Serie: Inklusion im Vorgebirge Wie die Arbeit mit Schafen und Ziegen zu mehr Selbstständigkeit verhilft

Bornheim-Roisdorf · In der Serie „Inklusion im Vorgebirge“ schauen wir auf die vielen Facetten, die Inklusion haben kann. Dieses Mal geht es nach Bornheim-Roisdorf. Hier bereitet Katja Kleser gemeinsam mit unter anderem zwölf Hühnern und 18 Schafen junge Menschen durch ein „tiergestütztes Sozialtraining“ auf die Berufsfähigkeit vor.

 Katja Bleser und Jan füttern die Ziegen. Auch das gehört zu den Aufgaben des jungen Mannes im tiergestützten Sozialtraining.

Katja Bleser und Jan füttern die Ziegen. Auch das gehört zu den Aufgaben des jungen Mannes im tiergestützten Sozialtraining.

Foto: Axel Vogel

Wenn Jan das Tor zur Koppel am Roisdorfer Donnerstein öffnet, warten die drei Ziegen Gretel, Lisabetta und Klara sehnsüchtig auf ihn. Sie haben Hunger, der 23-Jährige sorgt fürs Futter. Vorsichtig füllt Jan Müsli und getrocknete Früchte in verschiedene Schüsseln. Die stellt er an einen Kirschbaum, damit „die Tiere von da auf die angrenzende Wiese kommen“, erklärt der Impekovener.

Das Füttern der Tiere – zwölf Hühner und der Hahn Caruso, 18 Schafe, vier Böcke, die Hunde Lilly und Frieda sowie die beiden Pferde Mister T. und Trulla leben auf dem Privatgelände am Roisdorfer Donnerstein - gehört zu den Aufgaben des jungen Praktikanten, für die er zuerst einmal in der Woche für zwei Stunden nach Bornheim kommt. Denn hier wird der junge Erwachsene, der nach dem Abschluss einer Förderschule vier Jahre mit seinen Eltern in den USA gelebt hat, in einem „tierunterstützten Sozialtraining“ auf seine künftige Berufsfähigkeit vorbereitet. Das Konzept hat die 58-jährige Bewegungstherapeutin und Psychomotorikerin Katja Bleser gemeinsam mit dem Verein „Inklusive Arbeit Alfter“ entwickelt - in Anlehnung an die in den Niederlanden entstandenen „Fürsorgebauernhöfe“. Bleser selbst übt ihren Beruf mit Leib und Seele aus und war 16 Jahre lang als Motopädin an einer Bonner Förderschule mit den Schwerpunkten emotionale und soziale Entwicklung tätig.

Die Arbeit mit den Tieren soll soziale und kognitive Kompetenz fördern

Der Weg zur Praktikumsstelle mit dem Bus nach Alfter-Ort und dann zu Fuß zum Donnerstein war für Jan anfangs schon eine Herausforderung. Mittlerweile meistert er ihn mit Bravour. Vor Ort angekommen bespricht der junge Mann, dessen Nachname nicht in der Zeitung genannt werden soll, dann die anstehenden Arbeiten mit Praktikumsanleiterin Bleser. Seine Arbeit mit den Tieren hat ein klares Ziel: Damit sollen besonders bei Jugendlichen, die ein Handicap haben, die soziale und kognitive Kompetenz gefördert sowie lebenspraktische Erfahrungen vermittelt werden. „Tiere bieten die Möglichkeit, eine Beziehung zu einem Lebewesen aufzubauen. Sie sprechen Gefühle an, sie bieten Trost, Sicherheit und Wärme, sie sind authentisch und fordern Verantwortungsgefühl. Die Arbeit mit Tieren gibt Alltagsstrukturen vor“, erklärt die Fachfrau. Ihre „unerschrockenen Hühner“ sind daher auch seit Dezember 2021 an einer Brennpunktschule in Köln im Einsatz, wo sie verhaltensauffällige Schüler wieder „ein wenig erden und zur Ruhe bringen“.

Dass der Kontakt mit Tieren Menschen helfen kann, hat Bleser bereits bei ihrem ersten Praktikanten Philipp festgestellt. Der 17-jährige-Schüler einer Bonner Förderschule für körperliche Entwicklung sei zunehmend selbstständiger und selbstorganisierter geworden. Er konnte seine Freude bei der Arbeit rund um die Tiere dann auch emotional zeigen, so die Therapeutin.

Steigerung der Belastung ist Teil des Sozialtrainings

Mit tierischer Unterstützung möchte Bleser nun weiteren Praktikanten neue Herausforderungen bieten. Sie kommen so einmal aus den Strukturen des betreuten Schulsystems heraus. Dazu gehört aktuell außer Jan auch Nele. Die 17-jährige ist im letzten Schuljahr einer Förderschule für geistige Entwicklung und soll ebenfalls über das tierunterstützte Sozialtraining an naturnahe Bereiche herangeführt werden. Seit diesem Monat sind die Beiden zusammen für anfangs drei Stunden vor Ort. Denn auch das sei Teil des Sozialtrainings: eine Steigerung der Belastbarkeit und Ausdauer beim Arbeiten. „Sie werden sich gemeinsam den Aufgaben stellen, zusammenarbeiten, Spaß haben, mit- und voneinander lernen und ihre Fähigkeiten ergänzen. Teamfähigkeit ist das Ziel“, machte Bleser deutlich. Die Arbeit reicht für beide. Denn nicht nur das Füttern der Tiere steht auf dem täglichen Programm, auch die Eiersuche, die Fahrten mit dem E-Lastendreirad für den Transport von Heu, Wasserkanistern, Stromgeräten, flexiblen Weidezäunen und Batterien sowie das Führen der Schafe auf eine andere Weide. Die Tiere müssen geputzt beziehungsweise gestriegelt und die Ställe ausgemistet werden.

Und natürlich gehört zu den Pflichten auch die Zubereitung des Futterbreis für die alten zahnlosen Schafe, wie Oma Kruse, Mama Mäh, Kunigunde und Mätzchen. Diese Aufgabe gefällt Jan besonders gut. Zu seinen Leidenschaften gehört nämlich das Kochen. Daher wäre sein Traum ein zusätzliches Praktikum in einer Küche. Zurzeit laufen die Bewerbungen. „Es wäre einfach schön, wenn das klappen würde“, so der 23-Jährige.

Informationen zum „tierunterstützten Sozialtraining“ erteilt der Verein „Inklusive Arbeit Alfter“ unter 0 22 22/9 95 71 91.

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