Interview: Franziska Föhmer "Es geht um eine gelingende Lebensführung"

Bornheim · Eine Schule, zwei Standorte: Seit Beginn des Schuljahres 2015/16 sind die Bornheimer Verbundschule in Uedorf und die Drachenfelsschule Königswinter offiziell eine Einrichtung. Zuvor hatten die beiden Städte eine Vereinbarung zum Zusammenschluss der beiden Förderschulen getroffen, um sie trotz geringer Schülerzahlen erhalten zu können.

Sie sind Leiterin einer Schule mit Standorten in Uedorf und Königswinter. Wie viele Kilometer auf den Rheinbrücken haben Sie schon hinter sich gebracht?
Franziska Föhmer: Ich pendle mehr, als ich vorher gedacht hatte. Wobei die Entfernung nur so weit scheint. Es sind nur 18 Kilometer.

Wie funktioniert eine Schule mit zwei Standorten?
Föhmer: Lehrer sind bisher noch nicht gependelt, wobei es möglich ist, wenn an einem Standort Not herrscht. Wir haben in unserem Konzept beschlossen, dass die Uedorfer Verbundschule den Hut auf hat, Königswinter ist ein Teilstandort. Dort habe ich eine Konrektorin, die das operative Geschäft übernimmt, wenn ich nicht da bin. Auch in Uedorf gibt es einen Kollegen, der einspringt.

Das Konstrukt rührt daher, dass beide Schulen aufgrund der geringen Schülerzahlen in ihrem Fortbestehen gefährdet waren.
Föhmer: Als die gesetzliche Mindestgrößenänderung kam, war klar, dass viele kleine Schulen gefährdet sind. Die Größenordnung von mindestens 144 Schülern gab es immer. Nur bis dahin konnte man diese unterschreiten, ohne dass der Bestand gefährdet war. Allerdings hatten wir so viele Schüler in Königswinter nie, und in Bornheim, glaube ich, auch nicht. Wir haben dann mit Hilfe der Schulträger lange überlegt, was man tun kann. Beide Städte waren sehr daran interessiert, die Standorte zu erhalten.

Hat es geklappt, die Schulen zusammenzubringen?
Föhmer: Wir haben ein gemeinsames Konzept verabschiedet und uns mit beiden Kollegien zusammen bislang zweimal getroffen. Es hat auch schon gemeinsame Aktionen mit Schülern gegeben, etwa Berufsvorbereitungstage. Wir planen auch einen gemeinsamen Lesewettbewerb. Die Schulen sollen zusammenwachsen, nicht nur auf der formalen Ebene wie bei Zeugnisvorlagen.

Was ist das Profil der Schule?
Föhmer: Beide Standorte haben die Förderschwerpunkte "Sprache" und "Lernen". Kinder mit dem Förderbedarf "Sprache" werden nach Möglichkeit wieder zurückgeschult, wenn sie sich in ihrer sprachlichen Entwicklung stabilisiert haben. Kinder mit dem Förderschwerpunkt "Lernen" kommen in der Regel nicht sofort zu uns - wenn, dann nur mit dem ausdrücklichen Wunsch der Eltern. Dieser Förderbedarf beruht nicht zwingend auf einem kognitiven Problem. Es gibt auch Kinder, die einfach Lernblockaden haben, etwa aufgrund von psychischen Problemen.

Aufgrund des Inklusionsprozesses wählen Eltern häufig eine Regelschule, eine Gemeinsames-Lernen(GL)-Schule. Doch auch in den GL-Schulen behalten die Kinder ihren Förderschwerpunkt, bekommen ein individuelles Lernangebot, und sie machen dort mit diesem Förderbedarf "Lernen" keinen anderen Abschluss als bei uns. Klar gibt es auch Kinder, bei denen sich die Lernblockaden irgendwann lösen. Dann werden sie zurückgeschult, und der Förderbedarf wird aufgehoben. Die Schüler, die bei uns bleiben, können einen Hauptschulabschluss nach Klasse 9 machen.

Haben Förderschulen trotz aller Bemühungen um die Inklusion weiterhin eine Existenzberechtigung?
Föhmer: Die UN-Behindertenrechtskonvention hat niemals gefordert, dass Förderschulen geschlossen werden. Im Gegenteil steht in der UN-Konvention, dass Kinder mit Förderbedarf einen Anspruch auf qualifiziert hochwertigen Unterricht haben. Wenn die Förderschulen alle schließen würden, gäbe es für die Eltern keine Wahlmöglichkeit. Wir müssen aufhören zu polarisieren, dass die eine Schulform gut und die andere schlecht ist. Man sollte auf die individuellen Bedürfnisse des Kindes schauen und die Eltern nach bestem Wissen und Gewissen beraten. Es gibt einfach Kinder, die in einer kleinen Lerngruppe mit entsprechendem Fachpersonal besser aufgehoben sind. Das sind Bedingungen, die wir an der Verbundschule vorhalten.

Wie beraten Sie Eltern?
Föhmer: Uns geht es um Transparenz, wir zeigen unser Angebot. Wir haben das Glück, dass wir Bedingungen haben, die anderswo nicht möglich sind, zum Beispiel die Räumlichkeiten oder die kleinen Klassengrößen. Zusammen mit den ausgebildeten Sonderpädagogen kann man eigentlich von einem elitären System sprechen. Dennoch werden Förderschulen von einigen immer noch als schlecht angesehen. Die Schulen müssen ihr Stigma loswerden. Vielen Eltern ist auch nicht klar, dass Kinder mit dem Förderbedarf "Lernen" auch an einer Gesamtschule keinen anderen Abschluss machen können als bei uns.

Sie wollen den Inklusionsgedanken aber nicht zurückweisen, oder doch?
Föhmer: Auf keinen Fall. Klar darf es keine Ausgrenzungen geben. Aber wir erleben doch, dass unsere Gesellschaft eine des Wettbewerbs ist. Da haben es nicht nur Kinder mit Beeinträchtigungen schwer, sondern viele Menschen. In unserer Schule wollen wir den Kindern, die Möglichkeit mit auf den Weg geben, in der Gesellschaft ihre Stimme zu erheben und für ihre Rechte einzustehen. Wir möchten die Kinder ein Stück weit stärken. Ich kann verstehen, wenn Eltern Ängste um die Zukunft ihrer Kinder haben. Aber es führt nicht unbedingt zu Glück, wenn man viel Geld verdient. Es geht um eine gelingende Lebensführung und darum, sich selbstwirksam zu erleben. Inklusion heißt nicht nur, in einem Klassenraum zusammenzusitzen.

Wie steht es um die Zukunft Ihrer Schule?
Föhmer: Im Moment sehe ich das ganz positiv. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass viele Förderschulen im Umkreis schließen und es nur noch wenige Angebote gibt für Eltern, die sich bewusst für eine solche Schule entscheiden. Das ist der eine Punkt. Auch bekommen wir häufiger Anfragen von Quereinsteigern, also von Kindern, die in einem Gemeinsamen-Lernsystem waren. Es hat dort aber nicht funktioniert.

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