Praxen im Rhein-Sieg-Kreis Viele Physiotherapeuten stehen vor dem Aus

Rhein-Sieg-Kreis · Physiotherapeuten in der Region sehen die Existenz ihrer Praxen bedroht und melden Kurzarbeit an. Wegen der Corona-Pandemie haben sie bis zu 80 Prozent weniger Kundschaft.

 Physiotherapeut Jan Knoblauch behandelt Patientin Anika Weiß am Rücken. Die meisten Patienten haben ihre Termine in den Praxen der Region wegen Corona aber abgesagt.

Physiotherapeut Jan Knoblauch behandelt Patientin Anika Weiß am Rücken. Die meisten Patienten haben ihre Termine in den Praxen der Region wegen Corona aber abgesagt.

Foto: Matthias Kehrein

„Ich drehe hier Däumchen; die Patienten bleiben aus Angst vor dem Coronavirus weg“, sagt die Bornheimer Physiotherapeutin Susan Rastin. Sie hat ihre Praxis mittlerweile mittwochs und freitags geschlossen, an den anderen Werktagen nur noch für einige Stunden geöffnet. Weil Festkosten wie die Miete von 2500 Euro nicht wegfallen, sieht Rastin die Existenz ihrer Praxis „massiv bedroht“. Wie der Bornheimerin geht es vielen ihrer Kollegen. Sie schlagen Alarm.

Der Spitzenverband der Heilmittelverbände mit Sitz in Köln vertritt 75.000 Therapeuten: Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Podologen. Verbandsvorsitzende Ute Repschläger sagt: „Wegen der Coronakrise sagen immer mehr Patienten ihre Behandlungstermine ab. Die selbstständigen Praxisinhaber und deren Angestellte bringt das an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. Sollten die Praxen aus finanziellen Gründen schließen müssen, wird dies auf Dauer massive Versorgungsprobleme bringen. Das schadet am Ende allen Patienten, weil es Heilungsprozesse verzögert oder unmöglich macht.“

Ohne Hilfen stehen Praxen vor dem Aus

Der Hennefer Physiotherapeut Stefan Müller ist seit 2013 selbstständig. Er meint, er und seine Kollegen würden im Regen stehen gelassen. Auf seiner Internetseite schreibt er: „Unsere Kosten (Mitarbeiter, Mieten, Versicherungen und Lebenshaltung) laufen weiter. Die Leerstände in unseren Terminplänen produzieren einen Verdienstausfall, der zahlreiche Praxen vernichten kann.“ Auf diese Notlage habe man sich nicht adäquat vorbereiten können.

Das liege auch an der immer noch unterdurchschnittlichen Entlohnung der therapeutischen Leistungen. „Wir Therapeuten werden Corona nicht überleben, wenn uns niemand hilft. In dem Fall sehen wir uns alle in der Privatinsolvenz und beim Arbeitsamt wieder. Uns Freiberuflern und Praxisbetreibern werden keine Kredite und Darlehen helfen. Diese müssen zurückgezahlt werden. Wir benötigen schnelle und unbürokratische Leistungen. Normalerweise helfen wir. Heute brauchen wir Hilfe.“, so Müller.

„Das wird gegen null laufen; es sind extreme Einbußen“

Ralf Schönberg, der im Rheinbacher Ärztehaus praktiziert, hat seine Mitarbeiter für drei Wochen in freiwillige Quarantäne geschickt. Anja Bastuck, Osteopathin und Physiotherapeutin in Heimerzheim, behandelt derzeit keine Patienten mit Atemwegserkrankungen. Mit älteren Patienten spricht sie telefonisch, ob eine Behandlung wirklich notwendig sei. Etwa 70 Prozent der Patienten hätten ihre Termine abgesagt. „Das wird gegen null laufen; es sind extreme Einbußen“, sagt sie.

Die Physiotherapiepraxis Bungart in Heimerzheim betreut verschiedene soziale Einrichtungen. Die Behandlungen der Patienten in Schulen und Kindergärten ist durch deren Schließung komplett weggebrochen. Von zwei betreuten Seniorenheimen lässt ein Heim keine Physiotherapeuten mehr ins Haus. „Die Situation der Patienten bereitet uns Sorgen“, sagt Marlis Bungart. „Auf privatem Weg haben wir uns Mundschutz nähen lassen, weil Schutzmasken derzeit nicht mehr zur Verfügung stehen.“ Da ein Großteil der Behandlungen bereits weggefallen ist, muss die Praxis für neun Therapeuten Kurzarbeit anmelden.

30 Therapeuten in Kurzarbeit

Matthias Grunert führt mit zwei Kollegen die Praxis dmt-Physiotherapie mit Standorten in Rheinbach, auf der Grafschaft und in Bad Neuenahr. Grunert hat zwar noch keine exakten Zahlen vorliegen, doch er schätzt, das Patientenaufkommen sei um die Hälfte zurückgegangen. Auch er hat seine 30 Therapeuten in Kurzarbeit geschickt. Schon jetzt arbeiten seine Kollegen quasi im Schichtdienst, um etwaige Infektionsketten zu unterbrechen. Virenträger wie Zeitschriften gibt es nicht mehr im Wartezimmer.

Wie in vielen anderen Praxen sind auch bei Horst Pieper-Patalas in Heimerzheim Acrylplatten an der Anmeldung angebracht. Pieper-Patalas verzeichnet „massive Einbußen“, bis zu 70 Prozent weniger Patienten. Dennoch will er keinen seiner fünf Angestellten nach Hause schicken. „Deutliche Lücken“ sind auch in der Praxis von Jan Knoblauch in Bornheim-Merten spürbar. Aber auch er will mit seinen neun Mitarbeitern durchhalten. „Gerade in der postoperativen Versorgung sind wir in der Pflicht“, sagt er.

Petra Nanzig führt in Königswinter-Oberdollendorf eine Physiotherapiepraxis mit fünf Mitarbeitern, für die sie Kurzarbeit angemeldet hat. Denn die Hälfte der Termine sei abgesagt worden. „Wir kämpfen um unsere Existenz“, sagt sie. Da Schutzmasken nicht zu bekommen seien, habe das Team sich selbst welche genäht.

Ärzte schreiben keine Verordnungen mehr

Gar 80 Prozent weniger Patienten verzeichnet Rüdiger Fiehn von der MRT-Praxis für Physiotherapie in Bad Honnef. Ihm und seinen acht Therapeuten macht es zu schaffen, „dass viele Ärzte nicht mehr verordnen oder ihre Praxen geschlossen haben“. Auch Fiehn hat Kurzarbeit beantragt. „Wenn es im Mai nicht besser wird, wird es schwierig für uns.“ Bereits jetzt habe er sich mit seinem Vermieter darauf geeinigt, die Miete zu reduzieren.

Marianne Meyer-Schiffer betreibt seit 1981 ihre Physiotherapie-Praxis in Ahrweiler. Sie fühlt sich komplett im Stich gelassen: „Obwohl ich einen systemrelevanten Betrieb habe, gibt es für uns keinen Rettungsschirm.“ Für alle derzeit über das Normalmaß hinausgehenden Aufwendungen müsse man selber aufkommen.

Auch komme sie kaum noch an Desinfektionsmittel, Mundschutz oder Schutzkleidung heran. „Wir sind nun dazu übergegangen, uns den Mundschutz selber zu nähen“, berichtet die Unternehmerin, die seit Ausbruch der Coronakrise einen Patientenrückgang von 65 Prozent feststellt. Zahlreiche Physiotherapie-Praxen hätten ihre Mitarbeiter inzwischen in Kurzarbeit geschickt. „Fest steht, unsere Patienten bekommen derzeit nicht mehr das, was sie brauchen“, sagt Meyer-Schiffer. Losgelöst von den Sorgen um ihre Patienten treiben sie und ihre Branchenmitstreiter wirtschaftliche Sorgen: „Wir laufen in den Bankrott.“

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