Interview mit Caritas-Vertretern "Die meisten sind traumatisiert"

Ein offenes Ohr für die Sorgen von Flüchtlingen hat der Fachdienst Integration und Migration der Caritas mit Sitz in Meckenheim. Über die Situation von Asylbewerbern im linksrheinischen Rhein-Sieg-Kreis und die politischen Rahmenbedingungen sprachen Constanze Klitzke und Marie-Elisabeth Vieten vom Fachdienst mit Christoph Meurer.

 Constanze Klitzke (Mitte) und Marie-Elisabeth Vieten im Gespräch mit GA-Redakteur Christoph Meurer.

Constanze Klitzke (Mitte) und Marie-Elisabeth Vieten im Gespräch mit GA-Redakteur Christoph Meurer.

Foto: Wolfgang Henry

Hat die Zahl der Flüchtlinge im Linksrheinischen zugenommen?
Constanze Klitzke: Im Vergleich zu den vergangenen Jahren beträgt die Steigerung mindestens 50 Prozent.
Marie-Elisabeth Vieten: Sehr viele syrische Flüchtlinge kommen zu uns in die Beratung. Gerade durch die Bedrohung durch den IS werden mit Sicherheit noch viel mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Es wird immer von "den" Flüchtlingen gesprochen. Aber es kommen doch Menschen mit unterschiedlichen Biografien, oder?
Klitzke: Es sind immer Einzelschicksale. Ich frage selten, wie sie hierher gekommen sind. Das ist auch schwierig, wenn die Menschen kein Deutsch sprechen. Wenn sie die Sprache aber ein wenig beherrschen, frage ich manchmal nach. So haben wir etwa eine Familie hier, bei der zunächst der Mann, ein Atomphysiker, aus Syrien geflüchtet ist, weil er extrem bedroht war. Er hatte sein ganzes Vermögen an Schlepper gegeben, um nach Deutschland zu kommen. Frau und Kind haben mittlerweile ein Visum über die Botschaft bekommen.
Vieten: Viele Menschen möchten aber auch nicht erzählen, wie sie hierher gekommen sind.

Ist es schwer, einen Kontakt zu den Flüchtlingen aufzubauen?
Klitzke: Mit der Zeit entsteht ein Vertrauen. Die meisten Flüchtlinge sind traumatisiert. Dort, wo sie gelebt haben, ist alles zerstört. Ohne die Integrationslotsen, die uns sprachlich unterstützen, wären Gespräche aber oftmals gar nicht möglich.

Was leistet der Fachdienst Integration und Migration?
Vieten: Wir informieren unter anderem über das Asylverfahren - etwa, wann was zu tun ist oder wann ein Anwalt hinzugezogen werden sollte. Viele Menschen verstehen ihre Situation nicht. Ein Beispiel ist, warum sie auf so beengtem Raum leben müssen. Hier versuchen wir mit den Kommunen zu vermitteln.
Klitzke: Das Raumproblem liegt an der großen Zahl der Flüchtlinge. Dadurch, dass sie in der Vergangenheit zurückgegangen war, wurden im Rhein-Sieg-Kreis die Unterkünfte reduziert. Jetzt sind auf einmal wieder so viele da und die vorhandenen Häuser sind voll. Aus Bornheim, Meckenheim oder Rheinbach hören wir von Flüchtlingen, dass sie unter der fast nicht vorhandenen Privatsphäre sehr leiden. Die Kommunen bemühen sich sehr, die Lage zu entspannen. Etwa in Bornheim, wo ja Wohncontainer aufgestellt werden.

Ist es ein Problem, dass Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen?
Klitzke: Viele könnten zunächst gar nicht arbeiten. Sie sprechen noch kein Deutsch. Die Flucht muss verarbeitet werden, und es sind so viele Dinge zu tun. Erst dann steht das Thema Arbeit an und wird als Problem empfunden, nicht arbeiten zu dürfen.

Sie sprachen bereits die Wohncontainer in Bornheim an. Wie wichtig ist es, die Bevölkerung in solche Prozesse einzubeziehen?
Vieten: Das ist sehr wichtig. Die Menschen wissen ja nicht, was auf sie zukommt. Man sollte versuchen, die Angst voreinander zu nehmen. Die Bürgergespräche im Vorfeld in Bornheim waren eine gute Maßnahme. Es hilft, wenn man offen informiert.

Geht die Politik mit dem Thema Flüchtlinge richtig um?
Klitzke: Wenn man sich überlegt, dass in der Türkei Hunderttausende Menschen in Notunterkünften untergebracht sind, kann ich nicht verstehen, dass in Deutschland über "eine Handvoll" Menschen diskutiert wird. Gemessen an der Zahl der Flüchtlinge werden in Deutschland extrem wenige Menschen aufgenommen.
Vieten: Die Politik berichtet, dass man 5000 Syrer aufgenommen habe, die einen Bezug zu Deutschland hätten. Verschwiegen wird, dass die Angehörigen hier im Land die Kosten tragen müssen. Das stürzt viele in massive Probleme, wenn sowieso schon wenig Geld da ist.

Kann die Caritas da denn etwas tun?
Klitzke: Um die finanzielle Situation zu entlasten, vermitteln wir die Menschen etwa zu Kleiderkammern oder den Tafeln.
Vieten: In einem Fall versuchen wir gerade, mit einem Anwalt nachträglich Asyl zu beantragen. Die Angehörigen müssen zwar die Kosten für das Verfahren tragen, hätten bei Asylanerkennung danach aber keine finanziellen Verpflichtungen mehr.

Was müsste die Politik Ihrer Meinung nach ändern?
Vieten: Die Kommunen müssten mehr Geld erhalten, um Flüchtlinge anständig unterbringen zu können. Es kann nicht sein, dass etwa vier Männer unterschiedlicher Herkunft über Jahre in einem Raum leben müssen. Zudem sollten die Menschen vernünftig in ihrer Heimatsprache über das Asylverfahren informiert werden. Flüchtlinge sollten aber auch Deutsch lernen müssen.
Klitzke: Gut ist, dass für Flüchtlinge Schulpflicht besteht. Ein Nachteil ist, dass es kaum Förderklassen gibt. Wir konnten zum Glück in den Ferien einen Sprachkursus für Kinder anbieten. Aufgrund der vielen Flüchtlinge möchte die Hauptschule Meckenheim jetzt eine Förderklasse einrichten.

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