Behindertenwerkstatt in Hersel „Mit der Industrie auf Augenhöhe“

Bornheim-Hersel · Die Bonner Werkstätten der Lebenshilfe beschäftigen 1100 Mitarbeiter mit Handicap. Eine Werksführung in Hersel. Für jeden Beschäftigten soll der passende Arbeitsplatz gefunden werden.

 Führung durch die Werkstätten der Bonner Lebenshilfe in Hersel: Guiseppe Conforto erledigt die EDV-gestützte Kundendisposition, im Hintergrund steht Werkstattleiter Joachim Nätlitz

Führung durch die Werkstätten der Bonner Lebenshilfe in Hersel: Guiseppe Conforto erledigt die EDV-gestützte Kundendisposition, im Hintergrund steht Werkstattleiter Joachim Nätlitz

Foto: Axel Vogel

Bernhard Weingardts Aufgabenbereich gehört zu den komplexeren im Werk. Er verschickt mit seinen drei Kollegen Headsets an Kunden, bereitet die Päckchen für den Versand vor. Gibt es Mängel oder müssen Teile ersetzt werden, erledigt er die nötigen Telefonate und trägt den Vorgang in das Computerprogramm ein. Der 45-Jährige arbeitet im Herseler Werk der Bonner Werkstätten der Lebenshilfe Bonn. Interessierte Gäste einer Werksführung bekamen nun Einblicke – unter anderem in die Arbeit Weingardts. Weitere Werke befinden sich in Beuel und Meckenheim, in Dransdorf wird eine Gärtnerei betrieben. Damit sind die Bonner Werkstätten einer der größeren Arbeitgeber in der Region.

1100 Kollegen hat Weingardt insgesamt, für jeden Mitarbeiter sucht das Team eine seinen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe. Dazu kommen mehr als 300 Arbeits- und Ausbildungsplätze für Nichtbehinderte. Auch Schwerstbehinderte haben die Möglichkeit zur Teilhabe. Abdallah zum Beispiel sitzt in seinem Rollstuhl und betätigt mit seinem Kopf einen Schalter, der einen Stempomaten in Gang setzt. Damit bedruckt er handgeschöpftes Papier für Weihnachtskarten.

Die Arbeitsbereiche sind vielfältig. Die Frauen und Männer arbeiten in der Hauswirtschaft, im Gartenbau, im Metall- oder im Verpackungsbereich, in der Holzverarbeitung, Montage, Elektronik oder in Lager und Logistik. Zu den Arbeitszeiten zählen auch die Pausen und begleitende Maßnahmen wie sportliche Aktivitäten. Zwölf Mitarbeiter werden dabei jeweils von einem Gruppenleiter betreut. Bei den Schwerstbehinderten kann für den pflegerischen Bedarf Zusatzpersonal beantragt werden.

„Wir sind ein Angstgegner für die Industrie“, sagt Werksleiter Joachim Nätlitz, „denn wir sind schnell, weil wir viele Menschen an Bord haben.“ Billiger als die Konkurrenz liefern die Werkstätten aber nicht. „Wir machen keine Sonderangebote, sondern arbeiten mit der Industrie auf Augenhöhe“, betont Nätlitz.

Einige der Partner in der Industrie seien motiviert, mit den Werkstätten zusammenzuarbeiten, weil sie die Aufträge mit Ausgleichsabgabe verrechnen können. Denn Firmen mit mehr als 20 Mitarbeitern sind verpflichtet, Schwerbehinderte einzustellen. Erfüllen sie die Quote nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe zahlen. Erteilen sie aber einer Behindertenwerkstatt Aufträge, so können sie einen Teil des Auftragsvolumens auf die Abgabe anrechnen.

Trotzdem: „Aufträge werden nur erteilt, wenn die Qualität stimmt“, sagt Manfred Vogt vom Elternbeirat. In den Produkten der Werkstätten steckt viel Handarbeit. Zum Beispiel bei den Insektenhotels, die Gruppenleiter Mark Salewski präsentiert: „Das ist etwas anderes als die Ware aus China.“ Jeder Stab werde einzeln eingeklebt, die Röhrchen könne man zur genaueren Beobachtung herausziehen und im Holz seien keine Insektizide, es werde von den Mitarbeitern sorgfältig geölt , so Salewski.

Die Arbeitsplätze bei den Bonner Werkstätten sind sozialversichert und dem Arbeitsmarkt angegliedert. Ein Ziel der Werkstätten ist die Vermittlung von Mitarbeitern in den ersten Arbeitsmarkt. „Das sind allerdings Einzelfälle“, sagt Britta Lesch, unter anderem für Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Zwei bis drei Mitarbeiter wechselten jedes Jahr nach gründlicher Vorbereitung auf Arbeitsplätze außerhalb der Werkstätten. Es gebe auch immer wieder Rückkehrer. Lesch: „Unser Ziel ist, den passenden Arbeitsplatz für den Menschen zu finden, sei es inner- oder außerhalb.“

Das Herseler Werk der Bonner Werkstätten sucht Ehrenamtler, die kreative Angebote, Gruppenarbeiten oder Mittagsangebote unterstützen. Ansprechpartnerin ist Britta Lesch, 0 22 22/8 30 21 22. Mehr Infos unter www.bonnerwerkstaetten.de.

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