Zeitzeugengespräch in Bornheim „Viele wussten etwas und haben nichts gesagt“

Bornheim · Peter Berrisch hat die Pogromnacht 1938 erlebt und gesehen, wie in Bornheim die Metzgerei der jüdischen Familie Loeb zerstört wurde. Davon berichtete er bei einem Zeitzeugengespräch in der Bornheimer Stadtbücherei.

 Gespräch in der Bornheimer Stadtbücherei: Zeitzeuge Peter Berrisch ließ rund 15 Zuhörer an seinen Erinnerungen teilhaben.

Gespräch in der Bornheimer Stadtbücherei: Zeitzeuge Peter Berrisch ließ rund 15 Zuhörer an seinen Erinnerungen teilhaben.

Foto: Axel Vogel

Peter Berrisch hat beobachtet, wie SA-Leute die Scheiben der Metzgerei Loeb an der Brunnenstraße 37 in Roisdorf einschlugen, die gesamte Einrichtung demolierten und dabei alles zerstörten, was zerbrechlich war. Berrisch war damals fünf Jahre alt. „Schaufenster, Theke, Kühlung, Fensterscheiben und Kleinteile lagen im Vorgarten“, erzählte der heute 83-Jährige in der Bornheimer Stadtbücherei.

Als Zeitzeuge berichtete der heute 83-Jährige von dem SA-Überfall auf das Geschäft der jüdischen Familie Loeb während der Pogromnacht am 9. November 1938. Der kleine Junge sah vom Schlafzimmerfenster seiner Großmutter aus – die Oma wohnte gemeinsam mit seinen Eltern im Nebenhaus der Familie Loeb – wie sich die jüdischen Nachbarn vor dem Mob im Gartenschuppen eines Nachbarhauses versteckten. „Mittig der Straße war eine Straßenlaterne, die mir das ganze Treiben sichtbar machte. An Einzelheiten und Gesichter kann ich mich nicht erinnern. Meine Mutter hat drei der SA-Männer erkannt.

Zwei waren aus Roisdorf und einer aus Alfter. Dabei war sogar ein Vetter meines Vaters“, beschrieb Berrisch vor rund 15 Zuhörern in den Räumen am Servatiusweg die Situation vor 78 Jahren. „Wir wollen die Geschichte pflegen und die Erinnerungen vor allem für junge Leute wachhalten“, erklärte Büchereileiterin Brigitte Nowak ihre Motivation, im Zuge des 9. November einen Zeitzeugen aus Bornheim über das Geschehen vor Ort berichten zu lassen. Bis heute hat die Progromnacht von 1938 den Hobbyhistoriker nicht losgelassen.

„Viele wussten etwas und haben nichts gesagt“

Er kann sich nicht erklären, wie solche Taten in einer engen Dorfgemeinschaft passieren konnten und dass man im Nachhinein die Beteiligung Einheimischer nicht wahrhaben wollte. „Viele wussten etwas und haben nichts gesagt. Im Nachhinein wusch man sich rein. So hieß es, dass kein Roisdorfer in der Pogromnacht dabei war. Das muss man sich mal vorstellen“, kritisierte Berrisch. Er erinnert sich noch gut an die Familie Loeb, aus eigenem Erleben und aus Erzählungen seiner Verwandtschaft. David und Regina Loeb eröffneten demnach 1860 ihre Metzgerei in Roisdorf.

Um die Jahrhundertwende erbaute die Familie das Geschäftshaus an der Brunnenstraße 37, das bis heute erhalten ist. „Damals war die Brunnenstraße mit 39 Gewerbebetrieben so etwas wie die Hohe Straße von Roisdorf“, erklärte Berrisch mit Blick auf die Kölner Einkaufsmeile. Sohn Philipp übernahm die Metzgerei 1926. Zwei Töchter waren in Köln und Bonn verheiratet, Sohn Josef hatte in Chemnitz eine Lehre zum Textilkaufmann absolviert und „war nur noch einmal für wenige Stunden am 10. November 1938 in Roisdorf, um seine kranke Mutter zu besuchen, die noch vor Kriegsbeginn starb“, so Berrisch.

„Ich hätte mir gewünscht, dass man die Nazis bestraft hätte“

Seine Familie und auch andere Nachbarn hätten zu den Loebs einen guten Kontakt gepflegt. Als die Verfolgung der Juden immer schlimmer wurde, habe mancher hier und da mit Lebensmitteln geholfen. Laut Berrischs Recherche zogen Philipp Loeb, seine Frau und die Kinder Alfred und Ellen am 7. März 1939 nach Köln, wo sie zunächst in einem Lager untergebracht wurden. Später wurden sie nach Minsk deportiert und dort umgebracht. Von der Familie hat nur Josef Loeb, der mit einer Christin verheiratet war, überlebt.

Drei weitere jüdische Familien aus dem Dorf konnten sich offenbar retten: Zwei Töchter der Familie Feldmann kehrten nach dem Krieg in ihr Elternhaus an die heutige Neusserstraße zurück. Familie Scheuer aus der Bonner Straße emigrierte, „aber ich weiß nicht wohin“, so Berrisch. Familie Cossmann aus der Weberstraße wanderte in die USA aus. „Da sehr viele unter dem Krieg gelitten haben, hätte ich mir gewünscht, dass man nach dem Krieg moralischer geurteilt und die Nazis bestraft hätte“, zog Berrisch mit Blick auf die Ausgabe sogenannter „Persilscheine“, mit denen auch die Roisdorfer Beteiligten in der Phase der Entnazifizierung 1947 als unschuldig eingestuft wurden, Bilanz.

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