Obstbaumeister aus Alfter Wie Äpfel bei der Integration helfen

Alfter-Impekoven · Der Alfterer Obstbaumeister Bokul Muchagacha flüchtete aus dem Kongo. Von Impekoven aus unterstützt er sein Heimatland - unter anderem mit einem Feuerwehrauto.

 Bokul Muchagacha (rechts) ist Obstbaumeister und arbeitet mit Benedikt und Christiane Mager (von links) auf dem Naturhof Wolfsberg.

Bokul Muchagacha (rechts) ist Obstbaumeister und arbeitet mit Benedikt und Christiane Mager (von links) auf dem Naturhof Wolfsberg.

Foto: Matthias Kehrein

Bokul Muchagacha macht nicht viel Aufheben um seine Person. Im Büro auf dem Naturhof Wolfsberg berichtet der 37-Jährige von seiner Flucht vor der Gewalt in seinem Heimatland, dem Kongo, und seiner Ankunft im 6000 Kilometer entfernten Deutschland – stets mit leiser Stimme, unaufgeregt, bescheiden. Dabei hätte er allen Grund, stolz zu sein. Seit er im Jahr 2003 nach Deutschland gekommen ist, erlangte er seinen Meister im Obstbau, wurde fünffacher Vater und gründete eine Hilfsorganisation, die die Menschen im Kongo bei der Landwirtschaft unterstützt.

Auf den Biohof der Familie Mager kam Muchagacha eher zufällig. „Er ist über einen Freund gekommen, der bei uns arbeitet und im christlichen Bereich tätig ist“, erinnert sich Chef Andreas Mager. „Er hat gesagt: ‚Ich kenne da einen, der ist ein prima Kerl, aber der wird durch das Nichtstun langsam verrückt.“ Denn nach seiner Ankunft in Deutschland wartete Muchagacha zunächst lange auf den Ausgang seines Asylverfahrens: Rund fünf Jahre habe er im Asylheim in Wipperfürth gelebt. „Im Asylheim durfte ich gar nichts, nicht arbeiten, nicht Deutsch lernen“, sagt der Mann aus dem Kongo. Mager: „Also haben wir gesagt, er soll mal vorbeikommen.“

Warum Muchagacha seine Heimat verlassen hat? „Es gibt einen Bürgerkrieg im Kongo. Der Hauptgrund sind Coltan, Gold, Diamanten“, sagt er. Coltan ist ein Erz, aus dem das seltene Metall Tantal gewonnen wird – die Grundlage für viele moderne Elektrogeräte vom Handy bis zur Autobatterie. Als die Rebellen den Betrieb seiner Familie zerstörten, fürchtete er um seine Sicherheit. Mit der Unterstützung seines Umfelds konnte er sich den Flug über Kenia und Russland nach Deutschland leisten.

Welche Gewalt er in seiner Heimat erlebt hat, deutet der 37-Jährige nur an: Der kongolesische Arzt und Menschenrechtsaktivist Denis Mukwege bekam 2018 den Friedensnobelpreis, erzählt Muchagacha. „Er hat berichtet, dass ungefähr eine Millionen Frauen im Kongo vergewaltigt wurden. Das hat auch meine Familie betroffen. Über fünf Millionen Menschen sind im Bürgerkrieg gestorben. Aber es wird nicht viel darüber berichtet, weil es um Geld, Gold und Coltan geht.“ In Deutschland half ihm eine Therapeutin, sein Trauma zu verarbeiten. 2008 oder 2009 – so genau weiß er das nicht mehr – sei er auch dank ihr an den Hof für Bioäpfel gekommen.

Zunächst machte er dort ein Jahr lang Praktikum, anschließend die Ausbildung als Gärtner, Fachrichtung Obstbau. „Dann habe ich mein Fachabitur nachgeholt.“ Ein Jahr probierte Muchagacha es an einem Königswinterer Hof alternativ mit Erdbeeren und Brombeeren, bevor er sich für die Meisterschule für Obstbau entschied. Das bedeutete zweimal je ein halbes Jahr Ausbildung an der Meisterschule in Rheinland-Pfalz und ein halbes Jahr arbeiten am Hof in Alfter.

Dank seiner guten Zeugnisse erhielt er einen Bafög-Kredit und konnte sich so den Meister finanzieren, erzählt Mager. „Jeder ist seines Glückes Schmied in unserem Land. Man braucht letztlich keine reichen Eltern. Du musst nur fleißig sein und lernen“, meint der Hofchef. „Die Chance ist da für jeden, man muss sie nur nutzen“, findet auch Muchagacha.

In seinem Fall hieß diese Chance Naturhof Wolfsberg. „Ich bin ohne Zeugnisse aus dem Kongo geflohen, ich hatte am Anfang nichts in der Hand. Andreas hat mir dann die Chance gegeben. Ohne ihn wäre es vielleicht nichts geworden.“ Dankbar ist er auch für seine Lehrer an der Meisterschule und an der Berufsschule in Bonn-Duisdorf, die ihm teilweise sogar außerhalb des Unterrichts mit seinen Sprachkenntnissen halfen, damit er nicht durchfiel. „Das fand ich wirklich toll“, sagt er.

Parallel kämpfte er mit einer weiteren Herausforderung: Während seiner Ausbildung wurde er mehrfach Vater. „Das waren schwere Momente. Aber wenn man etwas erreichen will, findet man einen Weg.“ Tagsüber habe er mit den Kindern gespielt, nachts gelernt. „Und wenn ich mir meine Kinder angeschaut habe, hat mich das motiviert. Ich wollte ein Vorbild sein für sie und meine Frau. Dadurch hatte sie den Mut, eine Ausbildung zur Altenpflegerin zu machen“, erzählt der fünffache Vater. Seine Frau war ebenfalls aus dem Kongo geflüchtet, doch kennen lernten sich die beiden auf einem Schiff in Köln – ihre erste Unterkunft nach dem Asylantrag. Ihr ältester Sohn ist vor Kurzem 14 Jahre geworden, der jüngste vier.

Bei allem, was er tut, vertraut Muchagacha stets auf den Rückhalt von ganz oben. „Ich weiß nicht, ob man etwas ohne Gott aufbauen kann“, sagt er. „Er ist der Einzige, der dir die Kraft und alle Unterstützung geben kann. Ohne Gott würde ich heute nicht hier sein. Was ich in meinem Land erlebt habe … Ich bin nicht besser als die Leute, die dort gestorben sind. Ich habe die Gnade Gottes gehabt.“

Und seinem Heimatland hilft er, wo er kann. Lange verzichtete der Obstbaumeister auf die deutsche Staatsbürgerschaft, um Einreiseprobleme im Kongo zu vermeiden, entschied sich kürzlich aber doch für die Einbürgerung. „Hier bin ich angestellt, aber in meiner Freizeit will ich Entwicklungshilfe für den Kongo leisten. Was ich gelernt habe, gebe ich an die Leute weiter“, sagt er. Vergangenes Jahr gründete er mit Bekannten den Hilfsverein „Bonne Solution“ (gute Lösung). Das Ziel: das duale Ausbildungssystem in den Kongo zu bringen.

„Bokul hat bei uns eine 70-Prozent-Stelle“, erklärt Andreas Mager, „weil er dann mehr Zeit hat und mindestens einmal im Jahr vier bis sechs Wochen im Kongo ist.“ 2019 kaufte der Mann aus dem Kongo der Oldenburger Feuerwehr einen ausgemusterten Allradlastwagen ab. Er belud ihn mit gebrauchten elektronischen und landwirtschaftlichen Geräten wie Pumpen und Motoren, aber auch mit Teppichen und Kleidung und verschiffte alles in den Kongo. „Alles, was wir hier in Deutschland wegschmeißen, wird in Afrika noch gebraucht“, sagt er.

Der Allradantrieb sei unerlässlich, weil er im Hinterland der Provinz Kwuilu operiere. Dort lebten viele vom Bürgerkrieg Vertriebene. Die Menschen seien von der Außenwelt meist abgeschnitten, denn: „Im Dorf sind die Straßen schlecht.“ Schlechte Straßen – das bedeutet unasphaltierte, unebene und schlammige Pisten durch den Busch, wie Bilder auf Muchagachas Handy zeigen. So fehle ihnen eine Möglichkeit, ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu verkaufen.

Die Firma, die er mit seinem Bruder dort gegründet hat, kauft den Menschen die Produkte direkt im Dorf ab. Das seien vor allem Mais und Maniok – laut Muchagacha das Äquivalent zur Kartoffel –, auch Erdnüsse, Bohnen, Ananas und Mangos. Mit dem Feuerwehrauto und einem Volvo, den er zuvor selbst genutzt hatte, transportiert die Firma das Obst und Gemüse zum Weiterverkauf in die Städte. Der nächste Schritt ist laut Muchagacha: selber anbauen und dabei junge Leute ausbilden.

Die Zukunft des Landes bleibe aber ungewiss. Der Kongo sei riesig – ungefähr siebenmal so groß wie Deutschland. Muchagacha berichtet: Joseph Kabila, der 18 Jahre lang Präsident war, sei zwar 2019 zurückgetreten, ziehe aber immer noch die Fäden hinter dem Rücken seines Nachfolgers Félix Tshisekedi. „Die Leute sind arm. Sie haben auf politische Veränderungen gehofft, aber es gibt noch keine.“ Tshisekedi habe seiner Meinung nach keine Macht, Korruption herrsche weiter vor. Ob der Deutschkongolese irgendwann zurück möchte? „Man muss das so sehen: Ich habe hier Familie, meine Kinder sind in Deutschland geboren“, antwortet er. Die Chancen für sie seien in Deutschland klar besser – das wolle er seinen Kindern nicht nehmen. „Diese Entscheidung kann ich nicht allein treffen. Das wäre ja eine Diktatur – wie in Afrika“, sagt er.

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