Angelman-Syndrom Der 21-jährige Tim hat eine genetisch-bedingte Krankheit

BORNHEIM-MERTEN · Tim ist ein strahlender Mensch, stets hat er ein Lächeln auf den Lippen. Doch das, was ihn auszeichnet, ist zugleich sein Handicap. Die Fröhlichkeit ist nämlich das äußere Anzeichen des Angelman-Syndroms, einer genetisch-bedingten Krankheit.

 Die Familie hält zusammen: Helga Heinrich aus Merten mit Tochter Iris und Sohn Tim Kranenfeld, der das Angelman-Syndrom hat, sowie ihr Ehemann Jörg Heinrich.

Die Familie hält zusammen: Helga Heinrich aus Merten mit Tochter Iris und Sohn Tim Kranenfeld, der das Angelman-Syndrom hat, sowie ihr Ehemann Jörg Heinrich.

Foto: Wolfgang Henry

Schon äußerlich fällt der 21-jährige Mann auf. Er ist klein, seine Haut ist heller als normal, da die Pigmentierung gestört ist, seine Zunge hat er oft herausgestreckt. Weil sein Gleichgewichtssinn nicht funktioniert, kann er nur steifbeinig am Rollator laufen. Und: Er kann nicht sprechen.

Tims Krankheit resultiert aus einer angeborenen genetischen Veränderung im Bereich des Chromosoms 15. Im Schnitt tritt sie bei einem von 30.000 Neugeborenen auf, 2005 gab es weltweit rund 800 dokumentierte Fälle. Die Krankheit diagnostizierte 1965 erstmals der britische Kinderneurologe Harry Angelman. Er fand heraus, dass bei Angelman-Patienten ein Gen (UBE3A) im Gehirn nicht aktiviert wird, da der Abschnitt auf dem Chromosom 15, auf dem es liegt, nicht funktionstüchtig ist.

Bestimmte Gene auf diesem Chromosomenabschnitt sind ausschließlich auf dem vom Vater stammenden, andere nur auf dem von der Mutter stammenden Chromosom aktiv. Beim Angelman-Syndrom ist der mütterliche Chromosomenabschnitt nicht aktiv, das UBE3A-Gen auf dem väterlichen Chromosom ist stillgelegt. Erst 2007 haben Wissenschaftler in den USA festgestellt, dass die Krankheit durch ein Aktivieren des väterlichen DNA-Stranges in ihrer Ursache heilbar wäre. Eine Entwicklung, auf die Tims Mutter Helga Heinrich hofft.

"Dass Tim die genetische Veränderung aufweist, ist eine Laune der Natur", stellt Versicherungskauffrau Helga Heinrich fest. Seit 2005 ist sie in zweiter Ehe mit Jörg Heinrich verheiratet. Sie wohnen mittlerweile alleine in ihrem Haus in Merten. Während die beiden älteren Kinder Jan und Iris Kranefeld in Bonn leben und studieren, wohnt Tim seit seinem achten Lebensjahr in verschiedenen Einrichtungen, zunächst in den Caritas Kinderheilstätten in Nordkirchen und Dortmund, seit einem Jahr im Heilpädagogischen Heim des Landschaftsverbandes Rheinland in Bonn-Beuel. Die Ursachen für Tims verzögerte Entwicklung nach seiner Geburt 1993 waren weder Mutter Helga noch dem leiblichen Vater Georg Kranefeld klar. Eine Odyssee zu den verschiedensten Ärzten brachte erst 1995 eine eindeutige Diagnose. "Tims Blutprobe wurde an die Charité nach Berlin geschickt. Die dortigen Ärzte stellten auch die richtige Diagnose", erinnert sich Helga Heinrich.

Heute weiß sie, dass ihr Sohn ein typisches Angelmansyndrom-Kind ist. Nicht nur dass er häufig lächelt, mit den Händen klatscht und eine Hand immer im Mund hat, er flattert auch mit den Armen. Trotz seiner körperlichen und geistigen Behinderung absolvierte er bei den Bonner Werkstätten Lebenshilfe eine zweijährige Ausbildung. "Diese sollte eher seinen Tag strukturieren und ihm Abwechslung bringen", erklärt Schwester Iris, die alle 14 Tage, wenn Tim zu Besuch in Merten ist, aus Bonn kommt, um mit ihm zu kuscheln. Sie und ihr Bruder Jan kümmern sich sehr um Tim. "Wir haben kein behindertes Kind in der Familie, sondern sind eine behinderte Familie", erläutert Helga Heinrich den feinen Unterschied. Sie und ihr geschiedener Mann Georg treffen für Tim alle Entscheidungen gemeinsam. Stiefvater Jörg, der 1999 die Familie kennenlernte, gewöhnte sich schnell an die Pflege des Patienten.

Die gesamte Familie hat sich mit der Krankheit auseinandergesetzt, ist Mitglied des bundesweit agierenden Angelman-Vereins. Schlossen sich 1993 bundesweit 13 Eltern zu einer Angelman Selbsthilfeinitiative zusammen, sind im Verein heute fast 500 Familien registriert. Der Verein gliedert sich in die Regionalgruppen Nord, Ost, Süd, Südwest, Mitteldeutschland und West, einzelne Ortsgruppen gibt es nicht. Die Familie aus Merten gehört zur Gruppe West. Durch Newsletter, persönliche Treffen und auch Broschüren werden sie, wie auch andere betroffene Eltern, über den Stand der Forschung informiert. Am 15. Februar findet der Internationale Angelman-Tag statt, an dem weltweit Veranstaltungen über die Bühne gehen.

Wer sich über die Krankheit informieren möchte, kann montags bis donnerstags, 19 bis 21 Uhr, unter Tel. 0800/26435626 anrufen.

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