Jugendakademie Walberberg Reinhard Griep: „Jeder hört lieber seine eigene Musik“

Bornheim-Walberberg · Der Leiter der Walberberger Jugendakademie über den Trend zur Individualisierung.

 Reinhard Griep gestaltet mit seinem Team seit 1992 die Entwicklung und Ausrichtung der Jugendakademie Walberberg.

Reinhard Griep gestaltet mit seinem Team seit 1992 die Entwicklung und Ausrichtung der Jugendakademie Walberberg.

Foto: Stefan Hermes

Seit 1992 leiten Sie die Jugendakademie in Walberberg. Was unterscheidet das Haus von anderen Jugendbildungseinrichtungen?

Reinhard Griep: Wir sind eine der wenigen Bildungsstätten in der Umgebung, die wie eine Art Jugendherberge fungiert und gleichzeitig ein eigenes Programm macht. Wir gestalten selber Seminare und haben dabei einen großen Freiraum.

Inwiefern spielt es für die Jugendlichen, die nach Walberberg kommen, eine Rolle, dass sie ein christliches Haus sind?

Griep: Wenn das nicht explizit angeboten wird, werden sie das nur am Rande mitbekommen. Es gibt allenfalls einen thematischen Ansatz, den wir wichtig finden. Dazu gehört die Frage nach dem Sinn des Lebens oder nach einer Werteorientierung. Das ist uns schon sehr wichtig. Wir haben zum Beispiel gerade unseren Meditationsraum umgestaltet, weil wir es hier mit allen Religionen zu tun haben. Wir können da keine katholische Kapelle hinsetzen, in der unser muslimischer Koch mittags seine verpflichtenden Gebete absolviert.

Hat sich Ihr Bild von den Jugendlichen in den 24 Jahren Ihrer pädagogischen Arbeit verändert?

Griep: Nun bin ich ja nicht mehr so intensiv mit den Jugendlichen zusammen. Inzwischen sind meine Hauptthemen Verwaltung und Finanzierung. Doch früher war es bei uns die Regel, dass sich Gruppen hier für mindestens fünf Tage aufhielten. Heute sind es selten mehr als zwei. Das hat Folgen für die Möglichkeit, sich kennenzulernen. Aber natürlich haben sich auch Jugendliche, Konsum- und Kommunikationsverhalten geändert, was alles Auswirkungen hat. Aber viel dramatischer hat sich verändert, dass die Erwachsenen keine Zeit mehr haben. Und wenn doch, dann wissen sie nichts mehr damit anzufangen.

Lässt sich das veranschaulichen?

Griep: Für mich war es früher selbstverständlich, dass ich mit meinen Eltern das gleiche Fernsehprogramm geguckt habe. Mit meinem Bruder musste ich darüber streiten, ob „Daktari“ oder Sportschau eingeschaltet wurde. Man hat sich auseinandergesetzt, um dann etwas Gemeinsames zu tun. Das ist heute nicht mehr der Fall. Es hat sich völlig individualisiert. Das führt zu parallelen Welten, in denen sich die Jugendlichen bewegen, was auch den Rechtsextremismus möglich macht. Das reicht bis zu den Chatrooms, zu denen Erwachsene keinen Zugang mehr haben. Man bewegt sich nicht mehr in den gleichen Bereichen.

Aber ist das Finden der eigenen Individualität denn nicht auch ein wichtiger Schritt zum Erwachsenwerden?

Griep: Früher war es wichtig, dass man ein eigenes Zimmer hatte oder den Kellerraum, oder früh das Elternhaus verließ. Heute findet das in virtuellen Welten statt, die nicht von jedem betreten werden können. Die Abgrenzungsräume sind wesentlich stärker geworden. Gerade heute habe ich von den „Reichsbürgern“ gelesen, die von der Politik noch gar nicht richtig wahrgenommen wurden, obwohl sie in den Chatrooms schon lange aktiv sind.

Dagegen erleben Sie ja vermutlich die Jugendlichen, die bei Ihnen Workshops oder Seminare besuchen, als offen und kommunikationsbereit?

Griep: Es war früher selbstverständlich, dass am letzten Abend des Zusammenseins eine Fete gefeiert wurde. Das hat sehr nachgelassen, was ich auch mit der Individualisierung erkläre: Jeder hört lieber seine eigene Musik, als sich über die Musikauswahl mit anderen auseinanderzusetzen.

Zunehmend arbeiten Sie in der Jugendakademie mit Geflüchteten oder Migranten. Welche Erfahrungen machen Sie im Zusammenkommen der unterschiedlichen Kulturen?

Griep: Viele. Vor allem fühlen sie sich hier wohl, weil sie hier junge Leute unter anderen jungen Leuten sind. Nicht mehr „die Geflüchteten“ oder „die Asylbewerber“, sondern Jugendliche, wie die anderen auch. Das tut ihnen gut. Zudem haben sie hier den Raum, einmal in Ruhe über sich nachzudenken. Was werden die nächsten Schritte sein? Und sie bekommen hier mit, wie wir miteinander umgehen. Was möglich ist. Sie haben im Herbstcamp Straßentheater in den Fußgängerzonen gespielt und auf ihr Schicksal aufmerksam gemacht. Das könnten sie in ihren Heimatländern nicht tun. Also eine Erfahrung, die etwas mit Integration zu tun hat. Und mit Demokratie lernen. Das lässt sich nicht anhand eines Fragebogens oder einer Wissenskontrolle machen, das muss man erleben.

Mit welchen Themen sind Sie aktuell befasst?

Griep: Ganz aktuell beschäftigt mich die Klimakonferenz, die Ende nächsten Jahres in Bonn stattfinden wird. Da wird es auch bei uns Parallelkonferenzen mit Jugendlichen geben. Dann natürlich unsere Erweiterungsbauten. Wir schaffen jetzt neue Räume für inklusive Gruppen, damit auch Rollstuhlfahrer keine Probleme haben. Dazu kommen Seminarräume, die von Kleingruppen belegt werden können. Es erweitert damit nicht nur unsere Belegungsmöglichkeiten, sondern damit hoffentlich auch unsere finanzielle Basis, die uns ermöglicht, weiterzumachen.

Ihre Pläne für die Zukunft?

Griep: Zur Integration von Geflüchteten machen wir Fortbildungen und Deutschferiencamps. Und wir gucken natürlich, welchen Bedarf es darüber hinaus gibt. Können, sollen, müssen wir da etwas tun. Wir werden Themen rund um die Bonner Klimaschutzkonferenz 2017 entwickeln und wir überlegen in Kooperation mit meinem anderen Standbein bei Pax Christi, Multiplikatoren-Seminare für junge Erwachsene anzubieten, um in den Schulen das Thema Friedensbildung nicht nur den Jugendoffizieren der Bundeswehr zu überlassen, die in erster Linie über Sicherheitspolitik sprechen. Im NRW-Koalitionsvertrag ist vorgesehen, dass auch Vertreter der Friedensbewegung in die Schulen gehen, damit – wie es der „Beutelsbacher Konsens“ vorsieht – kontroverse Themen auch kontrovers diskutiert werden können. Auch das ist eine Aufgabe für uns.

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