Rheinische Redensarten Et jitt keen Ih ohne Wih

Rheinland · Wir stellen schöne und gedankentiefe rheinische Redewendungen vor.

Es gibt keine Ehe ohne Schmerz.

Es gibt keine Ehe ohne Schmerz.

Foto: GA-Grafik

Sinnsprüche sind dann gelungen, wenn sie einen ganzen Bedeutungshorizont aufspannen. Wenn sie es vermögen, kurz und knapp ein ganzes Problemfeld zu skizzieren, eine Wahrheit zu transportieren, ohne ins Bodenlose der Floskel zu fallen. An dieser Stelle ist der Dialekt sehr stark aufgestellt, denn seine Sätze sind über Jahre und Jahrzehnte an der Wirklichkeit geschliffen. Insbesondere dann, wenn es im weitesten Sinne um Lebenshilfe geht.

Einen solchen Fall haben wir bei der rheinischen Redewendung: „Et jitt keen Ih ohne Wih.“ Der Sprachästhet möchte den Satz erst einmal klanglich und rhythmisch betrachten. Da ist der Engvokal -i-, der für einen angenehmen Reimschluss sorgt. Das Ganze ist eingebettet in einen handelsüblichen Trochäus. Das ist jener Versfuß, der auf eine betonte Silbe eine unbetonte folgen lässt. Dem Gebilde ist mit „et“ ein kleiner Auftakt vorgeschaltet. Das -i- ist ja üblicherweise gleichbedeutend mit einer ablehnenden Haltung. Ein langgezogenes -i-, vielleicht sogar als Schrei, lässt nichts Gutes vermuten und rüttelt wach. Abscheu und Ekel drückt sich darin aus.

Und so können wir unsere kleine Gedichtanalyse auf die Landebahn lotsen und die hochdeutsche Übersetzung nachliefern: Es gibt keine Ehe ohne Schmerz. Das ist ja im Zweifel schon mal ein Hinweis, für den man dankbar sein kann, wenn man noch nicht über die entsprechende Erfahrung verfügt. Es ist sicher gut gemeint, wenn ein Vertreter der Elterngeneration einem Vertreter der Jugendgeneration entsprechend informiert. Denn es scheint sich wieder einmal um eine anthropologische Konstante zu handeln. Die Kernbotschaft soll allerdings nicht lauten: Es ist alles schlecht. Es geht vielmehr darum zu sagen: Man muss auch mal durchhalten, es kommen wieder bessere Zeiten. Oder wirtschaftlich ausgedrückt: Die Rendite fürs Durchhalten ist höher als die fürs Weglaufen. Apropos: Warum heißt es eigentlich bei Paaren im Falle einer Trennung: Der Mann lässt die Frau sitzen, aber die Frau läuft dem Mann weg? Und niemals umgekehrt?

Der General-Anzeiger hat die Kolumnen als Buch „Rheinisch für Fortgeschrittene“ veröffentlicht. Hören Sie auch unseren Podcast „So geht Rheinisch“, abrufbar auf allen Medienplattformen und unter www.ga.de/podcast. Haben Sie auch eine rheinische Lieblingsredensart? Dann schreiben Sie uns unter rheinisch@ga.de

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