Interview mit Autorin aus Rheinbach Ariane Thiel gibt Einblicke in die Welt der Frühchen

Rheinbach · Die Rheinbacher Autorin Ariane Thiel hat ein Buch aus der Perspektive ihres Sohnes geschrieben, der in der 28. Schwangerschaftswoche als Frühchen zur Welt kam.

 Der Sohn und die Tochter von Ariane Thiel sind früher als errechnet geboren worden. In ihrem Buch erklärt sie kindgerecht die Frühchen-Welt.

Der Sohn und die Tochter von Ariane Thiel sind früher als errechnet geboren worden. In ihrem Buch erklärt sie kindgerecht die Frühchen-Welt.

Foto: Matthias Kehrein

Ariane Thiel ist Mutter von zwei Kindern, die früher als errechnet geboren wurden – Sohn Niklas in der 28. Schwangerschaftswoche und Tochter Emilia in der 35. Als Niklas sich beim Anblick seiner Neugeborenen-Fotos erschrocken hatte, machte sie sich auf die Suche nach Büchern, die das Thema „Frühchen“ kindgerecht nahebringen. Als sie keines fand, das ihren Vorstellungen entsprach, schrieb sie selbst eins. Aus der Sicht des kleinen Niklas erklärt das Buch mit dem dem Titel „Gekämpft! Geschafft!“ die „Frühchen-Welt“ und bietet darüber hinaus interaktive Bastel- und Rätselaufgaben für Kinder. Mit der Autorin sprach Gerda Saxler-Schmidt.

Ein Kinderbuch hat üblicherweise ganz andere Themen. Wie ist es zu diesem Kinderbuch über Frühchen gekommen?

Ariane Thiel: Unsere beiden Kinder sind als Frühchen auf die Welt gekommen. Wir sind mit diesem Thema immer offen umgegangen. Die Bilder aus dieser Zeit sind auch im Fotoalbum, das Niklas sich oft angeschaut hat. Aber als er fünf Jahre alt war, kam zum ersten Mal seine Reaktion: „So sehen Babys nicht aus!“ Er hatte sich auf diesen Bildern mit dem neu geborenen Schwesterchen von einem Freund verglichen, das ganz anders aussah: rosig und proper, wie Babys eben aussehen.

Was war denn auf dem Bild zu sehen, das zu dieser Reaktion von Niklas geführt hat?

Thiel: Das viel zu kleine Baby Niklas, viel zu dünn, die Haut durchsichtig, mit seinem etwas seltsamen Gesicht. Und dann die ganzen Kabel und Schläuche. Selbst wenn es das „schöne Bild“ ist, bei dem er bei Mama oder Papa auf dem Bauch liegt und kängurut, ist er darauf eben nicht so ein rosiges, properes Baby wie andere.

War es für Sie erstmal schwierig, zu dieser Reaktion von Niklas Stellung nehmen zu müssen?

Thiel: Ja, das schon. Obwohl mir klar war, dass diese Fragen irgendwann kommen würden.

Weshalb haben Sie die Erzähl-Perspektive des Frühchens Niklas selbst gewählt?

Thiel: Zunächst war es keine bewusste Entscheidung. Aber ich denke, Kindern fällt es leichter, sich in die Hauptfigur hineinzuversetzen, wenn es sich dabei um ein Kind handelt. Es war ja am Anfang auch erst mal nur ein Buch für unsere Kinder. Es sollte auch um ihre eigenen Gefühle gehen, wie sie selbst versuchen zu begreifen, dass sie irgendwie anders waren und zum Teil immer noch sind.

Wie erklären Sie das in dem Buch?

Thiel: Die Besonderheiten der Entwicklung eines Frühchens werden zum Teil durch Niklas‘ eigene Erfahrungen dargestellt und ergänzt durch die Erklärungen seiner Eltern. So weiß Niklas zum Beispiel nun, warum er etwas kleiner ist als andere und sehr dünn und beim Fangen meist verliert.

Aber dem setzen Sie anderes entgegen, das er gut kann?

Thiel: Genau. Gerade, weil er so klein und leicht ist, kann er zum Beispiel sehr gut klettern und turnen.

Niklas kam schon nach sechs Monaten Schwangerschaft auf die Welt, war 30,5 Zentimeter groß und wog 570 Gramm. Wie kamen Sie auf die Idee, Kindern eine Vorstellung von dem geringen Gewicht durch Vergleiche mit Mehltüten zu geben?

Thiel: Das ist einfach erklärt: im Krankenhaus feiert man das „Mehltüten-Fest“ wenn das Frühchen ein Gewicht von einem Kilo erreicht hat. Zu diesem Tag haben die Krankenschwestern uns sogar etwas gebastelt, das sie mit einem Foto von Niklas an den Inkubator geklebt haben. Man freut sich dann gemeinsam, dass diese Gewichtshürde von einem Kilo genommen wurde, die  eben dem Gewicht einer Mehltüte entspricht.

Emilia kam im achten Schwangerschaftsmonat zur Welt, als Niklas drei Jahre alt war.

Thiel: Ja. Bei ihr war es wieder anders. Sie wog 1430 Gramm, konnte selbstständig atmen und brauchte keinen Inkubator. Aber dann gab es Komplikationen und sie musste operiert und beatmet werden.

In Ihrem Buch gehen Sie ganz offen mit Ihren eigenen Gefühlen damals und den Gefühlen von Niklas um.

Thiel: Ja. Es war mir besonders wichtig, nicht nur das Frühchen-Thema an sich zu erklärten, sondern auch auf die Gefühle einzugehen, die in dieser schwierigen Zeit und auch später eine Rolle spielen. Zum Beispiel, dass mein Mann und ich geweint haben und oft traurig waren. Oder dass Niklas Angst davor hatte, Emilia zu sehen. Die Kinder sollen wissen, dass diese Gefühle in so einer Situation einfach dazugehören und zugelassen werden dürfen.

Das Buch erzählt nicht nur kindgerecht von der Frühchen-Welt. Es erklärt auch medizinische Begriffe, enthält kindgerechte Zeichnungen  und Aktivitäten wie Bastelaktionen, Suchbilder oder Wissensseiten.

Thiel: Ich wollte das schwierige Thema nicht einfach runterrattern. Mir wurde schnell klar, dass ein Kinderbuch ohne Bilder nicht funktioniert. Sarah Liebschwager, eine Erzieherin aus Niklas Kindergarten, hat die Zeichnungen zum Buch beigetragen.  Die Bastelangebote und anderen Aktivitäten sind in Zusammenarbeit mit einer ehemaligen Grundschullehrerin aus dem Bekanntenkreis entstanden. Das hat irrsinnig Spaß gemacht und das Buch noch mal ein gutes Stück voran gebracht. Und zu den medizinischen Begriffen hat mich die Neonatologin Dr. Silvia Poralla des Universitätsklinikums Bonn beraten.

Für Emilia und Niklas gibt es ein zeichnerisches Siegerbild, weil sie den  „wahrscheinlich größten Kampf“ ihres Lebens bereits in den ersten Wochen nach der Geburt gewonnen haben. Und dann ist da Platz für das eigene Siegerbild des Kindes, das das Buch liest.

Thiel: Ja, die Idee ist im Zusammenspiel mit der Grundschullehrerin entstanden, damit jedes Kind an dieser und einigen anderen Stellen etwas hat, das dieses Buch zu seinem ganz eigenen besonderen Buch macht. Es soll dazu anregen, sich noch einmal speziell an diese Zeit zu erinnern und gemeinsam mit dem Kind zu schauen, was bei der eigenen Geschichte eventuell anders war, denn es gibt nicht „das Frühchen“ oder „die eine Frühchen-Geschichte“.

War das Schreiben für Sie selbst noch einmal eine Möglichkeit, die Ängste um Ihre beiden zu früh geborenen Kinder zu verarbeiten?

Thiel: Der reine Text ist an nur zwei Vormittagen aus mir herausgeflossen. Vielleicht war das Schreiben eine andere Art von Verarbeitung. Aber als Frühchen-Eltern haben wir schon früh viel Unterstützung erfahren, schon im Krankenhaus. Und später waren wir unter anderem alle vier gemeinsam in einer speziellen Eltern-Frühchen-Kur.

Ist Ihr Buch auch ein Mut-mach-Buch für andere Frühchen-Eltern?

Thiel: Ja, auf jeden Fall für Eltern, die vor Kurzem selbst ein Frühchen bekommen haben oder die gerade im Krankenhaus sind und wissen, dass ihr Kind als Frühchen auf die Welt kommen wird. Ich finde, das Buch ist auch für andere Zielgruppen interessant. Zum Beispiel für Kinder im Kindergarten oder in der Schule, um ihnen zu erklären, was ein Frühchen ist und warum diese Kinder auch später zum Beispiel noch kleiner und zierlicher sind als sie selbst. Aber an allererster Stelle natürlich für die Kinder selbst, die als Frühchen geboren sind.

„Gekämpft! Geschafft! – Niklas erklärt die Frühchen-Welt“, Manuela Kinzel Verlag Göppingen, ISBN 978-3-95544-139-5, 25 Euro.

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