Tausche Boutique gegen Schulklasse Quereinsteiger im Lehrerberuf aus der Region

Rhein-Sieg-Kreis · Studium, Referendariat: Die Lehrerausbildung dauert Jahre. Aber es kann auch schnell gehen, wie die Beispiele von Quereinsteigern in diesen Beruf zeigen. Sie waren Ingenieure, Sportwissenschaftler oder selbstständig und unterrichten in Bornheim und Meckenheim.

Früher hatte Marion Schrief (56) einen Job, heute hat sie eine Aufgabe. Seit 2010 unterrichtet sie an der Geschwister-Scholl Hauptschule in Meckenheim in der zehnten Klasse Technik, Geschichte und Arbeitslehre/Wirtschaft. Noch vor sieben Jahren verkaufte sie Damenoberbekleidung in einer kleinen Boutique in der Bonner Altstadt. „25 Jahre war ich selbstständig, und vor meinem 50. Geburtstag musste was Neues her. Ich brauchte eine Veränderung“, sagt Schrief. Den Quereinstieg in den Lehrerberuf bereut sie bis heute nicht. Schließlich sei der Einzelhandel ein schweres Geschäft.

Als Schrief ihren Universitätsabschluss 1985 in der Tasche hatte – sie studierte Geschichte und Textilgestaltung auf Lehramt –, gab es in Nordrhein-Westfalen einen Lehrerüberschuss. „Ich bin dann nach meinem ersten Staatsexamen nicht ins Referendariat gegangen, sondern habe mir überlegt, dass ich mich selbstständig mache. Mit dem Fach Textilgestaltung hätte ich damals eh keine Anstellung bekommen, weil das Land das Fach zu dem Zeitpunkt abgeschafft hatte“, erinnert sie sich.

54 Stellen im Rhein-Sieg-Kreis sind unbesetzt

32 Jahre später herrscht in NRW ein Lehrermangel, und die Landesregierung versucht, den Bedarf auch mit Quereinsteigern zu decken. Laut der Bezirksregierung Köln waren von 160 000 Lehrerstellen rund 5400 für das aktuelle Schuljahr ausgeschrieben worden. 2139 Stellen konnten nicht besetzt werden, 54 allein an den Schulen im Rhein-Sieg-Kreis.

An einem Nachmittag vor einigen Jahren saß die Bonnerin mit einem Bekannten auf der Terrasse, und beide scherzten, dass sie in den Lehrerberuf wechseln wollen. Schriefs Bekannter telefonierte mit Peter Hauck, dem Leiter der Meckenheimer Hauptschule, und eine Woche später bekam Schrief einen Rückruf. „Ich konnte zunächst eine Vertretung übernehmen, und bereits nach einigen Wochen fragten mich der Schulleiter und seine Stellvertreterin, ob ich mich auf eine feste Stelle bewerben wolle“, erzählt sie.

Die Stelle bekam sie, und nach der „Pädagogischen Einführung“, einem Schnellqualifizierungsverfahren für Quereinsteiger, das ein Jahr dauert und in dem Schrief auch Unterrichtsbesuche bekam, wurde sie letztlich Lehrerin im Angestelltenverhältnis. „Da ich das zweite Staatsexamen nicht habe und die Prüfung dazu nicht machen wollte, wurde ich nicht verbeamtet. Außerdem wäre das ohnehin nur bis zum 40. Lebensjahr gegangen“, erklärt die Seiteneinsteigerin.

Vom Ingenieur zum Klassenlehrer

Einen ähnlichen Weg ist André Gentz (51) aus Swisttal gegangen. Der studierte Ingenieur war früher mit einer Firma selbstständig, dozierte frei an Universitäten und Hochschulen. Über eine Bewerbungsplattform der Bezirksregierung Köln kam er an die Lehrerstelle an der Europaschule Bornheim. Auch er saß ein Jahr mit Lehramtsreferendaren jede Woche in einem Seminar und büffelte Didaktik und Pädagogik. Seit Ende 2012 ist er an der Schule, ist Klassenlehrer einer fünften Klasse und unterrichtet Technik, Informatik und Physik (kurz: TIP).

„Ich bin hier sehr zufrieden und die Arbeit macht mir Spaß“, sagt Gentz. Dennoch ist er der Ansicht, dass die Akzeptanz für Quereinsteiger größer wäre, wenn die Bezahlung angemessen wäre. Sein Arbeitskollege Holger Roth (36), absolvierte die „Pädagogische Einführung“ nicht. Er kam als studierter Sportwissenschaftler mit Schwerpunkt Management ebenfalls als Vertretungslehrer an die Europaschule und unterrichtet seit Februar 2011 Sport.

„Erst in diesem Sommer habe ich einen unbefristeten Vertrag bekommen“, sagt Roth. Zuvor musste er einen Antrag bei der Bezirksregierung stellen. Dass er gerne mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, merkte Roth schon während seines Diplomstudiums. „Ich habe früher als Fußballtrainer gearbeitet und in einer offenen Ganztagsbetreuung“, berichtet er. Seine Schüler und deren Eltern wissen, dass er Quereinsteiger ist. „Ich mache daraus auch kein Geheimnis.“

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