Interview mit Stefan Raetz „Sehe niemand, der dieses Amt ausführen könnte“

Rheinbach · Rheinbachs Bürgermeister will im Jahr 2020 nicht mehr kandidieren. Im GA-Interview spricht er über den CDU-Streit, seine Nicht-Kandidatur und was 2020 auf der Zu-tun-Liste steht.

 Chef im Rheinbacher Rathaus ist Bürgermeister Stefan Raetz (60) seit 20 Jahren.

Chef im Rheinbacher Rathaus ist Bürgermeister Stefan Raetz (60) seit 20 Jahren.

Foto: Matthias Kehrein

In diesem Jahr wird alles anders für Rheinbachs Bürgermeister Stefan Raetz. Überraschend hatte er im November angekündigt, bei der Kommunalwahl 2020 nicht erneut als Bürgermeister kandidieren zu wollen. Doch bis zum Ende seiner Amtszeit hat der Christdemokrat noch eine ganze Menge auf dem Zettel stehen. Mit dem 60-Jährigen sprach Mario Quadt.

Mit ihrer Ankündigung, 2020 nicht noch einmal zur Wahl anzutreten, haben Sie viele Menschen überrascht. Wie haben Sie die Reaktionen empfunden?

Stefan Raetz: Ja, ich habe überrascht. Auch meine Frau – die hätte nicht gedacht, dass ich in die Tat umsetze, was wir besprochen haben. Die hat sich natürlich am meisten gefreut. Aber aus der Bevölkerung habe ich auch tolle Resonanz bekommen. Viele haben gesagt: Mensch, das geht doch gar nicht. Aber es haben auch viele gesagt, dass sie meinen Schritt – nach so langer Zeit und diesem Engagement – verstehen können. Es ist immer schön,  wenn die Bevölkerung sagt: Schade, dass er geht. Und nicht: Das wurde aber höchste Zeit.

Vor genau einem Jahr haben Sie im Hinblick auf den Streit in der Rheinbacher CDU gefordert: „Wir brauchen Einigkeit in der CDU.“ Wie weit sehen Sie die Partei ein Jahr später?

 Abgerissen sind die Fabrikhallen auf dem Majolika-Areal in Rheinbach. Dort sollen 240 Wohneinheiten für rund 500 Menschen entstehen. 

Abgerissen sind die Fabrikhallen auf dem Majolika-Areal in Rheinbach. Dort sollen 240 Wohneinheiten für rund 500 Menschen entstehen. 

Foto: Axel Vogel

Raetz: Das ist ein Trauerspiel. Das muss man wirklich so sagen. Die CDU hat es nicht geschafft, das Jahr 2019 dazu zu nutzen, die unterschiedlichen Richtungen wieder zu einen. Wir haben nach wie vor zerstrittene Flügel. Wobei die Flügel nicht politisch, inhaltlich oder themenbezogen zerstritten sind, sondern nach wie vor hat es mit persönlichen Animositäten zu tun. Die CDU geht 2020 in eine Schicksalswahl. Wenn wir deutlich machen wollen, was wir unstrittig als CDU in den vergangenen Jahren geschafft haben, geht das nur, wenn wir Einigkeit zeigen. Ich kann nur nochmals appellieren, das jetzt rechtzeitig vor der Kommunalwahl zu schaffen.

Wegen der Streitigkeiten haben Sie sich für eine „externe Lösung“ als Bürgermeisterkandidat ausgesprochen. Glauben Sie, dass es der Rheinbacher CDU gelingt, dass niemand aus den eigenen Reihen antritt, sondern ein Externer auf den Kandidatenschild gehoben wird?

Raetz: Ja, da bin ich fest von überzeugt. Es kann bei den derzeitigen Streitigkeiten keinen Sieger geben, weil dann gibt es auch einen Verlierer. Das darf nicht passieren, da das eine dauerhafte Spaltung der Partei herbeiführen würde. Darum ist es wichtig, eine Kandidatin oder einen Kandidat von außen zu finden. Das kann eine völlig unabhängige Person sein. Aber es darf niemand aus der jetzigen Fraktions- oder Parteispitze sein. Ich sehe auch in der momentanen Personalsituation von Fraktion und Partei niemanden, der dieses Amt im Sinne der Bürgerschaft ausführen könnte.

Aus welchem Holz muss denn ein Bürgermeister geschnitzt sein?

Raetz: Es ist einerseits Verwaltungserfahrung wichtig. Andererseits ist es wichtig, bei der Bürgerschaft anzukommen. Man muss auch die Wählerherzen gewinnen. Das setzt voraus, dass man dazu veranlagt ist. Ich denke, Rheinbach hat einen guten Ruf, um eine externe Lösung zu finden. Da werde ich meinen Einfluss geltend machen. Dafür liegen mir die Stadt, die Verwaltung und die Repräsentanz Rheinbachs zu sehr am Herzen. Ein Bürgermeister muss ein Bürgermeister aller Bürger sein.

Werden Ihre Zu-tun-Listen für 2020 kürzer als gewöhnlich? Bis zum Ende der Amtszeit sind es neun Monate...

Raetz: Es wird eher noch mehr. Man möchte als Chef einer Verwaltung mit dem jetzigen Stadtrat noch wichtige Projekte zu Ende oder auf den Weg bringen, da mein letzter Arbeitstag der 31. Oktober ist und wir realistisch davon ausgehen, dass bis zum Sommer alle Entscheidungen über den Rat getroffen sein müssen. Das setzt im ersten Halbjahr ein enormes Arbeitstempo voraus.

Wo wollen Sie noch unbedingt einen Haken machen?

Raetz: Es gibt mit dem Majolika- und dem Pallotti-Areal zwei wichtige Innenstadtbaugebiete, die weitere Beschlüsse brauchen. Das sind zwei wichtige Projekte, die den dringend benötigten Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten sicherstellen sollen. Dort wird es auch den öffentlich geförderten Wohnungsbau geben – ein Wohnen in der Stadt für alle und keine vermeintlich elitäre Sache. Ansonsten werden die Vorbereitungen getroffen für die endgültige Haushaltskonsolidierung im Jahr 2021. Außerdem wollen wir jetzt die Früchte der Gewerbeansiedlungen ernten. Man sieht, was sich in den vergangenen Jahren im Hochschulviertel und den Gewerbegebieten angesiedelt hat. Das bringt uns jetzt Gewerbesteuern. Außerdem wollen wir helfen, den Aufbau einer Gesamtschule in Swisttal von Rheinbach aus mit unterstützen, um unsere Gesamtschule zu entlasten.

Apropos Etatausgleich: Kommen Sie nicht ins Grübeln, doch zu kandidieren, wenn viele Dinge, die Sie angestoßen haben, erst in ein paar Jahren Früchte tragen?

Raetz: In der Politik muss man immer einen langen Atem haben. Kurzfristig große Dinge umzusetzen, das funktioniert nicht. Klar kommen viele Dinge erst in der Zukunft zum Tragen. Trotz Haushaltsausgleichs heißt es weiterhin sparsam zu sein. Es wird sich in den kommenden Jahren in der Haushaltsdisziplin nichts ändern können.

Wenn Sie sich den Spaß machen würden, ihre Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger einen scheinbar vergessenen Zettel auf ihrer Schreibtischunterlage zu hinterlassen, versehen mit drei Tipps, welche Tipps würden darauf stehen?

Raetz: Demütig vor dem Amt bleiben. Man muss aufpassen, dass man nicht abhebt. Außerdem: Höre auf deine Verwaltung. Wir haben unglaubliche Qualitäten in einer Verwaltung – die Fachbereiche wissen, was sie tun. Und: Ärgere dich nicht über alles. Gelassenheit ist wichtig. Man ist, wenn man dieses Amt mindestens hundertprozentig ausübt, immer unter Dampf. Oft ist es sinnvoll, vor einer Reaktion erst mal eine Nacht zu schlafen, bevor man reagiert. Das tut einem auch gesundheitlich gut.

Was steht am Montag, 2. November, bei Stefan Raetz im Kalender? Das ist der erste Tag, an dem es Sie nicht mehr täglich ins Rathaus zieht.

Raetz: Ich werde am 1. November auf den Friedhof gehen und bei der Kranzniederlegung dabei sein – aber nicht mehr in Funktion, sondern als Gast. Das wird der erste öffentliche Auftritt als Nicht-mehr-Bürgermeister sein. Das wird ein bisschen komisch werden, aber das werde ich unbedingt machen.

Und am Montag?

Raetz: Da werde ich mir die ersten Dinge für Zuhause vornehmen, die jetzt über Jahre liegengeblieben sind. Ich werde sicherlich viel Wandern gehen. Das habe ich schon immer gerne gemacht. Ich muss dann nicht mehr überall Nein sagen: Ein Bürgermeister ist immer im Dienst, und der Dienst geht nun mal vor. Nicht zuletzt gibt es noch das ein oder andere Ehrenamt, dass ich gerne weiterführen möchte: für den Lions-Club, die Bürgerstiftung, Togo, Verdun, Rheinbach Classics etwa. Ich habe einen Lehrauftrag an der Universität in Speyer, und ich bin Prüfer bei Städtebaureferendaren. Es wird mir nicht langweilig werden. In keinem Fall werde ich mich politisch einmischen, da werde ich einen klaren Schnitt machen.

Was wird Ihnen fehlen?

Raetz: Ja. Ich habe gerne den intensiven Bürgerkontakt genossen, da ich bei vielen Veranstaltungen so tolle, nette Menschen kennenlernen durfte – nicht nur die Bosse, sondern die breite Bevölkerung. Und jede Woche habe ich neue Menschen kennengelernt. Dieser sehr enge Bürgerkontakt wird mir fehlen. Fehlen wird mir auch eine Arbeitsroutine, wenn man nicht mehr in erster Reihe in der Verantwortung steht. Das muss ich erst lernen – so wie man lernen musste, in den Job hineinzukommen.

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