Typisierungsaktion für krankes Baby Wie eine Waldorferin durch Stammzellspende zur Lebensretterin wurde
Bornheim-Merten · Der kleine Leonhard braucht dringend eine Knochenmarkspende. Eine Typisierungsaktion organisierte jetzt der SSV Merten. Dabei erzählt Julia Schmitz (33), wie sie vor zwei Jahren selbst zur Lebensretterin wurde.
Der kleine Leonhard aus Merten hat Blutkrebs. Retten könnte ihn die Knochenmarkspende eines passenden Spenders, einem sogenannten genetischen Zwilling. Den wollen die Mertener jetzt für den fünf Monate alten Jungen finden: An diesem Sonntag hat der SSV Merten in seinem Vereinsheim zusammen mit der DKMS Helfer für eine Typisierungsaktion zusammengetrommelt. Mit dabei ist die 33-jährige Julia Schmitz aus dem Ortsteil Waldorf. Zu dem Thema ist nicht zufällig bestens informiert – 2022 hat sie als Spenderin selbst ein Leben gerettet.
„Nicht nur bei Leukämie, sondern auch im Bereich Knochenmarkspende herrschen bei vielen Menschen Unsicherheit und Ängste. Die abzubauen, kann Leben retten“, begründet Schmitz ihre Teilnahme an der Aktion. Sie wolle für Fragen bereitstehen und so möglichst viele Menschen von der Typisierung überzeugen. Interessenten sind auf jeden Fall viele da: „In der ersten Stunde haben wir schon etwa 30 Menschen registriert“, berichtet Sven Petersen, Fußballtrainer beim SSV und Initiator der Aktion, erfreut. Das erklärte Ziel: 100 Neuregistrierungen.
Freiwillige stellen Aktion auf die Beine
Petersen, selbst Vater von vier Söhnen, kennt den kleinen Leonhard und war von seinem Schicksal tief bewegt. Daher organisierte er die Aktion, mit Zustimmung von Leonhards Eltern und der DKMS. Letztere DKMS habe neben den Typisierungskits auch Informationsmaterial in Form von schriftlichen Anleitungen und Erklärvideos zur Verfügung gestellt, so dass die Aktion für die 15 aktiven Helfer vom Verein sehr einfach sei. Auch andere örtliche Vereine und der Ortsvorsteher unterstützen die Aktion. Dank großzügiger Lebensmittelspenden müssen sich Petersen und seine Helfer nicht in Unkosten stürzen.
Petersen ist schon bei der DKMS registriert. „Was gespendet werden kann, wird auch gespendet“, so sein Credo. Zeigen kann er den Ablauf einer Typisierung trotzdem – im gut gefüllten Versammlungsraum des Vereinsheims. Um das nötige genetische Material bereitzustellen, muss heutzutage kein Blut mehr entnommen werden. Mund auf, Stäbchen rein – mehr braucht es nicht, wie die potenzielle Spenderin Anke Milden aus Hemmerich vormacht. „Die Anleitung war wirklich selbsterklärend. Nur zwei, drei Minuten durchlesen“, sagt sie mit Stäbchen im Mund und deutet auf ein Blatt auf dem Tisch. Ein QR-Code führt per Smartphone direkt zur Registrierungsseite der DKMS. Dort verbindet man seine Daten mit der Nummer eines Spenderkits, in das man drei Wattestäbchen füllt, die zuvor 60 Sekunden lang im Mund abgestrichen wurden. „Wenn ich so helfen kann, ist das super“, sagt Milden. Sven Petersen freut sich über jeden Spender und hofft, dass der richtige für Leonhard dabei ist.
Als die Anfrage kommt, zögert sie nicht
Dass das zwar selten, aber möglich ist, beweist der Fall der oben genannten Julia Schmitz. Ende 2022 erhielt sie einen Anruf der DKMS mit der Nachricht, dass sie die passende Spenderin für jemanden sei. Die Nachricht sei zwar überraschend gekommen, lange überlegt habe sie aber nicht, sagt die 33-Jährige: „Als die DKMS mich fragte, ob ich bereit sei, potenziell ein Leben zu retten, habe ich keine Sekunde gezögert.“
Die Waldorferin hat zu dem Thema Blutkrebs auch einen persönlichen Bezug: Vor Jahren erkrankte ihre Freundin Kerstin an Leukämie. „Da ist mir dann bewusst geworden, dass dieses Schicksal jeden treffen kann“, sagt sie. Um Kerstin zu helfen, starteten Familie und Freundeskreis eine Typisierungsaktion wie bei Leonhard. Dort registrierte sich auch Schmitz. Damals konnte kein passender Spender für Kerstin gefunden werden – die junge Frau erlag 2018 ihrer Leukämie. Auch aus diesem Grund setzt sich Schmitz heute als persönliche Ansprechpartnerin ein.
Spender sollten selbst gesundheitlich fit sein
Denn, das wiederholt sie mehrfach: „Was der Spender an Unannehmlichkeiten zu tragen hat, ist absolut nichts im Vergleich zu den, was der Erkrankte trägt.“ Die Spende selbst sei bei ihr relativ problemlos und schnell verlaufen. Da sie ein Kleinkind zu Hause hatte, haben ihr Freunde und Familie bei der Betreuung ihres Sohnes währenddessen unter die Arme gegriffen. Nach dem ersten Anruf der DKMS war die erste Station ein ärztlicher Check-up mit persönlichem Gespräch, Blutkontrolle und Ultraschall. „Es ist wichtig, dass man physisch und psychisch fit ist“, erklärt die 33-Jährige. Fünf Tage vor dem Eingriff kam ein Pflegedienst und spritzte ihr morgens und abends ein Medikament, das die Stammzellbildung anregt und diese im Blut zirkulieren lässt.
Währenddessen habe sie grippeähnliche Symptome wie Fieber und Schüttelfrost gehabt, erinnert sich die Waldorferin. Der große Tag war der 21. Dezember, der Ort eine Kölner Klinik. Schmitz vergleicht das Verfahren mit einer Blutspende, die nur deutlich länger dauere: Aus der linken Hand wurde ihr Blut in eine Maschine geführt, dort die Stammzellen rausgefiltert und das Blut in die rechte Hand wieder zugeführt. Etwa dreieinhalb Stunden habe das gedauert. „Etwas erschöpft“ sei sie anschließend schon gewesen, allerdings überwog das Glücksgefühl: „Das Schönste in meinem Leben war die Geburt meines Sohnes. Aber die Spende schließt sich dem direkt an“, sagt sie.
Hoffnung auf Rettung für den kleinen Leonhard
Nach der Spende, noch am selben Tag, hatte Schmitz etwas Dringenderes zu erledigen, als sich auszuruhen. Dabei habe vielleicht auch Adrenalin eine Rolle gespielt, meint sie rückblickend: „Das Erste, was ich zu Hause gemacht habe, war, einen Brief an die Empfängerin zu schreiben.“ Wie sie auf Nachfrage bei der DKMS erfahren hat, handelt es sich dabei um eine etwa 30 Jahre alte Frau aus den USA. Die DKMS, die Schmitz auch nach der Spende weiter betreute, teilte ihr im November mit, dass die Empfängerin geheilt zu sein scheine.
Zwei Jahre nach der Spende sei auch ein Treffen möglich, erklärt Schmitz. „Meinen genetischen Zwilling würde ich auf jeden Fall gerne treffen wollen“, sagt die Waldorferin, die für ihren Einsatz die Auszeichnung „Helden des Alltags“ erhielt. Sie selbst würde jederzeit wieder spenden und hofft, dass sich auch für Leonhard noch ein Spender findet. „Jeder kann ein Held sein. Da liegt nur die Stammzellspende zwischen.“