Gespräch am Wochenende „Alte-Leute-Krankheit“ Rheuma betrifft auch Jüngere
Alfter/Much · Zwei junge Rheumapatienten räumen mit den Klischees zu ihrer Erkrankung auf. Die vermeintliche „Alte-Leute-Krankheit“ betrifft auch viele jüngere Menschen.
Nach Angaben der Deutschen Rheuma-Liga sind rund 17 Millionen Deutsche von Rheuma betroffen. Der Begriff fasst weit mehr als 100 Erkrankungen zusammen, unter denen auch etwa 20 000 Kinder und Jugendliche leiden. Dass Rheuma keine "Alte-Leute-Krankheit" ist, will die Liga mit ihrer Kampagne "Rheuma ist jünger als du denkst" zeigen. Seit Anfang Oktober dokumentieren zwei junge Rheumapatienten, Christian Goldmann (43) und Britta Klasen (23), auf dem Instagram-Kanal der Liga ihr Leben mit der Krankheit. Über Einschränkungen, Therapien und den langen Weg zur Diagnose sprachen sie zum Welt-Rheuma-Tag am 12. Oktober mit Katharina Weber.
Was bedeutet es, Rheuma zu haben?
Christian Goldmann: Das kommt drauf an, ob man in Remission ist, also ob die Krankheit im Stillstand ist. Wenn nicht, so wie bei mir, bedeutet das eine komplette Einschränkung des Lebens. Ich kann momentan nur an wenigen Tagen Sport machen, ich bin krankgeschrieben, weil meine Medikamente erst greifen müssen. Es bedarf alles ziemlich viel Zeit und Hoffnung. Aber das sieht man einem Rheumatiker nicht an, wir sehen beide gesund aus.
Britta Klasen: Ich bin seit meiner Jugend betroffen. Gerade wenn du jünger bist, bedeutet das, bei vielen Sachen nicht so mithalten zu können wie andere. Du kannst im Sportunterricht nicht mitmachen, du bist immer diejenige, die Schreibzeitverlängerung in der Schule hat. Ich persönlich hatte nie Erfahrung mit Mobbing, aber viele leiden sozial darunter, weil sie keinen Anschluss finden oder Klassenkameraden haben, die kein Verständnis dafür haben.
Frau Klasen, Sie haben juvenile idiopathische Arthritis, Herr Goldmann, Sie haben rheumatoide Arthritis. Wie unterscheidet sich das?
Klasen: Juvenile Arthritis ist die rheumatische Erkrankung, die vor dem 16. Lebensjahr auftritt, das kindliche Rheuma. Die Diagnose bleibt ein Leben lang dieselbe.
Goldmann: Das Problem bei allen rheumatischen Erkrankungen ist, dass sie bei jedem anders ist. Es gibt Leute mit rheumatoider Arthritis, die komplett andere Symptome haben als ich. Den typischen Verlauf gibt es nicht. Deswegen dauert es meistens Jahre, bis irgendjemand die richtige Diagnose stellt.
Wie äußern sich Ihre Erkrankungen?
Klasen: Das hängt vom Schub ab. Bei mir waren es dicke Knie, Füße und Hände, Entzündungen in der Wirbelsäule, starke Rückenschmerzen und Bewegungseinschränkungen.
Goldmann: Ich bin kein typischer Rheumapatient, viele haben dicke Gelenke, die sind gerötet und heiß, die Rheumafaktoren im Blut sind hoch. Das war bei mir alles nicht der Fall. Ich habe keine Kraft in den Händen und Unterarmen, hin und wieder schmerzt am Tag mal ein Gelenk, mal mehrere, mal in der Schulter, mal in der Wirbelsäule, im Knie oder im Fußgelenk oder alle gleichzeitig. Es ist total verrückt, wie Schmerzen springen können.
Klasen: Es kann auch jeden Tag anders sein.
Goldmann: Zusätzlich hab ich ein Fatigue-Syndrom. Ich bin ständig müde. Egal, was du machst, auch wenn es nur eine kleine Anstrengung ist, fühlt es sich an, als wärst du einen Marathon gelaufen. Mal gibt es Tage wie heute, an denen es gut ist. Aber das kann morgen wieder anders sein. Das zweite Problem: Wenn du geschlafen hast, bist du trotzdem erschöpft.
Wie lang war der Weg bis zu Ihren Diagnosen?
Klasen: Ich habe die Diagnose mit 16 bekommen, aber rückblickend sind die ersten Symptome mit 12 aufgetreten. Ich bin immer mal wieder beim Arzt gewesen, aber die Symptome gingen nicht weg. Erst in der Kinderklinik wurden Eins und Eins zusammengezählt und die Diagnose gestellt.
Goldmann: Ende 2014 ging es bei mir los, da ist mir beim Krafttraining der linke Arm mit der Hantel eingebrochen. Die Diagnose lautete zunächst Burnout. Die Ärzte schauen dich an und sagen: Du bist jung, du kannst kein Rheuma haben. Letztes Jahr ging es bei mir gar nicht mehr. Ich arbeite im Rettungshubschrauber und beim Patientenheben hatte ich plötzlich keine Kraft mehr in Händen und Unterarmen. Bei mir hat es knapp vier Jahre gedauert, bis es jemand richtig geschnallt hat.
Warum ist eine frühe Diagnose bei Rheuma so wichtig?
Goldmann: Damit man die Gelenkzerstörung aufhalten kann.
Wie behandelt man Rheuma?
Klasen: In akuten Phasen helfen anti-rheumatische Schmerzmittel und Cortison gegen die Entzündung. Langfristig muss ins System der Erkrankung eingegriffen werden und mit einer Basis-Therapie angefangen werden. Diese Medikamente greifen ins Immunsystem ein, denn - ganz vereinfacht gesagt - dein Immunsystem deinen Körper an.
Frau Klasen, warum nehmen Sie gerade keine Medikamente mehr?
Klasen: Ich bin in der Remission, das heißt ich habe nicht nichts, aber es geht mir im Moment so gut, dass ich ohne Medikamente klarkomme. Zurzeit reicht es aus, akute Symptome mit Schmerztabletten oder Cortison zu behandeln. Eine Basis-Therapie sollte nicht vorschnell gegeben werden, weil die Medikamente nicht ohne sind.
Für die Kampagne stellen Sie neun Monate lang Ihr Leben auf Instagram dar. Warum?
Goldmann: Wir wollen aufklären, dass Rheuma keine Alte-Leute-Krankheit ist.
Klasen: Ich will einfach zeigen: Ich stehe mitten im Leben, ich bin jung, ich kann mein Leben trotzdem so gestalten, wie ich möchte. Aufklären, aber auch anderen jungen Erkrankten Mut geben.
Was würden Sie jungen Menschen raten, die den Verdacht haben, von Rheuma betroffen zu sein?
Goldmann: Zum Arzt gehen und sich nicht abwimmeln lassen. Eine Ausschlussdiagnose kostet heutzutage nichts. Und wenn man dafür seine Gelenke behalten kann, weil man es früh therapiert, das ist Gold wert.
Klasen: Einen Arzt finden, mit dem man auch menschlich klar kommt. Man darf nicht sein ganzes Leben daran kaputt gehen lassen. Nicht den Kopf in den Sand stecken.
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