Einsatz auf der "Sea Watch 3" Bornheimer rettet Flüchtlinge aus dem Mittelmeer

Bornheim · Das Foto von dem ertrunkenen Jungen am Strand war der letzte Auslöser. Kurt Schiwy wollte angesichts des Flüchtlingsdramas im Mittelmeer nicht mehr untätig bleiben. Jetzt berichtete er in Bornheim von seinem Einsatz auf der „Sea-Watch 3“.

Wochenlang beherrschte der Asylstreit die deutsche Politik; immer mehr Länder in der EU wollen unterdessen keine geflüchteten Menschen mehr aufnehmen. Rettungsschiffe mit Flüchtlingen an Bord finden kaum Häfen, die sie ansteuern dürfen. Und nicht nur das. Die „Sea-Watch 3“ ist quasi in Malta festgesetzt. Sie darf nicht auslaufen – während im Mittelmeer Menschen ertrinken.

Eine unerträgliche Situation für den Bornheimer Kurt Schiwy, denn er kennt die Not aus eigenem Erleben. Er war im November drei Wochen lang an Bord des Rettungsschiffs. Am Wochenende berichtete er in der evangelischen Markuskirche in Hemmerich von seinen Erfahrungen.

Eine Familie aus Brandenburg gründete die Initiative

Gegründet wurde die Initiative „Sea-Watch“ von einer Familie aus Brandenburg, die das Sterben von Geflüchteten nicht länger tatenlos mit ansehen wollte, berichtete Schiwy. Mit einem alten Kutter fuhren die Gründer los um Menschen zu retten. Inzwischen ist daraus eine große überkonfessionelle und nicht-politische Initiative mit einer professionellen Mannschaft geworden.

Von Malta aus startete das Schiff „Sea-Watch 3“, wenn das Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) in Rom ein Boot in Seenot meldete. Allein zwischen November 2017 und Januar 2018 habe das Schiff 1500 Menschen vor dem sicheren Tod gerettet, so Schiwy. Nun liege das Schiff in Malta fest und darf den Hafen nicht verlassen.

Auch das Kleinflugzeug „Moonbird“, das im Auftrag der Initiative gekenterte Boote im Mittelmeer aufgespürt habe, dürfe nicht mehr starten. „In den nächsten Tagen werden viele Menschen ums Leben kommen, weil die Boote, die sie retten könnten, festgehalten werden.“

Das Elend von Flüchtlingen beschäftigte ihn schon früher

Kurt Schiwy hat sich schon in der Vergangenheit mit der Flüchtlingsproblematik befasst, beispielsweise während des Balkankonflikts. Spätestens als das Foto des ertrunkenen kurdischen Jungen um die Welt ging, der an der türkischen Küste angespült wurde, sei ihm klar gewesen, dass er aktiv helfen möchte.

An Bord der „Sea-Watch 3“ war der IT-Fachmann vor allem für die Technik zuständig. „An Bord ist man joborientiert. Es gibt eine Menge Elektrotechnik, die oft nicht funktioniert.“ Eines der wichtigsten Instrumente sei das Radar, mit dem man auch die kleinen Flüchtlingsboote aufspüren kann, berichtete er: Wird ein in Seenot geratenes Boot entdeckt, fahren zunächst kleinere Schnellboote hinaus, um die Menschen zu bergen und aufs Schiff zu bringen.

Sie emotionalsten Momente für ihn seien es gewesen, als er den Geflüchteten von diesen Schnellbooten an Bord der „Sea-Watch 3“ half. Die Menschen seien total entkräftet gewesen und kaum in der Lage, aus eigener Kraft umzusteigen. Mit dieser Aufgabe war zudem eine große Verantwortung verbunden: „Bei einer schwangeren Frau hatte ich Angst davor was passiert, wenn ich sie nicht zu fassen kriege ... dann ist sie weg, die findet man nicht mehr.“

Die Menschen kommen aus der Hölle

An Bord nehme man den Geflüchteten zunächst ihr Gepäck ab, trenne Männer und Frauen voneinander, registriere sie und versorge sie medizinisch, schilderte der Bornheimer das Vorgehen. Viele seien nach dem Aufenthalt in den libyschen Lagern traumatisiert, in denen erschreckende Bedingungen herrschten: Vergewaltigung, Misshandlungen und Sklaverei seien dort an der Tagesordnung. „Die kommen aus der Hölle“, sagte Schiwy.

Gegen den Vorwurf, die Rettungsorganisationen spielten den Schleppern in die Hände, verwahrte er sich. „Es gibt eine ganz klare Distanz zu den Schleppern. Wenn einer von denen aufgegriffen wird, ist er dran.“ Nur legale Fluchtwege und langfristige Verbesserungen in den Herkunftsländern könnten die Situation entspannen, meinte er.

Die meisten Menschen, an deren Rettung er beteiligt war, stammten aus Nigeria, einem Land mit großen Ölvorkommen, dessen Reichtum aber nie bei der Bevölkerung ankomme. Korruption und Ausbeutung auch durch Europa seien die Gründe, warum es den Menschen dort so schlecht gehe.

Das Sterben von Flüchtlingen wird weitergehen

Ein Punkt, mit dem nicht alle Zuhörer in der Markuskirche einverstanden waren. So meinte ein Besucher, vor allem die Bevölkerungsexplosion auf dem afrikanischen Kontinent sei eine der Hauptursachen für das Elend. „Wir schaffen es in Zukunft nicht mehr, all diese Menschen aufzunehmen“, so der Mann.

Eine Frau entgegnete, jeder trage ein Stück Verantwortung. „Ich kenne viele Leute, die nicht bereit sind, zehn Cent mehr für ein Fair-Trade-Produkt zu bezahlen“, sagte sie. Faire Löhne und Arbeitsbedingungen seien wichtig, um die Situation in den armen Ländern zu verbessern.

Schiwy stimmte zu, dass die Flüchtlingsströme langfristig durch Verbesserungen in den Herkunftsländern gestoppt werden müssen. Doch aktuell flüchten die Menschen, auch wenn die Rettungsschiffe festgehalten werden. „Die fahren trotzdem, und die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen ums Leben kommen, ist hoch. Wir bekommen davon gar nichts mit, denn die meisten sterben leise.“

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