erreicht. Toni Rahi, einer seiner vier Brüder, die dort in der Nahost-Metropole mit ihren Familien leben, berichtete ihm von „einer ungeheuren Explosion im Hafen“. Die hatte sich wenige Minuten zuvor, kurz nach 18 Uhr Ortszeit ereignet und ganze Stadtviertel verwüstet. Über 160 Menschen starben bislang, über 6000 wurden verletzt. Der Schaden ist in seinem ganzen Ausmaß noch gar nicht zu ermessen. Kurze Zeit später gingen bei Imad Rahi per WhatsApp apokalyptische Fotos und Videos ein, die er kaum fassen konnte.

Der 51-jährige Christ Imad Rahi war 1985 wegen des religiös befeuerten Bürgerkriegs nach Deutschland geflüchtet – zu seiner Schwester, die in der Bundesrepublik studierte. Das heißt: Er kennt die Zerstörungen und das Leid, das Krieg anrichtet, aus eigenem Erleben. Aber das, was er jetzt auf den Fotos und Videos zu sehen bekam, überstieg seine Vorstellungskraft: „So  etwas in dem Ausmaß haben die Menschen hier noch nicht erlebt.“ Auch seine Familie ist stark betroffen, auch wenn von den Verwandten niemand verletzt wurde. „Aber die materiellen Schäden sind immens, und wir wissen noch nicht, wovon wir den Wiederaufbau bezahlen sollen.“ Denn: Das von Korruption und religiösen Konflikten geplagte Land steckt bereits seit Monaten in einer tiefen wirtschaftlichen Krise.

Rahi zeigt das Bild eines weißen Toyota-Geländewagens, der umgekippt und völlig demoliert auf einem verwüsteten Highway liegt: Die Stimmung hat etwas von einem  Endzeit-Film. Doch die Bilder waren real. Der Toyota gehört Rahis Cousine, die nahe des Hafens ihr Büro hat, und sich just zum Zeitpunkt der Explosion auf dem Heimweg befand. „Zuerst hat sie den Qualm im Hafen gesehen und dann mehrere Knalllaute gehört“, schildert Rahi ihre Erlebnisse. Die Frau dachte an irgendeinen Brand im Hafen, bis dann ihr Auto plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes durch die Luft flog. „Der Geländewagen ist durch die Druckwelle der Explosion vom Boden abgehoben und hat sich mehrfach um die eigene Achse gedreht“, weiß Rahi zu berichten.

 Imad Rahi aus Alfter stammt aus Beirut und sorgt sich um viele von der Explosion betroffene Familienmitglieder in der alten Heimat.

Imad Rahi aus Alfter stammt aus Beirut und sorgt sich um viele von der Explosion betroffene Familienmitglieder in der alten Heimat.

Foto: Axel Vogel/AXEL VOGEL

Seine Cousine habe das weitgehend unversehrt überstanden, sei dann wie im Trance aus dem Wrack geklettert und völlig verwirrt über den mit anderen Autowracks übersäten Highway gestolpert. Die Szene ist festgehalten in einem Video. Furchtbar: Auch an etlichen verstaubten, leblosen Köpern läuft die Frau mit schwankendem Schritt vorbei.

Was ging in Rahi vor, als er die Videos und Fotos sah? „Ich dachte sofort an einen Anschlag der Israelis, weil es seit langem Gerüchte gibt, dass die mit Israel verfeindete Hisbollah den ganzen Hafen kontrolliert und dort Waffen hortet.“

Bislang geht man allerdings davon aus, dass ein Brand in dem Hafenspeicher die Ursache für die Katastrophe war. In dem betroffenen Speicher lagerten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, das hochexplosiv ist.

Schwer getroffen hatte die verheerende Druckwelle auch das Haus von Rahis 76 Jahre alter Tante. Dieser gehört etwa acht Kilometer entfernt vom Explosionsort in einem Mehrfamilienhaus eine Eigentumswohnung. „In dem Haus ist ein Teil der kompletten Fassade eingestürzt“, erzählt Rahi Zudem seien Teile der Decke eingestürzt, Fenster und Glasscheiben zerstört worden. Die betagte Frau stehe jetzt praktisch vor dem Nichts. „Versicherungen, die solche Schäden übernehmen, gibt es bei uns nicht“, erklärt ihr Neffe betroffen, der seit über 20 Jahren  im Alfterer Ortsteil Witterschlick mit seiner Familie zu Hause ist, aber immer noch viel Kontakt in die Heimat hat. „In der Situation hilft Dir dort keiner“, unterstreicht er.

Ebenfalls schwer verwüstet hat die Explosion das Haus seines Bruders Toni, das 15 Kilometer vom Hafen entfernt steht. Auch hier hat die Druckwelle die Holzdecke zum Einsturz gebracht, sowie Fenster samt Glasscheiben aus der Verankerung gedrückt.

Die Unesco teilte mit, dass rund 8000 Häuser beschädigt sind, über 200.000 Menschen der 2,3 Millionen Einwohner Beiruts gelten als obdachlos. Wie schlimm die Lage ist, belegt aus Sicht von Rahi ein Beispiel: „Wegen der vielen zerstörten Fenster gibt es praktisch kein Glas mehr in der Stadt.“ Dass müsse nun per Schiffsladungen etwa aus Europa beschafft werden.

Wie es nun für die Menschen in Beirut weitergeht? Rahi zieht die Stirn in Falten: „Da wir schon seit fünf Monaten unter einer Wirtschaftskrise leiden und die Bürger wöchentlich nur noch zwischen 150 und 200 Dollar von der Bank abheben dürfen, fehlt mir jede Fantasie, wie die Menschen dann ihre Häuser reparieren sollen.“ Zudem sei das Vertrauen in die Politik „gleich Null“, so Rahi weiter. „Die Korruption ist hier allgegenwärtig und die Mächtigen im Land decken sich alle gegenseitig.“ Hinzu kämen auch noch die weiterhin ungelösten religiösen Konflikte zwischen christlicher und islamischer Bevölkerung. Die Explosion habe nämlich „vor allem christliche Viertel getroffen“, die laut Rahi nun gezwungen sein könnten, „ihre Immobilie an islamische Aufkäufer zu verkaufen“. Der Friseurmeister überlegt derzeit mit Gleichgesinnten in irgendeiner Form Hilfe zu organisieren. Dabei legt er aber größten Wert darauf sicherzustellen, „dass diese Hilfe am Ende auch in die richtigen Hände gelangt“, wie sich Rahi ausdrückt.

Informationen über Spende-Möglichkeiten gibt es beispielsweise auf de Seite www.aktion-deutschland-hilft.de.

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